Kolumne Klatsch: Zwei Teufel für den Pfarrer

Alles wird in den Medien kritisiert und getestet. Nur der Pfarrer darf unbeobachtet predigen. Warum eigentlich?

Restaurantkritiker gilt als ehrenwerter Beruf. Er isst, nicht um satt zu werden, sondern aus dem uneigennützigen Grund, vor dem Koch zu warnen oder ihn zu empfehlen. Um ein gerechtes Urteil zu fällen, muss sich der Restaurantkritiker durch Gänsestopfleber graben, Berge von Schwertfischcarpaccio vernichten und manchmal sogar Froschschenkel in Senfsoße auslutschen. Ein hartes Los, das nur derjenige beneiden kann, der noch nicht zum hundertsten Mal in seinem Leben ein Lammkarree an Thymiankruste aß. Essen gehen müssen kann einem mit der Zeit die Lust daran verderben. Darum laufen viele Restaurantkritiker auch mit einem Gesicht durch die Welt, als hätten sie gerade auf Limettenschalen gebissen. Sie hassen ihren Beruf, aber sie können nicht aufhören damit, denn die Welt schreit nach Kritik, will Sterne verleihen und wieder entziehen. Loben und tadeln. Geheimtipps in Millionenauflage verbreiten. Wir sind süchtig nach Kritik und Bestsellerlisten.

Ob die vom Spiegel festgestellten fünf besten Jura-Fakultäten oder die in Focus aufgelisteten zehn besten deutschen Augenärzte wirklich etwas taugen, bleibt den allermeisten Lesern zum Glück verschlossen. Meist reicht es uns ja schon aus, dass wir von der Existenz einer Rangliste wissen. Ob es noch ein anderes Land gibt, in dem die "Stiftung Warentest" oder "Ökotest " einen ähnliche Anbetung erfahren wie hierzulande, ist nicht bekannt. Aber ziemlich unwahrscheinlich.

Umso erstaunlicher ist es, dass es einer ganzen Berufsgruppe bislang gelang, unbemerkt durch das engmaschige Netz der Tester und Kritiker zu schlüpfen. Es wird wohl daran liegen, dass sie ihr Gewerbe vorwiegend am Sonntagmorgen ausüben, wo der gemeine Kritiker, noch erschöpft von seinem vorabendlichen Konzert- oder Restaurantbesuch, im Bett liegt. Die Pfarrer sind die letzte noch nicht in eine Rangliste eingeordnete Spezies.

Man stelle sich auch nur einmal vor, die Süddeutsche oder die Frankfurter Allgemeine Zeitung würden ihre Leser am Montagmorgen damit überraschen, dass sie die Predigt eines Geistlichen nach objektiven Kriterien zerlegten wie der schon erwähnte Restaurantkritiker seinen Hummer. "Am Anfang seiner gestrigen Predigt ließ es Pfarrer Heiner Gruber an Wortwitz fehlen, sprach viel zu leise und steigerte sich erst am Ende, als er auf den 2. Samuel Kapitel 16, Vers 22 zu sprechen kam, zu einer doch noch hinreißenden Andacht. In der Kirche war es im Übrigen kalt und nur siebzehn vorwiegend alte Frauen besuchten seinen Gottesdienst."

Die Redaktion könnte sich am Montag nicht vor wütenden Anrufen retten. Ich weiß das deshalb, weil ich vor Jahren in München den Versuch unternahm, genau dies zu tun. Jeden Sonntag ging ich in eine x-beliebige Kirche und ließ die Leser am Montag in der Abendzeitung daran teilhaben.

War der Pfarrer gut, die Kirche geheizt und der Organist einigermaßen tastensicher, gab es dafür eine symbolische Bibel verliehen. Im Extremfall auch mal drei. War die Predigt zum einschlafen, die Musik zum davonlaufen und die Liturgie nur heruntergeleiert, verteilte ich Teufelchen.

Einmal begleitete mich auf meinem sonntäglichen Kirchgang ein Fernsehteam von RTL. Die fanden das Ganze so komisch, dass sie einen lustigen Beitrag darüber ausstrahlten. Der Kirchenkritiker, der mit spitzer Feder in der letzten Reihe sitzt und den Pfarrer erzittern lässt.

Echte Nachahmer hat meine innovative Idee nicht gefunden. Die Rubrik ist inzwischen längst eingestellt. Nur das evangelische Monatsmagazin chrismon lässt nicht locker. Hin und wieder bitten sie mich, sonntags für sie loszuziehen, und dann finde ich mich in einer hinteren Kirchenbank wieder, schreibe, während der ahnungslose Pfarrer predigt, heimlich Notizen in meinen Block. Ich komme mir dabei jedes Mal vor wie ein Agent, der etwas Verbotenes tut.

Fragen an den Kritiker? kolumne@taz.de Morgen: Kirsten Reinhardt KATASTROPHEN

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