Nachruf: Ein nonchalantes Leben

Er schrieb Nancy Sinatra "These Boots" auf den Leib, verabscheute die Beatles und bevorzugte klassische Drogen wie Whiskey und Tabak: Lee Hazlewood.

Seines letzte Album, mit obligatorischer Kippe: Lee Hazlewood Bild: sony bmg

Gut, ihn noch mal gesehen zu haben. Obwohl er damals schon die besten Jahre hinter sich hatte, trotzdem - einer wie Lee Hazlewood gehört zu den wenigen Musikern, die nicht peinlich altern, sondern dem, im Gegenteil, die zunehmenden Graunuancen im Haupthaar und die zunehmende Whiskeygegerbtheit im abgeklärten Gesicht wunderbar standen. Und seine Stimme klang eh schon immer nach "Seen it, been there", sogar zu seinen Anfangszeiten: Als Lee Hazlewood vor ein paar Jahren mit einer neuen Platte im Berliner Schillertheater gastierte, verwandelte er den schnieken großen Veranstaltungsort mit den Angeberkronleuchtern in eine nette, verruchte und (gefühlt) verrauchte kleine, intime Bar, in der er einem auf einem unter dem Hintern festgewachsenen Barhocker gegenübersaß und Anekdötchen erzählte, mal mit und mal ohne Musikbegleitung.

Anders wird es auch in den 50ern nicht gewesen sein, als der 1929 in Mannford, Oklahoma geborene und in verschiedenen Kuhkäffern in Texas und Arkansas aufgewachsene Hazlewood seine Karriere als Radio-DJ mit Hilfe dieser unglaublichen tiefen, samtigen Stimme startete, dieser Stimme, die schon unanständig klang, wenn sie nur das Wetter ansagte. Das war in Arizona, in einem Baumwollbauerndorf, und Hazlewood dickte seine Countrymusiksendungen mit Interviews von ausgedachten Personen an, die aus seinen Live-Fragen und vorher von ihm selbst aufgenommenen Antworten bestanden. Irgendwann stolperte der später als Gitarrist erfolgreiche Duane Eddy ins Studio und bettelte - laut Legende - um übrig gebliebene Country-Platten, Hazlewood stibitzte sie, schenkte sie ihm, und als ihn der Provinzsender zwei Jahre später feuerte, lag seine Karriereplanung als Songwriter und Produzent schon in Greifnähe.

Auf seinem eigenen Label Viv Records in Phoenix veröffentlichte er ab 1955 Songs von weißen und schwarzen Künstlern, einer seiner ersten lokalen Hits war ein von Elvis Presleys "Heartbreak Hotel" beeinflusstes Stück namens "The fool", den Elvis-Sound mochte und klaute er. Genau wie Johnny Cash, dessen tiefe Stimme er bewunderte, und der wie er dem klassischen Country, in dem es - offiziell - um Scheitern, Armut und Landleben ging, neue Facetten hinzufügte: Nachdem Hazlewood, mittlerweile Vater zweier Kinder und gefragter Producer, Anfang der 60er mit Oldschool-Croonern wie Dean Martin gearbeitet hatte, kam die British Invasion und mit ihr kamen neue Sounds, neue Ebenen, neue Drogen. Hazlewood verabscheute die Beatles.

Aber so ignorant er der Teenage-Beat-Experience gegenüber war - er war ein viel zu cleverer Geschäftsmann, um nicht das Potenzial dieser Bewegung zu erkennen. Und als er 1966 dem kleinen, stimmlich dünnen und im Schatten ihres Vaters schier versinkenden Töchterchen Frank Sinatras den zeitlosen Megahit über ihre schicken Sixties-Boots schrieb, hatte er damit einen neuen, irgendwie merkwürdigen, gleichzeitig mitklopfkompatiblen aber auch eigenwilligen Psychedelic Countrysound erfunden, der mit Duetten wie "Some Velvet Morning" oder "Summer Wine" unnachahmlich Nancys unschuldige Mädchenstimme und sein eigenes spirituosengespültes Organ vereinte. Man munkelt, er habe Nancys piepsigen Gesang für "These Boots" sogar noch herunterpitchen müssen, um dem blonden, großäugigen Chormädchen den nötigen Sexappeal einzuhauchen.

Hazlewood, schmal, klein und eher unscheinbar, war also im US-Unterhaltungsbusiness der 60er und frühen 70er ein gefragter Mann, spielte in ein paar bunten Buddy-Movies mit, komponierte die Scores für ein paar andere Filme und zog ansonsten wild zwischen verschiedenen europäischen Ländern und einigen Frauen hin und her. Offiziell veröffentlichte er 1977 ein letztes Vinyl-Album.

Eine solche Biografie schreit geradezu nach Wiederentdeckung und Comeback - 1995 tourte Hazlewood noch mal mit Nancy Sinatra. Richtig im globalen Mainstream-Underground angekommen ist er aber eigentlich erst 2002, als er mit "To Every Solution Theres A Problem" bis dato unveröffentlichte, textlich und kompositorisch nach wie vor ausgefuchste Songs (leider mit mäßigem Sound) vorstellte, und sich Bands wie Calexico oder Lambchop auf "Total Lee!" mit Coverversionen vor dem großen, alten Haudegen des frivolen Countrysongs verbeugten. Auf dem dazugehörigen Ankündigungsposter sitzt Hazlewood in den 60ern auf einer Mauer zwischen seinen ungefähr zehn- und elfjährigen Kindern, und alle drei tragen kichernd dicke Schnurrbärte, der eine echt, die anderen falsch.

Im letzten Jahr verabschiedete sich Hazlewood, dessen schwere Krebserkrankung zwischenzeitlich allgemein bekannt war, mit einer letzten Platte, die zwar ein paar liebenswerte und kritikerfreundliche Schmankerl - wie das Duett mit seiner Enkelin - aber wenig Aufregendes beinhaltete, angemessen nonchalant von seinem Leben als Songwriter, Schnäuzerträger, Sprücheklopfer und Sänger.

Am 4. August dieses Jahres ist er im Kreise seiner Familie in der Nähe von Las Vegas gestorben.

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