Atomkraft: "Gravierende Lücken bei der Sicherheit"

Die vier ältesten Meiler in Deutschland sind nicht ausreichend gegen Terrorangriffe geschützt, sagt Ulrich Kelber

taz: Herr Kelber, was lehren uns die Geschehnisse in Brunsbüttel und Krümmel?

Ulrich Kelber: Die Vorgänge zeigen, dass bei Atomkraftwerken, je älter sie werden, der Störfall der Normalfall ist. Besondere Sorge macht, dass die Folgen der Störfälle nicht vorhersehbar waren. Fragen, wie "Welche Auswirkungen haben Kurzschlüsse auf den Ausfall von Systemen, wie lange müssen bestimmte Sicherheitseinrichtungen gegen Feuer gesichert sein?" zeigen, dass man sich bei der Hochrisikotechnologie Atomkraft nicht wirklich auf alle Ereignisse einstellen kann, die eintreten können. Das ist eine Tatsache, die Furcht einflößt.

Innenminister Schäuble will mehr Möglichkeiten im Kampf gegen den Terror. Nach dem 11. September war viel über das Anschlagsziel AKW debattiert worden. Sucht Schäuble an der falschen Stelle nach Sicherheit?

Die Verbindung Terrorismus und Atomkraft ist in doppelter Hinsicht wichtig. Die erste Frage ist: Welche Risiken leistet sich eine Gesellschaft? Die Mehrheit der Deutschen hält die Atomenergie für so gefährlich, dass sie sich dagegen ausspricht. Wenn Schäuble zweitens dass Gefährdungspotenzial, mit dem er seine Pläne begründet, wirklich ernst nimmt, müsste er aufstehen und sagen: Die vier ältesten deutschen Atomkraftwerke, die nicht annähernd gegen terroristische Anschläge gesichert sind, müssen sofort vom Netz

sie meinen Biblis A, Biblis B, Neckarwestheim und Brunsbüttel?

Ja. Die Analyse auf Terrorsicherheit hat gravierende Lücken bei diesen Reaktoren ergeben. Deshalb müssen sie sofort abgeschaltet werden. Die Betreiber sollten gemäß Atomkonsens die Reststrommengen dieser Reaktoren auf neuere Anlagen übertragen und die vier AKWs schnellstens vom Netz nehmen.

Der Bericht, den Vattenfall nun vorgelegt hat, belegt weitere Lügen von Vattenfall.

Vattenfall steht unter besonderer Beobachtung. Es geht aber nicht nur um schlechte Informationspolitik. Der Konzern hat vor dem Energiegipfel im Kanzleramt erklärt, das Innere des Reaktorbereichs sei nicht betroffen gewesen. Aber natürlich wusste Vattenfall, dass das Innere sehr wohl betroffen war. Hier geht es um eine bewusste, politisch motivierte Lüge.

Um den Energiegipfel zu retten?

Ganz genau. In der Debatte um die Atomenergie geht es nicht um günstigen Strom für den Verbraucher. Es geht nicht um Klimaschutz, nicht um Versorgungssicherheit. Es geht bei der Debatte um eine einzige Sache: Wie viel Knete kann die Betreibergesellschaft an den Mutterkonzern abführen. Das ist bei Vattenfall genauso wie bei den anderen Konzernen RWE, EnBW und Eon, die Laufzeitverlängerungen für alte, terrorgefährdete Reaktoren gestellt haben.

INTERVIEW: NICK REIMER

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