Hongkong: Feuerwerk der Zivilgesellschaft

Zehn Jahre nach der Rückgabe Hongkongs: In der britischen Ex-Kolonie ist eine lebendige Demokratiebewegung entstanden - entgegen Erwartungen.

Die Sorgen erwiesen sich als unbegründet: Hongkong Bild: dpa

PEKING taz Früher war er ein Märtyrer. In der Zukunft könnte er als Begründer der chinesischen Arbeiterbewegung im 21. Jahrhundert gelten: Han Dongfeng, 43, ist Chinas bekanntester unabhängiger Gewerkschaftsaktivist. Dieser Tage sitzt der hochgewachsene Nordchinese zwischen Papierbergen in einem winzigen Büro im alten Hongkonger Hafenviertel Wanchao. Seit Jahren pflegt er hier seine subversive Aktivistentätigkeit. Er recherchiert über Streikbewegungen in der Volksrepublik, vermittelt protestierenden Arbeitern Rechtsbeihilfe und hält losen Kontakt zu Arbeiteraktivisten in ganz China. Han aber hätte nie gedacht, dass ihm seine Dissidenz auch zehn Jahre nach der Rückgabe Hongkongs an die Volksrepublik ungestört möglich sein würde. "Ich hatte mich 1997 aufs Schlimmste vorbereitet", sagt Han, der schon einmal 22 Monate im Gefängnis einsaß. Doch die Sorgen erwiesen sich als unbegründet.

"Hongkongs Tod" titelte das US-Wirtschaftsmagazin Fortune, als Hongkong nach 156 Jahren britischer Kolonialherrschaft an Peking zurückfiel und am 1. Juli 1997 zur autonomen Sonderverwaltungszone der Volksrepublik wurde. Viele Beobachter glaubten nicht daran, dass Peking das versprochene Prinzip "Ein Land, zwei Systeme" einhalten würde. Demnach genießt Hongkong als Sonderverwaltungsregion weitgehende Autonomie in inneren Angelegenheiten und kann die freie Marktwirtschaft beibehalten. Der Hongkong-Dollar blieb. Trotz größerer Presse- und Demonstrationsfreiheit wird aber auch Hongkong nicht demokratisch regiert. Nur die Hälfte der 60 Abgeordneten im Legislativrat sind direkt gewählt. Der Regierungschef wird von einem 800-köpfigen Gremium ernannt, das von Peking eingesetzt wurde.

Umso gelassener werden KP-Kritiker wie Han das morgen stattfindende zehnjährige Jubiläum chinesischer Herrschaft über Hongkong an diesem Sonntag über sich ergehen lassen. Das größte Feuerwerk aller Zeiten wird die ehemalige englische Kronkolonie erleben, und als Ehrengast kommt KP-Chef Hu Jintao aus Peking auf Besuch. Natürlich wird Han an den offiziellen Veranstaltungen nicht teilnehmen. Doch hat auch er Grund zufrieden zu sein. Noch vor zehn Jahren war Hongkong eine Stadt ohne eine lebendige demokratische Zivilgesellschaft. Zwar gab es eine demokratische Partei im schon damals machtlosen Stadtparlament, dessen charismatischer Führer Martin Lee vom US-Präsidenten Bill Clinton als Vorkämpfer der Menschenrechte gepriesen wurde. Aber die größten Demokratisierungshoffnungen beruhten bis zur Übergabe auf dem letzten britischen Gouverneur Chris Patten.

Heute ist das anders. Aus Respekt und Furcht vor Pekings Übermacht hat die Stadt ihre eigene Protestkultur entwickelt. Vom Kampf gegen die Luftverschmutzung über den Denkmalschutz bis hin zur Armenhilfe: Alles wird heute in der Stadtöffentlichkeit von aktiven Bürgergruppen verhandelt. Wichtigstes politisches Ereignis der letzten zehn Jahre war die längst historische Großdemonstration von einer halben Million Hongkonger am 1. Juli 2003. Sie zogen gegen ein neues Sicherheitsgesetz auf die Straße - das Peking anschließend zurückzog. Seit dem Tag haben sich die Machtverhältnisse in der Stadt geändert. Peking weiß, dass es Hongkong nicht willkürlich regieren kann, ohne damit Massenproteste und weltweite Imageschäden auszulösen.

Unerwartet stark sind dabei die Rückwirkungen auf China. "In den letzten zehn Jahren haben Austausch und Zusammenarbeit zwischen NGOs in Hongkong und der Volksrepublik ständig zugenommen", beobachtet Ho Wai Chi, Generalsekretär einer Familienstiftung in Hongkong, die soziale Projekte in der Volksrepublik unterstützt. Ho ist ein alter NGO-Hase. Er war langjähriger Büroleiter von Greenpeace in Hongkong, später kümmerte er sich um später um Wohlfahrtsprojekte. "Vor 1997 standen NGOs in Hongkong kaum Finanzmittel zur Verfügung; sie dienten meist nur als Kontaktbüros internationaler Gruppen", erinnert sich Ho. Inzwischen sei etwa die Hongkonger Oxfam-Gruppe zur weltweit finanzstärksten Niederlassung der britischen Entwicklungshilfeorganisation angewachsen und unterhalte über achtzig Projekte in China. Erfolgreich sei auch der Hongkonger Gewerkschaftsbund (Hongkong Federation of Trade Unions), der unlängst einen Bericht über illegale Arbeitspraktiken bei der Herstellung von Olympia-Maskottchen für die Spiele 2008 in Peking veröffentlichte. Die Schlagzeilen zwangen die KP, eigene Untersuchungen einzuleiten.

"Der Einfluss der NGOs in China ist phänomenal gewachsen", sagt Ho. Er habe beobachtet, was die Hongkonger die Chinesen lehrten: Wie man ein Projekt effizient und transparent manage, wie man die Bedürfnisse der Gesellschaft verstehe und Spenden gewinne. Der Hongkonger Einfluss reiche bis nach Peking, wo die Regierung gerade ein neues Spendengesetz schreibe, dass der Philanthropie in China erstmals eine Chance gebe, erzählt Ho. Folgt man Leuten wie Ho und Han, dann ist in Hongkong eine NGO-Guerilla entstanden, die die Volksrepublik heute mit zivilgesellschaftlichen Methoden unterwandert. Und solange die Guerilla nicht stark genug ist, die alte Hongkong-Formel "Ein Land, zwei Systeme" zu bedrohen, lässt die KP sie offenbar gewähren. Ein Feuerwerk ist eben populärer als ein Guerillakrieg.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.