Reproduktion: Das ist Glück!

Ich bin Vater geworden. Toll! Mein Herz klopft laut vor Freude. Man könnte es sogar hören, mein klopfendes Herz - wenn das Kind nicht so laut brüllen würde.

Nachwuchs gibt es nur all inclusive: Plärren gehört zum Geschäft! Bild: dpa

Nun ist es also da, das Kind. Unser Kind. Unser Sonnenschein. Freude unserer Tage, Stütze unseres Alters. Walter. Das kleine Walterchen. Wir sind überglücklich.

Kann man glaube ich sagen. Zumindest glücklich. Doch, meistens. Wenn Walterchen so ziellos um sich guckt und hilflos mit den winzigen Händchen fuhrwerkt und die winzigen Zehen krümmt, dann kriegt Hilde - das ist die Lebensgefährtin - kriegt Hilde feuchte Augen. Das ist Glück. Ungetrübtes Elternglück. Meistens, wie gesagt. Eltern wissen, von was ich rede, aber sie geben es nicht zu. Gegenüber den Nicht-Eltern. Es ist ein Tabu. Eine geheime Absprache unter Eltern gegenüber Nicht-Eltern. Man muss immer so tun, als ob das Kinder kriegen und Haben ein immer währender Bronn der Freude sei, an dem die Nicht-Eltern (Ätsch!) keinen Anteil haben. Und die kleinen Unwägbarkeiten sind nicht der Rede wert und werden vom Glückshormon locker weggespült. Spontan fallem einem dann die im Blumentopf versenkten Säuglinge ein. Wo war denn da das Glückshormon? Das ist aber ein ganz andere Geschichte, an der wir lieber nicht rühren wollen. Trotzdem packe ich hier und heut aus und bekenne: Kinderkriegen- und Haben bedeutet beileibe nicht andauernden Sonnenschein. Das geht schon in der Schwangerschaft los.

Nach Ansicht des Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung (BI) hat die Einführung des Elterngeldes im Januar die Deutschen animiert, wieder mehr Kinder zu bekommen. Das Institut rechne mit einem Geburtenanstieg noch im laufenden Jahr, wie die Thüringer Allgemeine berichtete. "Ich erwarte, dass es 2007 im Zuge des Elterngeldes einen Geburtenanstieg gibt", sagte der BI-Experte Steffen Kröhnert. Nachdem die Geburtenzahl 2006 weiter gesunken war, verzeichnete das Statistische Bundesamt für das erste Quartal diesen Jahres bereits einen leichten Anstieg bei den Geburten um 0,4 Prozent. Im vergangenen Jahr kamen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 13.100 Kinder weniger zur Welt als noch 2005. Insgesamt wurden 2006 rund 672.700 Kinder geboren, die durchschnittliche Kinderzahl je Frau sank von 1,34 auf 1,33. Im Jahr 1990 brachte eine Frau statistisch gesehen noch 1,45 Kinder zur Welt.

Auch für uns Männer. "Männer tragen das Kind genauso aus wie die Frauen", sagt der Volksmund. Ich weiss nicht, was der Volksmund damit genau sagen will, ich kann nur sagen - schön ist das oft nicht. In der Werbung liegt die Frau immerzu malerisch auf dem Sofa, und der Mann und ein älteres Kind lauschen verzückt an der Bauchkugel. Die Werbung sagt nichts davon, dass sich die Schwangere beileibe nicht so malerisch bewegt, wie sie auf dem Sofa liegt. Tragen sie mal jeden Tag zwei bis drei Kilo plus Fruchwasser durch die Gegend. Das ist ein Knochenjob. Trotzdem nehmen die Frauen das irgendwie gottergeben auf sich und kriegen dazu noch vielfach diesen sanften, alles verzeihenden Blick. Der mich unwillkürlich an gewisse nicht sehr intelligent blickende Tiere erinnert, die widerkäuend auf der Weide herumstehen. Ich weiss, das sind die Hormone und die Natur hat sich was dabei gedacht. Es ist auch nicht allzu schlimm, aber irgendwie ziemlich langweilig. Mir sind Frauen lieber, die ein gewisses Feuer im Blick haben. Tja. Die Natur hat sich... siehe oben. Die Natur hat aber auch an die Männer gedacht. Die Natur denkt überhaupt an gar alles. Darum wollen wir - die Männer - unbedingt unsere Erbinformation schützen. Darum fressen Löwenmännchen und Schweine auch manchmal ihre Jungen. Wie das genau zusammen hängt, weiss ich nicht. Jedenfalls sind wir deswegen immer so rührend besorgt um die Schwangeren und wollen ihnen alles abnehmen. Heisst es in der Werbung. Wir sind dann auch völlig von den Socken, wenn wir durch die Bauchdecke den Nachwuchs orten. Das Füsschen, dann den Popo oder die winzigen Fäustchen: aha, da ist oben - ohne Witz: das ist schon irgendwie rührend.

Gar nicht rührend war für mich, unter uns, die Vorstellung, dass da einer drin sitzt. Ich möchte das nicht, dass bei mir einer drin sitzt. Ich sage nur: Alien. Schon höre ich die versammelte Elternschar aufjaulen: "Iggitt. Das sagt man nicht!" Aber warum sagt man das nicht? Weil jeder genau weiss, dass sich die Faszination der Aliengeschichte zu einem nicht geringen Anteil aus dieser uralten Angst speist. Ja! Logisch! Diese Angst, die allen Eltern mehr oder weniger im Nacken sitzt, heisst: wer hockt denn da letztendlich drin? Ein schleimiges Ungeheur, oder der zukünftige Albert Schweitzer? Wie auch immer und diese tiefer führenden Überlegungen hintan gestellt: bequem stelle ich mir das nicht vor. Das Hocken in der Fruchtblase geht doch brutal ins Kreuz. Immer so gebückt und kopfüber und nur das stetige Rauschen des Fruchtwassers im winzigen Ohr. Trotzdem wissen wir aus der Forschung, dass das Kind eigentlich immer wieder die Geborgenheit dieses nassen, engen Ortes aufsuchen möchte. Darum möchte es diesen Ort - eng hin, nass her - auch nicht so gerne verlassen.

Walterchen hat sich jedenfalls geziert. Zwanzig Stunden oder so. Die Frau hat gearbeitet wie ein Berserker, geatmet und gepresst. Assisitiert von den Hebammen, die mich irgendwie an die Schlagfrauen bei den Ruderinnen erinnert haben: "Uuuund jetzt uuuund jetzt, uuund jetzt: Preeees!" Ich bin bleich und stumm im Eck gesessen und hab mir das Gemetzel aus der Distanz betrachtet. Die Hebammen haben gefragt, ob ich nicht filmen wolle. Ich wollte nicht. Die Hebammen haben erzählt, dass viele Männer den erhabenen/schönsten/ größten/ einmaligsten Moment ihres Vaterdaseins unbedingt in Bild und Ton festhalten wollen. Wem sie das dann vorspielen, kann ich mir allerdings nur schwer vorstellen.

Wahrscheinlich hätte ich den entscheidenden Moment sowieso verpasst. Denn Walterchen erschien sehr plötzlich - wie vom Katapult geschossen - auf der Bildfläche. Ein kleiner Purzelbaum und da war er. Die Hebamme hat mich gefragt, ob ich die Nabelschnur durchschneiden möchte. Wahrscheinlich bin ich nun als lausiger Vater enttarnt, aber: ich mochte nicht. Viele Männer wollen die Nabelschnur nämlich unbedingt durchschneiden und die Hebamme muss sie dabei filmen. Warum sie das unbedingt wollen und wie die Botschaft lautet, die sie der Welt damit zukommen lassen, ist mir aber weiterhin ein Rätsel.

Das waren dramatische Stunden und sie scheinen schon wieder ewig her zu sein. Obwohl Walterchen immer noch ein sehr, sehr junger Mensch ist. Hilde kann wieder einigermaßen normal gehen und genießt es, nicht mehr aus dem Bett rollen zu müssen. Nun kann sie sich aber im Bett nicht mehr richtig drehen, denn Walterchen liegt drin. Sie muss ihn nämlich ständig säugen, sonst wird er unleidleich und dann brüllt er. Und wie. Es ist eines der Wunder der Natur, dass sie solche kleine Wesen mit einer solchen Lautstärke ausgestattet hat. Das ist, als hätte ein winziger Kofferrradio eine Endstufe mit zweihundert Watt. Die Natur hat sich sicher was dabei gedacht. Wahrscheinlich, dass man das Kind auch noch größerer Entfernung hören soll. Weil doch die Menschen früher immer die Kinder mit aufs Feld genommen und irgendwo abgelegt haben. So denk ich mir das. Ich denke mir auch manchmal, dass es vielleicht ganz schön wäre ein stummes Kind zu haben. Ich meine, die leiden doch nicht sonderlich. Stumme Menschen erlernen diese attraktive Zeichensprache.

Das hat so was indianerhaftes und außerdem können sie von den Lippen lesen. Und auch sonst können sie voll am Leben teilnehmen und eigentlich alle Berufe stehen ihnen offen. Ausser vielleicht Moderator, Politiker und was mit Call-Center. Das könnte doch alles ganz schön sein, für die. Diesen Gedanken darf ich natürlich nicht aussprechen. Hilde würde mich ob meiner Herzlosigkeit schelten oder gar verstoßen. Aber im Ernst: stumme Kinder können doch auch glücklich sein. Siehe Harpo Marx. Und sie brüllen vor allem nicht so steinerweichend. Sie klappen nur ihr stummes Mündchen auf und zu und das wars. Bitte nicht weiter erzählen. Es ist ja alles nur so aus der Not hingedacht. Welche Not?

Lärm ist einer der massivsten Stressoren überhaupt. Menschen, die an lauten Maschinen arbeiten, müssen Ohrschutz tragen, weil sie sonst taub oder depressiv werden. Walterchen brüllt lauter als sämtliche Maschinen, die mir bisher begegnet sind. Walterchen brüllt, als würde man ihn asiatischen Foltermethoden unterziehen. Fingernägel ausreissen und so. Ich tu ihm aber nichts. Ehrenwort. Ich halte ihn nur in einem Arm, stecke mir Fetzen von Tempo-Taschentüchern in die Ohren und sehe zu, wie aus einem gerade nocht normal farbigen Doppelkinn-Kopf eine kleine, rote Tomate auf einem ziemlich langen Stiel wird. Das ist der Hals meines Kindes. Dann tut sich in der Tomate eine dunkle Höhlung auf und daraus entweicht um den frühen Nachmittag das sogenannte "Fünfzehn Uhr-Getöse", oder später Abends das "Große Zehner Gebrüll", kurz das "Große Zehner" genannt. So lustig es sich anhört, so lustig ist das nicht. Vor allem, wenn sich das "Große Zehner" in den Abend oder in die Nacht verschiebt. Weil um Walterchen zuviel Licht ist, oder zu wenig. Weil er irgendwas angefangen hat zu träumen, oder weil er partout seine Blähungen nicht in den Griff kriegt. Irgendwas rumort dann in ihm rum und er brüllt bis mir die Brillengläser anlaufen.

Wenn ich Glück habe, kotet er irgendwann unter Getöse ein, oder lässt seinen Flatulenzen freien Lauf. Dann kann er von einer Sekunde zur nächsten plötzlich ganz fidel sein und sich frohgemut mit den kleinen Fäustchen aufs eigene Auge schlagen. Doch, doch das macht er manchmal, weil er schlichtweg nicht weiss, dass das Fäustchen sein Fäustchen ist. Ganz kleine Kinder, das weiss ich wiederum, wissen das noch nicht. Was alles zu ihnen gehört.

Walterchen erschrickt vor seinen eigenen Händchen und wundert sich, wer ihn aufs Auge haut, oder am Ohr zieht. Dann kann es sein, dass er wieder brÃllt. Das ist aber alles ganz normal und kein Grund zur Sorge. Winzige Kinder sind nun mal nicht besonder helle. Das muss nichts bedeuten für später. Auch wenn ich manchmal im Spass sage: "Dann geben wir ihn halt auf die Sonderschule". Hilde lacht dann schon ein bißchen, aber eigentlich findet sie solche Witze nicht wirklich komisch. Frauen sind da irgendwie empfindlich. Ausserdem kriegt Walterchen für seine Verhältnisse eine ganze Menge mit, sagt die Hebamme. Wie er auf Licht und Geräusche reagiert zum Beispiel und das kleine Schädelchen neugierig hebt. Hilde ist dann jedesmal irrsinning gerührt: "Guck nur Bruno. Er ist so aufmerksam. Wie er zur Lampe schaut. Er wird sicher einmal sehr kreativ mit Licht umgehen. Und kommunikativ. Wie er schon plappert. Solche kleinen ulkigen Laute, als wolle er mit uns plaudern." Tatsächlich. Hilde und ich haben uns mit feuchten Augen zugenickt. Heimlich hab ich mir aber gedacht: "Hoffentlich wird er nicht einfach ein geschwätziger Elektriker". Das ist natürlich Blödsinn.

Walterchen plaudert ja nicht im eigentlichen Sinne. Er sagt solche Sachen wie: "Alllaaaa". Oder "Aualllaaa" oder "Eueueu". Hilde ist trotzdem überzeugt, dass er uns was sagen will. Nur eben in Baby-Sprache. Nur was? Ich meine, über was kann ein so winziges Kind schon erzählen? Die Muttermilch war heute eine Idee zu warm? Ich kann mir nicht helfen, meine Blähungen hätten mich gestern wieder fast umgebracht? Wir werden uns wohl noch gedulden müssen, bis Walterchen richtig auspackt. Aber dann, das kann ich ihnen sagen, hab ich auch ein paar Fragen an ihn.

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