Musikvideos: "Das Excitement ist raus"

Hannes Rossacher und Partner Dolezal - DoRo - drehten Musikvideos. Einst hätten Videos den Zeitgeist getragen, sagt Rossacher. Doch statt Musikfernsehen sieht er heute lieber Youtube

Für das großartige Amadeus-Video ist Hannes Rossacher mitverantwortlich Bild: doro

taz: Herr Rossacher, vor 20 Jahren kam MTV nach Deutschland. Wie viel Musikfernsehen gucken Sie heute?

Rossacher: Ich schaue das fast nicht mehr. Wenn ich etwas über eine neue Band oder ein neues Video lese, gehe ich online und kann mir binnen 30 Sekunden das Video anschauen - sei es auf Youtube oder auf der Website des Künstlers. Ich habe keine Geduld mehr, einen Kanal anzuschalten und darauf zu warten, dass das Video bald läuft. Ich will es gleich - oder ich will es nicht mehr.

Das Musikfernsehen hat sich also überlebt.

Ich glaube, dass sich die Gruppe, die diese Geduld mitbringt, so stark verkleinert hat, dass sich ein darauf basierendes Programm nicht mehr rentiert.

Zusammen mit Ihrem Partner Rudi Dolezal waren Sie maßgeblich an der Gründung von Viva beteiligt.

Ich schäme mich angemessen. Ich kann da heute überhaupt nicht mehr zuschauen, muss sofort weiterschalten.

Warum?

Es hat alles verloren. Auch wenn man sagen muss, dass Viva schon immer sehr kommerziell war, allerdings als Neuling auf dem Markt auch nicht anders konnte, als gesendeter Zuschauerwille zu sein. Ich erinnere an so einsame Höhepunkte wie "Angel" von der Kelly Family. Theoretisch ist es verboten, so etwas zu zeigen. Bei Viva wurde es bis zum Erbrechen gespielt. Aber man darf auch nicht vergessen, wie nachhaltig Viva die deutsche Medienlandschaft belebt hat.

Was hat Viva falsch gemacht?

Der Sender hat den Schritt zum Vollprogramm verschlafen, den MTV Amerika vorgemacht hat.

Drehen Sie noch Musikvideos?

Vielleicht drei pro Jahr. Zum Beispiel für Bands wie Ich & Ich und Texas Lighting, denen ich mich verbunden fühle. Und es sind Künstler mit Substanz.

Was darf ein Video für eine Band wie Ich & Ich kosten?

Da sprechen wir von etwa 30.000 Euro.

Welche Künstler drehen noch für sechsstellige Beträge?

Rammstein, würde ich mal annehmen, die veröffentlichten ihre Alben weltweit, sind auch im Ausland erfolgreich und haben immer sehr aufwändige Videos gemacht. Auch ein Herbert Grönemeyer investiert möglicherweise noch Budgets dieser Größenordnung. Aber üblich ist das nicht.

Trauern Sie den Zeiten der hohen Budgets nach?

Nein. Das Dasein als Musikvideoregisseur in unseren mitteleuropäischen Breiten hatte zu allen Zeiten Züge der Selbstausbeutung. Und niedrige Budgets sind nicht per se schlecht. Das Problem ist eher, dass das Excitement raus ist. Ich kann mich noch gut an die Anfänge von MTV in Amerika in den frühen Achtzigern erinnern. In L. A. lief MTV damals in jeder Bar, in jedem Club. Die Leute haben vor den Bildschirmen geklebt. Es war ein Erlebnis, gemeinsam Videos zu schauen. Eine Zeitlang haben Musikvideos den Zeitgeist getragen. Sie waren das Gleitmittel der Achtzigerjahre.

Was zeichnet die Kunstform Musikvideo aus?

Ein gutes Musikvideo baut ein Spannungsfeld mit dem Song auf. Es entsteht ein suggestives Zusammenspiel mit der Stimmung des Liedes. Das kann eine Einstellung sein, die durchläuft, oder ein Gemetzel an Shots.

Können Sie ein Video nennen, bei dem das besonders gut funktioniert hat?

Zum Beispiel "Rock me Amadeus" von Falco. Der Song wäre auch ohne unser Video, das ständig im Fernsehen lief, ein Welthit geworden, die Visualisierung hat die Wirkung allerdings gehoben. Man kann durch das teuerste Video einen schlechten Song nicht zum Hit machen: Wenns nicht fliegt, fliegts nicht. Genauso wenig kann ein sauschlechtes Video einen Hit verhindern. "Angel" war auch durch das scheußliche Video nicht zu stoppen.

Gibt es Arbeiten, die Ihnen richtig peinlich sind?

Wir haben auch einige Videos mit starkem Dienstleistungscharakter gemacht, zum Beispiel "Atlantis is calling" für Modern Talking. Auch später haben wir in unserer Firma Videos gedreht, die keine kulturellen Tiefenbohrungen waren: Mr. President, Tic Tac Toe. Wir hatten schließlich am Höhepunkt mehr als 70 feste Mitarbeiter allein für die Videoproduktion, die wir beschäftigen und finanzieren mussten.

Ende 2002 mussten Sie Insolvenz anmelden. Warum?

Weil wir zu schnell gewachsen sind - unter dem Dach der DoRo Media AG gab es 17 GmbHs. Und der Versuch, an die Börse zu gehen, schlug fehl, weil die Begeisterung für die New Economy schon wieder vorbei war. Als dann unser Hauptinvestor pleitegegangen ist, war es endgültig vorbei.

Wie arbeiten Sie heute?

Wir sind zur Konstellation der Anfangszeiten von DoRo zurückgekehrt: zwei freie Regisseure, die in Form einer GmbH zusammenarbeiten. Wir haben heute knapp zehn Mitarbeiter. Für Produktionen engagieren wir dann eine Crew aus Freien.

Was produzieren Sie?

Neben Fernsehübertragungen von Konzerten habe ich in letzter Zeit vor allem Dokumentationen zu popkulturellen Themen gemacht: den Sechsteiler "Get up, stand up" über die Entwicklung politischer Inhalte in der Popmusik und einen Vierteiler zum "Summer of Love". Außerdem arbeite ich mittlerweile auch im Bereich Theater und Oper.

Herr Rossacher, sind Sie zufrieden?

Ja. Ich mag, was ich mache. Meine Interessen haben sich verschoben. Das mag am Alter liegen.

INTERVIEW: DAVID DENK

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