Harry Potter: Vier Meinungen, 3.614 Seiten

Seit Samstag ist er raus, der siebte und letzte Teil der Zauberlehrling-Geschichte mit dem zauberhaften Erfolg. Vier typische Leser ziehen Resümee.

Am Ende stirbt ein jeder Bild: dpa

Es geht düster und rasant los. Schon auf dem Weg zu den Weasleys wird Harry von Voldemort, dem grausamsten Zauberer der Gegenwart, angegriffen. Zwei seiner Begleiter überleben den Kampf nicht.

Mit Ron und Hermine will er sich auf die Suche nach Voldemorts siebengeteilter Seele machen. Ob sie erfolgreich sein werden, kann man nun seit Samstag endlich lesen.

Auf den letzten 607 Seiten, die es über den bebrillten Jungen mit den magischen grünen Augen und den unordentlichen dunklen Haaren je geben wird. Für echte Fans ist die Veröffentlichung von "Harry Potter and the Deathly Hallows" nicht nur ein erwarteter Segen, sondern auch der Anfang vom Ende. Vor knapp zehn Jahren begann der Hype, der so viele Menschen mitriss und den genauso viele nie verstehen konnten.

Mit Harry Potter schrieb Joanne K. Rowling nicht nur die erfolgreichste Geschichte der vergangenen Jahre, sondern eröffnete auch einen erbitterten Kampf. Zwischen denen, die Harry lieben, und denen, die nicht verstehen, warum Erwachsene ein Kinderbuch über einen kleinen Jungen lesen, der an seinem elften Geburtstag erfährt, dass er ein Zauberer ist.

Die Antwort ist einfach: Sie lassen sich darauf ein. Hat man einmal angefangen, lässt einen die Geschichte nicht mehr los.

Harry ist ein einfacher Junge, dessen Leben sich über Nacht verändert. Ein unfreiwilliger Held, der erfährt, dass es an ihm ist, das Böse zu vernichten, damit das Gute leben kann.

Ganz nebenbei wird er erwachsen, wie jeder von uns einmal erwachsen geworden ist.

Und das ist genau, was wir uns wünschen: Harry ist einer von uns. Da sollte man über die Tatsache, dass er der Held in einem Kinderbuch ist, hinwegsehen können. Nach 607 Seiten ist Harrys Geschichte zu Ende. Einen achten Band wird es nicht geben.

Ob er stirbt oder nicht, spielt letztlich keine Rolle. NANA GERRITZEN

Irgendwann hatte ich meine Skrupel überwunden. Ich war auf dem Weg nach England, das heißt: fast, denn ich brauchte noch Reiselektüre. Auf dem Regal meines kleinen Bruders lag: "Harry Potter", Band 3, auf Englisch. Passt, dachte ich. In England arbeitete ich mich bis zum vierten Band vor und freute mich zum ersten Mal, dass Pubs nur bis elf Uhr aufhaben.

Der Hype um Harry begann etwa im selben Jahr - die Menschen hörten von Harry, lasen und lobten ihn. Und wunderten sich, handelte es sich doch um ein Stück Unterhaltungsliteratur für Kinder und Jugendliche.

So begann man, "Harry Potter" zu deuten. Das Buch wurde von Metaebene zwei bis sieben rauf und runter besprochen, die Komplexität der Charaktere gelobt, die Fülle der Themen, die Rowling abhandelt, die Reichhaltigkeit ihrer Sprache, die voller Anspielungen ist auf Kant, Nietzsche und Müller. Der einfache Zauberlehrling wurde zum Welterklärer.

Im Chor klangen all die verschiedenen Deutungen wie eine große Rechtfertigung von Erwachsenen, die nicht zugeben können, dass sie ernsthaft noch auf Winnetou stehen. Denn Winnetou ist ein älterer Blutsbruder von Harry Potter. Beide Romane sind in erster Linie Unterhaltungsliteratur - mit Betonung auf Unterhaltung. Weder Winnetou noch Harry Potter muss man sich wirklich erarbeiten, die geistige Anstrengung beim Lesen ist gering.

Es gibt sogar inhaltliche Gemeinsamkeiten: Als Voldemort sich von hinten anschleicht, mit dem Zauberstab auf Ron zeigt und Harry sich dazwischen wirft - Moment, oder endet Winnetou so? Egal, man sieht, die beiden werden sich immer ähnlicher. Die entscheidende Gemeinsamkeit zwischen Harry Potter und Winnetou aber ist, dass die Bücher alle Qualitäten besitzen, um Jungen und Mädchen zu begeistern.

Nachdem der letzte Band erschienen und die kollektive Erregung abgeflaut ist, kann "Harry Potter" nun aus den Händen der jung gebliebenen Erwachsenen befreit werden, um zu sein, was es ist: ein spannendes Jugendbuch mit allen Chancen, in die ewigen Lesegründe einzugehen. ANNA LEHMANN

Harry wer? Die eigentliche Frage lautet doch: Was wird aus Hermine Granger? Die Geschichte wäre nicht mal eine Trilogie geworden, hätte Frau Granger nicht immer passende Ideen, Zaubersprüche und Bücher für die zumeist verpeilten Jungs parat. Sie ist die geheime Hauptperson, sie ist es, die meistens die Handlung vorantreibt.

Oft lassen einem die Autoren fantastischer Literatur nur die Wahl zwischen zwei Arten von magisch begabten Frauen: Die eine ist rothaarig und hüllt sich in lange, wallende und fadenscheinige Gewänder, durch welche Brustwarzen und Knackarsch rosig schimmern. Sie darf mächtig sein in ihrem Zorn, ist aber eigentlich eher der mütterliche Typ.

Die andere tritt zumeist in einem schwarzen Leder-BH auf, gegen eine Nierenerkrankung darf sie meist noch einen Umhang tragen. Das Mütterliche liegt ihr nicht so, dafür eher das Burschikose, damit jeder erkennt, dass sie auf keinen Fall die Rothaarige ist. Trotzdem muss immer ein Typ mit Schwert hinter ihr her und alles richten.

Wer will denn mit so einer durch hunderte Seiten ziehen? Mit Hermine will man schon, obwohl auch sie sich in Band 1 noch von Harry und Ron retten lassen muss. Danach wird sie von Buch zu Buch mehr eine lebenskluge, pragmatische, witzige, gefährliche, und ja - manchmal auch mütterliche Frau. Mit Band 7 soll nun Schluss sein, aber Figuren wie Hermine Granger verschwinden nicht.

Man wird sie wiederfinden - inzwischen mehrere Jahre gealtert im Kirschbaumweg 17. Diese Gegend erinnert an den Ligusterweg und den Spießer-Vorort, wo Harry Potter aufwuchs. Dort zeigt Hermine unter dem Decknamen Mary Poppins den Muggels, dass es im Leben mehr gibt als Rasenpflege. Nebenbei hat sie noch eine Affäre mit dem Streichholzmann, es scheint mit Ron also gerade nicht so gut zu laufen. Als sich der Wind dreht, kehrt sie allerdings zu ihm zurück. Ereignisreich muss ihr Leben aber weiterhin verlaufen sein, denn als verschrobene Greisin hat sie sich unter dem Namen Oma Wetterwachs in die Einsamkeit der Spitzhornberge zurückgezogen, wo auch die meisten anderen alten Hexen leben.

Inzwischen hat sie, die immer alle Zaubersprüche zuerst konnte, erkannt, dass es oftmals besser ist, gar nicht zu zaubern. Es reicht, wenn die Leute glauben, man könne sie in einen Frosch verwandeln. Mit dieser "Pschikologie" und ein paar anderen alten Frauen beschützt Oma Wetterwachs die Welt vor blutrünstigen Elfen, dem liebestollen Winter und vor allem vor der Idee junger Hexen, Magie hätte irgendetwas mit schwarzem Lippenstift und dem Schwenken silberner Pentagramme zu tun.

Wie heißt es so schön in "McBest": "Unter den Anführerinnen, die es bei den Hexen gar nicht gab, genoss Oma Wetterwachs die größte Hochachtung." Relaschio, J.K. Rowling, entlasse uns aus deinem Griff! Accio, Mary Poppins. Die Geschichte geht weiter.

DANIEL SCHULZ

Natürlich muss man sich rechtfertigen. "Was? Du hast die alle gelesen? Dabei bist du doch sonst nicht so "

Nun ja.

Harry Potter ist einfach eines der ganz wenigen Dinge, die ich nicht abstoßend fand, nachdem sie plötzlich jeder las, hörte oder tat. Obwohl mich sonst, sobald ein neuer Boom oder noch schlimmer: "Kult", ausgerufen wird, in pubertäre Abgrenzungsmuster verfalle - der Tag, an dem ich nicht mehr Bio einkaufe, ist nicht fern - bei Harry Potter ist das nicht passiert.

Vielleicht lag es an dem Anfang vor rund zehn Jahren. Meine kleine Schwester hatte die Lektüre von ihrem Englischlehrer empfohlen bekommen. Und da wir in den Weihnachtsferien eingeschneit waren, machte das Buch - damals noch ein schmaler Band - bei flackerndem Kamin die Runde. Bis schließlich sogar mein Vater die Geschichte über den Stein des Philosophen gelesen hatte und Gespräche, trafen wir uns zufällig vor dem Kühlschrank, anfingen mit "Meinst du, dass Hermine ?" oder "Es ist doch komisch, dass Snape !"

Als dann die ersten Potter-Radiergummis, -Leuchtstifte, -Filme und - bewahre! - -Zauberhüte bei Mitternachtsbuchverkäufen auslagen, sah ich pietätvoll weg. Und wenn die Geschichte nach dem 6. Band keine Fortsetzung gefunden hätte - mir wärs auch recht gewesen. Es geht ja nicht bloß um die Geschichte und wer nun stirbt und überlebt und ob das Böse und so weiter

Nein, diese Bücher sind wunderbar bei: Regenwetter, Liebeskummer, Mandelentzündung und einem allgemeinen Weltfluchtbedürfnis. Um darin zur Gänze zu versinken und der Umgebung nur mit einem unwilligen "Hmäh?!" zu antworten, um sogleich wieder in den Fantasieräumen der Geschichte zu versinken. Stichwort: Regression.

Das Ende, ja, das Ende. Mir ist es ja nun völlig wurscht, ob Harry Potter stirbt oder nicht. Ich meine, so ist das Leben. Man stirbt halt irgendwann. Möglicherweise ist die Autorin des nunmehr 3.614 Seiten umfassenden (ja, ich habs zusammengezählt) Werkes mittlerweile derart korrumpiert, dass es doch noch irgendeine Fortsetzung geben wird. Aber mal ehrlich, hat jemand von Ihnen "Nesthäkchen als Großmama" (viel versprechender Buchtitel: "Nesthäkchen im weißen Haar") gelesen?

Das Ende wird überhaupt überbewertet. Der Anfang von "Harry Potter", Band 1, geht so: "Mr and Mrs Dursley, of number four, Privet Drive, were proud to say thet they were perfectly normal, thank you very much."

Und das Ende? Der letzte Satz von Band 7? "All was well".

Ha! Verraten! Aber das ist egal. Denn: Mann, es sind Bücher! Man kann sie hervorholen. Und lesen. Dann fangen sie an, immer wieder. KIRSTEN REINHARDT

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Schwerpunkte SPD und Kanzleramt sowie Innenpolitik und Bildung. Leitete bis Februar 2022 gemeinschaftlich das Inlandsressort der taz und kümmerte sich um die Linkspartei. "Zur Elite bitte hier entlang: Kaderschmieden und Eliteschulen von heute" erschien 2016.

Redakteur im Ressort Reportage und Recherche. Autor von "Wir waren wie Brüder" (Hanser Berlin 2022) und "Ich höre keine Sirenen mehr. Krieg und Alltag in der Ukraine" (Siedler 2023). Reporterpreis 2018, Theodor-Wolff-Preis 2019, Auszeichnung zum Team des Jahres 2019 zusammen mit den besten Kolleg:innen der Welt für die Recherchen zum Hannibal-Komplex.

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