Tierversuche: Unsterbliche Zellen

Rund 100 Millionen Säugetiere werden jährlich weltweit für Tierexperimente genutzt. Die Zahl steigt, obwohl zunehmend nach Alternativmethoden gesucht wird.

Der Klassiker unter den Tierversuchs-Tieren: die weiße Maus. Bild: dpa

Im Jahr 1971 verhalf Bruce Ames den Salmonellen zu weltweitem Ansehen. Der US-amerikanische Molekularbiologe hatte damals herausgefunden, wie die stabförmigen Bakterien der Art Salmonella typhimurium auf krebserregende Stoffe und DNA-verändernde Umweltreize reagieren. Seitdem nahmen die Winzlinge Einzug in die Pharmalabore dieser Welt. Noch heute werden sie im "Ames-Test" eingesetzt, um zu untersuchen, ob bestimmte Arzneistoffe das Erbgut schädigen können. Der Ames-Test ist nicht nur relativ billig und schnell, er hat auch viele Tierversuche ersetzt.

Seit den 70er-Jahren sind zahlreiche solcher Alternativen zu Tierversuchen entwickelt worden. Um die wissenschaftlichen Fortschritte bei den Ersatzmethoden geht es auf der am Freitag beginnenden 14. internationalen Konferenz über Alternativen zu Tierversuchen im österreichischen Linz.

Schon seit einigen Jahren hat der Einsatz von Zellkulturen die Testverfahren revolutioniert. Dabei werden wenige menschliche oder tierische Zellen mit einer Nährlösung vervielfältigt. Auch Irmela Ruhdel, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Münchener Tierschutzakademie, arbeitet mit diesem Material. "Wir können die Zellen sogar unsterblich machen", sagt Ruhdel. Werden sie mit bestimmten Viren behandelt, wachsen sie selbstständig weiter. Die WissenschaftlerInnen haben somit ständig frisches Material. An der Münchener Akademie wird derzeit eine künstliche Augen-Hornhaut gezüchtet, die in Zukunft als Testmaterial für Chemikalien verwendet werden soll.

Wurden die Substanzen früher lebenden Kaninchen in die Augen geträufelt, eine sehr schmerzhafte Prozedur, ist bereits seit dem Jahr 2005 der sogenannte HET-CAM-Test in Deutschland vorgeschrieben, bei dem eine Haut im gebrüteten Hühnerei die Hornhaut ersetzt.

Auch künstliche Organ- oder Hautmodelle gibt es heute, etwa "Episkin", eine Kunsthaut, die vom französischen Kosmetik-Konzern L'Oreal entwickelt wurde. So können etwa neue Cremes ohne tierische Tests auf Hautreizungen getestet werden.

Episkin ist Basis für eines von neun in der EU anerkannten Alternativverfahren zu Tierversuchen. Bei der Überprüfung von Impfstoff-Chargen werden heute außerdem durch bessere statistische Verfahren und eine gezieltere Auswahl der Versuchstiere nur noch 16 statt früher rund 150 Tiere gebraucht.

Bevor die neuen Methoden zum Standard erklärt werden, müssen sie vom europäischen Zentrum für die Bewertung von Alternativmethoden (ECVAM) erprobt werden. Ist diese Hürde genommen, entwirft die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ein allgemeinverbindliches Regelwerk für das Verfahren. Erst danach ist es auf dem europäischen Markt zugelassen und muss laut der EU-Tierversuchsrichtlinie auch eingesetzt werden.

Bis es so weit ist, dauert es meist viele Jahre. Das liegt nicht nur an den unterschiedlichen nationalen Standards: "Die Behörden nehmen zu wenig Geld in die Hand", sagt Walter Pfaller, wissenschaftlicher Vorstand des österreichischen Zentrums für Ersatz- und Ergänzungsmethoden zu Tierversuchen. So fehlen zum Beispiel die notwendigen Labor-Kapazitäten. Auch gibt es keine EU-weite Tierversuchsdatenbank, weshalb oftmals doppelt getestet wird.

Das Beispiel L'Oreal zeigt allerdings: Auch die Unternehmen haben ein Interesse daran, neue Verfahren zu entwickeln, weil diese in den meisten Fällen schlicht günstiger sind als aufwändige Testreihen mit Tieren. Zudem kann der Prüfprozess beschleunigt werden, wie die neue EU-Kosmetikrichtlinie aus dem Jahr 2003 zeigt. Demnach sind ab 2009 alle Tierversuche mit Kosmetika verboten, ab 2013 dürfen auch keine Produkte mit entsprechenden Inhaltsstoffen mehr in der EU vermarktet werden. In zwei Jahren muss es also neue Testmethoden geben.

Auf der Konferenz in Linz werden sich die WissenschaftlerInnen auch mit der umstrittenen EU-Chemikalienrichtlinie, abgekürzt REACH, auseinandersetzen. Sie ist seit dem 1. Juni in Kraft. Tierschutzverbände hatten REACH kritisiert, weil dadurch in den kommenden Jahren mehr als 30.000 Chemikalien auf ihre Gefahren für den Menschen getestet werden müssen, auch wenn die Richtlinie einen möglichst geringen Einsatz von Tieren vorschreibt. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) geht von rund 7,5 Millionen zusätzlich benötigten Tieren aus - wenn zügig Alternativverfahren zugelassen werden.

Ein Vorschlag der deutschen Prüfstelle für Alternativverfahren zu Tierversuchen (Zebet) könnte schon nächstes Jahr verbindlich werden. Die EU-Richtlinie sieht für alle Stoffe, die in Mengen von über 1.000 Tonnen hergestellt werden, so genannte Zwei-Generationen-Tests vor, wofür jeweils rund 3.000 Tiere benötigt werden. Die Zebet hat jedoch herausgefunden, dass auch Ein-Generationen-Tests mit rund der Hälfte der Tiere aussagekräftig genug sind. Ein entsprechender Vorschlag liegt bereits der OECD vor. Gibt sie grünes Licht, könnte die Zahl der Versuchstiere in den kommenden drei Jahren um 2,8 Millionen sinken, schätzt die Zebet.

Die Tiere bekommen den Trend hin zu neuen Alternativmethoden jedoch noch nicht zu spüren. In Deutschland und anderen europäischen Ländern steigen die Gesamtzahlen der Tierversuche sogar, hierzulande zwischen 2000 und 2005 um rund 600.000 auf gut 2,4 Millionen im Jahr. Grund ist die wissenschaftliche Boom-Branche der Gentechnik, bei der besonders viele Tiere "verbraucht" werden.

Gerade wenn es um komplexe Wirkmechanismen von Medikamenten und die Langzeitschäden von Stoffen geht, glauben die Unternehmen nicht, auf Tierversuche verzichten zu können. Anders denkt Irmela Ruhdel: Sie kann sich schon heute eine tierversuchsfreie Welt vorstellen, vorausgesetzt, die Alternativen werden schnell durchgesetzt. Der österreichische Experte Pfaller ist da bescheidener: Seine Vision wären "ganz wenige Tierversuche": Statt heute 190.000 gebrauchter Tiere jährlich in Österreich weniger als 10.000.

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