Atomenergie: Der Knall bei Vattenfall

Schon wieder wird eine Panne im Atomkraftwerk Brunsbüttel bekannt. Weil Vattenfall nachlässig informiert, prüft Kiel nun rechtliche Schritte.

Und noch einer: Störfall wird in Krümmel Normalfall. Bild: dpa

Dem Energiekonzern Vattenfall droht der Lizenzentzug für den Betrieb der Atomkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel. "Ich scheue keine Schritte gegen Vattenfall, denn ganz offensichtlich liegt die Sicherheitskultur hier im Argen", erklärte am Montag Sozialministerin Gitta Trauernicht (SPD), die der Atomaufsicht in Schleswig-Holstein vorsteht. Es sei nun rechtlich zu klären, ob Vattenfall die beiden AKW weiter betreiben dürfe, teilte sie nach einem Krisengespräch zwischen dem Energiekonzern, dem Bundesumweltministerium und ihrer Behörde mit.

Anlass war die Informationspolitik des Konzerns nach den Störfällen in Krümmel und Brunsbüttel. Vattenfall hatte am 1. Juli erklärt: "Die Störungen in Krümmel und Brunsbüttel waren konventioneller Art und standen nicht mit dem Nuklearbereich der Anlagen in Verbindung." Später musste der Konzern einräumen, dass das schlicht falsch war. Gestern versprach Bruno Thomauske, Geschäftsführer der Vattenfall Europe Nuclear Energy GmbH, das Unternehmen werde künftig besser über Ereignisse in seinen AKW informieren. Vorfälle in Krümmel und Brunsbüttel würden ab sofort nicht nur der Aufsichtsbehörde, sondern unverzüglich auch der Öffentlichkeit mitgeteilt und im Internet veröffentlicht. Auch über andere wichtige Vorkommnisse werde Vattenfall unmittelbar berichten.

Donnerstag, 28. Juni: Das Atomkraftwerk Brunsbüttel fährt nach einem Kurzschluss automatisch herunter. Gut eineinhalb Stunden später geht auch der Reaktor Krümmel vom Netz. Betreiber Vattenfall informiert am Nachmittag: "Die Abschaltung im Kernkraftwerk Krümmel wurde durch einen Brand in einem Transformator ausgelöst. Die Ursache des Feuers ist bislang unklar. Der Transformator befindet sich außerhalb des Reaktorgebäudes auf dem Hof des Kraftwerks. Die Feuerwehr hat den Brand inzwischen unter Kontrolle."

Freitag, 29. Juni: Offiziell heißt es in einer Vattenfall-Mitteilung: "Die Sicherheitssysteme haben wie vorgesehen funktioniert." Der Konzern hat zu dem Zeitpunkt laut späteren eigenen Angaben bereits in einer internen Mitteilung die Atomaufsicht im Kieler Sozialministerium aufgeklärt, dass die Schnellabschaltung nach dem Brand auch auf den Reaktorbereich Krümmels Auswirkungen hatte.

Samstag, 30. Juni: Die Kieler Sozialministerin Gitta Trauernicht (SPD) versichert in einer Pressemitteilung: "Die Schnellabschaltungen der Kernkraftwerke Brunsbüttel und Krümmel haben ordnungsgemäß funktioniert." Vattenfall betont in einer Presseinformation: "Die Störungen in Krümmel und Brunsbüttel waren konventioneller Art und standen nicht mit dem Nuklearbereich der Anlagen in Verbindung."

Dienstag, 3. Juli: Das Kieler Sozialministerium spricht erstmals von "Auffälligkeiten" und führt unter anderem den "unplanmäßigen Ausfall" einer von mehreren Wasserpumpen auf sowie das "unplanmäßige Öffnen" von zwei Sicherheits- und Entlastungsventilen. Dadurch seien binnen Augenblicken Wasserpegel und -druck im Reaktordruckbehälter gesunken. Die Notsysteme hätten allerdings sofort reagiert.

Doch erst einmal geht es um Versäumnisse der jüngsten Vergangenheit. Laut Atomgesetz kann die Betriebsgenehmigung für einen Reaktor widerrufen werden, wenn eine Genehmigungsvoraussetzung wegfällt. Und die knüpft Paragraf 7 des Gesetzes an die "Zuverlässigkeit" und "Fachkunde" des Betreibers. "Es dürfen keine Tatsachen vorliegen, aus denen sich Bedenken gegen die Zuverlässigkeit des Betreibers ableiten lassen", so das Ministerium am Montag. Zusätzlich müsse das Leitungs- und Betriebspersonal einen sicheren Betrieb der Anlage gewährleisten können.

In den vergangenen Jahren stand die Zuverlässigkeit der Brunsbüttel- und Krümmel-Verantwortlichen allerdings schon öfter in Frage. So hatte der Konzern nach der schweren Panne im schwedischen Vattenfall-AKW Forsmark erklärt, in Deutschland könne Ähnliches nicht passieren, weil die Reaktoren hier ganz anders gebaut seien. Ein Vergleich der technischen Schaltpläne zeigte: Brunsbüttel verfügte über dieselben Sicherheitsaggregate, die in Forsmark beinahe zum GAU geführt hatten.

Bereits 2002 versuchte die Kieler Atomaufsicht dem Brunsbüttel-Betreiber die Lizenz zu entziehen: Im Dezember 2001 hatte eine Knallgasexplosion Sicherheitssysteme zerstört - das Kraftwerk lief bis Mitte Februar weiter. Vattenfall-Vorgänger HEW umging den Entzug der Betriebsgenehmigung mit einem Bauernopfer: Die Kraftwerksleitung musste ihren Hut nehmen, auch der "kerntechnische Sicherheitsleiter". Ein Schulungsprogramm und Qualifizierungsmaßnahmen für das Personal wurden aufgelegt, die neue Leitung wurde kurzerhand für "zuverlässig" erklärt. Die damals rot-grüne Landesregierung musste sich zufriedengeben.

Experten bezweifeln, dass die Erfolgschancen heute anders sind. "Ministerin Trauernicht vertaktiert sich", urteilt etwa Gerd Rosenkranz, Atomexperte der Deutschen Umwelthilfe. So halte sie seit Jahren eine Mängelliste des Brunsbütteler Reaktors unter Verschluss, um mit diesem Papier zur Retterin des rot-grünen Atomausstieges zu werden. Brunsbüttel soll demnach spätestens 2009 vom Netz gehen, dem Bundesumweltministerium liegt jedoch ein Antrag auf Weiterbetrieb vor. Rosenkranz: "Sollte Bundesumweltminister Gabriel umfallen, glaubt Trauernicht, mit ihrer Mängelliste Totengräberin für Brunsbüttel sein zu können." Die Umwelthilfe klagt seit Monaten gegen Trauernicht auf Veröffentlichung der Liste.

Tatsächlich ist die Konstellation Trauernicht/Gabriel pikant: Als niedersächsischer Ministerpräsident machte Gabriel Trauernicht 2000 zur Sozialministerin. Die Zusammenarbeit galt als schwierig. Nach dem Forsmark-Unfall kritisierte die Ministerin "mit dem größten Befremden", wie Gabriel ihr Haus über den Störfall informiert habe. Der konterte, Trauernicht wisse nicht, wie die Meldekette funktioniert, ein tagelanger "Meldezoff" folgte. Das ist auch der Union noch in Erinnerung: Die Bundeskanzlerin verfolge die Diskussion "sehr genau", erklärte gestern Regierungssprecher Thomas Steg.

Der Bundesumweltminister steckt als oberste Atomaufsicht nämlich in einem Dilemma: Nur die Kieler Atomaufsicht ist noch in der Hand der SPD, alle anderen Länderministerien werden von CDU-Politikern geleitet. Deshalb ist Gabriel an Erfolgsmeldungen aus Kiel interessiert. Die allerdings wird es so schnell nicht geben. "Bevor eine rechtliche Bewertung möglich ist, muss erst einmal geklärt werden, was genau passiert ist", erklärte Umweltrechtler Wolfgang Ewer, der für Trauernicht den Entzug der Lizenz prüft, der taz. Er geht davon aus, dass noch etliche Details aus den Reaktoren Krümmel und Brunsbüttel ans Licht kommen werden.

Der Mann sollte Recht behalten: Am Abend meldete Kiel ein neues Detail der Schlamperei von Brunsbüttel. "Es gibt Probleme mit der Messleitung zur Überwachung des Reaktorfüllstands", so die Experten. Vattenfall erklärte, den Hinweisen nachgehen zu wollen - in den nächsten zwei Wochen.

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