Organspende: Privatpatienten bevorzugt

Bei der Verteilung von Spenderorganen gehe es nicht gerecht zu, vermuten Gesundheitspolitiker.

Verbindliche Kriterien zur Verteilung lebensrettender Organe fehlen. Bild: dpa

HAMBURG taz | Im Dezember wird das Transplantationsgesetz (TPG) zehn Jahre alt. Gemessen an seinem Anspruch, die chronische Knappheit verfügbarer Körperteile zu beseitigen, fällt die Bilanz jedoch ernüchternd aus: Nach wie vor stehen hierzulande rund 12.000 Menschen auf den Wartelisten für ein fremdes Organ. Zudem wächst der Argwohn, ob es beim Verteilen gespendeter Körperstücke überhaupt gerecht zugeht.

Für Unruhe sorgt etwa der SPD-Gesundheitspolitiker Wolfgang Wodarg, sein Vorwurf: "Privatpatienten werden bei der Organspende bevorzugt!" Wodarg verweist auf eine Statistik, die er beim SPD-geführten Bundesgesundheitsministerium (BMG) abgefragt hat. Demnach erhielten Mitglieder privater Krankenversicherungen 2005 rund 20 Prozent aller verpflanzten Herzen und Lungen sowie 16 Prozent der Nieren.

Da nur etwa jeder zehnte Bürger hierzulande privat versichert sei, dränge sich der Verdacht auf, dass Transplanteure lukrative Privatpatienten "bevorzugt bedient" hätten, folgert Wodarg. Zu bedenken sei auch, dass Privatversicherte eine durchschnittlich längere Lebenserwartung und geringere Krankheitsraten als Mitglieder gesetzlicher Kassen aufwiesen.

Die von Wodarg zitierten Zahlen seien "nicht repräsentativ", kontert BMG-Sprecher Klaus Vater; auch Verbände von Krankenkassen wandten sich gegen den Verdacht der Zweiklassenmedizin. Aber Statistiken und Studien, die Wodargs Interpretation plausibel widerlegen könnten, präsentierten sie bisher nicht.

Wodarg will nicht locker lassen: "Ich fordere, dass man die Transplantationskliniken einzeln kontrolliert und nachschaut, ob es da regionale Unterschiede gibt." Wie die aussehen können, zeigt das Beispiel Nordrhein-Westfalen, wo sechs Unikliniken Organe verpflanzen. Während in Aachen und Köln kaum Privatpatienten transplantiert wurden, ist ihr Anteil in den anderen Zentren durchweg zweistellig.

Deutlich vorn liegt das Uniklinikum Essen, wo von 2006 bis Mitte 2007 insgesamt 313 Menschen ein fremdes Körperteil erhielten; 60 Patienten - also fast jeder fünfte - war privat versichert. Mitgeteilt hat dies das NRW-Wissenschaftsministerium auf Nachfragen des grünen Abgeordneten Ewald Groth. Was fehlt, ist eine Erklärung für auffällige Häufungen privater Patienten; ebenso Zahlen für die Jahre 2000 bis 2005, die das Ministerium aber nachreichen will.

Zu denken gibt eine weitere Essener Besonderheit: Seit Anfang 2006 sollen dort neun Patienten aus Staaten wie Israel, Russland, Saudi-Arabien und Italien ein Körperstück eines "Hirntoten" erhalten haben. Diese Länder liegen allerdings nicht im Gebiet der Organvermittlungsstelle Eurotransplant (ET). Sie sitzt im niederländischen Leiden und koordiniert den Körperteilaustausch zwischen Bürgern aus Deutschland, Österreich, Kroatien, Slowenien und den Beneluxländern.

Klinikmanager wissen, dass es in Staaten wie Saudi-Arabien, Russland oder Israel reichlich reiche Patienten gibt, die bereit sind, viel Geld für Operationen im Ausland zu zahlen. Große Aussichten auf ET-Organe dürften sie hierzulande eigentlich nicht haben. Denn angesichts der Organknappheit haben die Zentren im ET-Verbund schon vor Jahren eine Hürde aufgebaut: Der Anteil von Patienten, die nicht aus ET-Ländern stammen, darf auf den Wartelisten für Lebern und Herzen maximal fünf Prozent der Transplantationen des Vorjahres betragen; Nieren bleiben ihnen ganz verwehrt.

Ob sich tatsächlich alle Transplantationszentren an diese Selbstbeschränkung halten, ist allerdings ungewiss. Zwar werden die Daten aller Kliniken bei Eurotransplant gesammelt; sie sind aber für die Öffentlichkeit nicht einsehbar, und Sanktionen bei Verstößen gibt es auch nicht.

"Es hat geringfügige Überschreitungen der Fünf-Prozent-Grenze hier und da mal gegeben", sagt Professor Hans Lilie, Vorsitzender der Ständigen Kommission Organtransplantation bei der Bundesärztekammer (BÄK), die auch Auffälligkeiten bei der Organverteilung überprüfen soll. Details und schwarze Schafe will der Strafrechtler von der Uni Halle allerdings nicht verraten.

Immerhin sah sich die BÄK-Kommission jetzt veranlasst, alle Transplantationszentren förmlich aufzufordern, die Selbstverpflichtung, die ja den ET-Bürgern dienen soll, "konsequent zu beachten". Andernfalls könne die Organspendebereitschaft "erheblich" beeinträchtigt werden. Darüber hinaus appelliert Lilie an den Gesetzgeber, verbindlich zu regeln, wie mit Patienten aus fernen Ländern umzugehen sei. Die Festlegung einer Quote sei keine ärztliche Angelegenheit, sondern ein "Politikum" - wofür der Bundestag auch die Verantwortung übernehmen müsse.

Erheblich weiter geht Professor Wolfram Höfling, Herausgeber eines Standardkommentars zum TPG. Dem Gesetz attestiert der Kölner Staatsrechtler "elementare, verfassungsrechtliche Defizite". Im Fachblatt JuristenZeitung (Heft 10/2007) kritisierte er vor kurzem "unzulängliche Entscheidungskriterien", "Intransparenz" und "Kontrolldefizite". Typisch sei dies auch für das Wirken von Eurotransplant und BÄK, die der Gesetzgeber beauftragt hat, Regeln zur Aufnahme in die Warteliste und für die Vermittlung von Organen festzulegen.

Höfling plädiert dafür, eine staatliche Organvermittlungsstelle einzurichten. Verbessern müsse die Politik zudem die Kriterien zur Organverteilung, bisher halte sie sich zu sehr zurück. "Alles Wesentliche", schreibt Höfling, "steht nicht im Gesetz." Unklar sei sogar, gegen wen und wo ein Patient eigentlich klagen kann, falls er sich ungerecht behandelt fühlt. Etwa, weil er nicht auf die Warteliste aufgenommen wurde oder meint, dort fehlerhaft platziert worden zu sein.

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