Kommentar: Ungarische Gespenster

In vielen postkommunistischen Staaten fällt Rechtsextremismus auf fruchtbaren Boden. Wie gefährlich das ist, zeigt die Gründung der paramiiitärischen "Ungarische Garde".

Der Untergang der kommunistischen Regime hat in vielen Ländern Mittel- und Südosteuropas ein ideologisches Vakuum hinterlassen. Bereits 1990 entstanden deshalb vielerorts Gruppierungen,

die sich auf das Erbe nationalistischer Bewegungen aus der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen beriefen. Gerade diese Organisationen haben es verstanden, die schlummernden nationalistischen Instinkte der Bevölkerung zu wecken, alte ethnische Ressentiments zu erneuern und traditionelle Feindbilder zu instrumentalisieren.

In vielen Staaten entstand so ein brodelnder Ideologiemix, der sich aus antisemitischen und rassistischen Stereotypen, nationalistischen Vorurteilen sowie Versatzstücken eines militanten Antikommunismus, nationalistischen Vorurteilen, revisionistischen Ambitionen und einem rachsüchtigen Fundamentalismus speiste. Diese diffusen Vorstellungen fanden Eingang in den öffentlichen Diskurs, wobei sich auch gemäßigte Parteien gerne aus der Mottenkiste des Nationalismus bedienen, um die Wählerschaft zu ködern.

Die pogromähnlichen Übergriffe auf Roma in den frühen Neunzigerjahren in Rumänien wie auch der eskalierende Nationalismus im ehemaligen Jugoslawien, der im Bürgerkrieg gipfelte, lassen sich beide als Ausdruck des gleichen postkommunistischen Zeitgeists deuten. Stets ging es darum, die tiefe politische Identitätskrise mit Mitteln der Gewalt zu überwinden.

Die Gründung der "Ungarischen Garde", einer paramilitärischen Organisation der Bewegung für ein rechtes und besseres Ungarn (Jobbik), sollte all jenen ein Alarmsignal sein, die immer noch glauben, die Gefahr des Rechtsextremismus entspränge bloß der Einbildung sensibler Publizisten, linker Politiker und kritischer Intellektueller. Ungarn hatte im Westen schon vor 1990 ein gutes Image, was auch an einer geschickten Lobbyarbeit lag. Deshalb wurden die nationalistischen Entgleisungen der Fidesz-Regierung unter Viktor Orbán vom westlichen Publikum ebenso geflissentlich übersehen wie die gefährliche Verbreitung von Rassismus und Antisemitismus in Ungarn.

Es ist kein Zufall, dass der Gründer der neofaschistischen "Garde", Gábor Vona, und Expremier Orbán ursprünglich derselben Bürgerbewegung angehörten. Dass sich die von Orbán geführte Fidesz als einzige Partei des demokratischen Spektrums bislang weigerte, sich von der Ungarischen Garde zu distanzieren, ist beängstigend. Denn der Rechtsextremismus in Osteuropa ist längst mehr als ein hohlwangiges Gespenst, das an unsere Haustür klopft. WILLIAM TOTOK

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