Fahnen und Hormonspiegel

Noch drei Wochen bis zur Fußballeuropameisterschaft: Die Eurokolumne (VIII), diesmal aus Wien, wo König Fußball im urlaubsreifen Parlament das Zepter übernommen hat

Vergangenen Dienstag wurde die Säulenhalle des Parlamentsgebäudes in Wien mit Kunstrasen ausgelegt. Auf Anregung der Dritten Nationalratspräsidentin Eva Glawischnig (Grüne) maß sich eine Prominentenauswahl mit einem Migrantenteam. Die als „Lehrspiel für Fairplay und gegen Rassismus“ deklarierte Partie endete mit dem versöhnlichen Ergebnis 4:4. Das rote Baumwolltrikot, das Glawischnig als „Fußballgöttin“ auswies, stammt aus garantiert fairer Produktion. Es ist auch mit den Aufschriften „Chefstrategin“, „Goleador“ und „Klimaschoner“ erhältlich.

Fußball, so zitierte Sportstaatssekretär Reinhold Lopatka (ÖVP) vor dem Match einen ehemaligen Trainer, sei „keine Frage von Leben und Tod, sondern viel wichtiger“. Bei manchen Politikern hat man schon in normalen Zeiten den Eindruck, Fußball sei ihnen zumindest wichtiger als ihre Mandatsarbeit. Kaum einer widersteht der Versuchung, sich bei Sportveranstaltungen in Szene zu setzen.

Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ) etwa hat bereits sein Erscheinen bei möglichst vielen EM-Spielen im Stadion angekündigt. Besuche von Regierungschefs, die ihre Nationalmannschaft auch sehen wollen, dienen ihm da als willkommener Vorwand. Wenn er nur nicht wieder ausgepfiffen wird, wie zuletzt im Wiener Hanappi-Stadion, der Spielstätte von Rapid Wien. Dass Politiker von sportlichen Großereignissen profitieren, ist wissenschaftlich keineswegs erwiesen. Umgekehrt rächt es sich mit Gewissheit, wenn Sportsfreunde nachhaltig verärgert werden. Das dachte sich auch Infrastrukturminister Werner Faymann (SPÖ), als er letzte Woche das gesetzliche Fahnenverbot für Fahrzeuge per Verordnung außer Kraft setzte. Die Kronen Zeitung, für billigen Patriotismus immer zu haben und zudem Hersteller rot-weiß-roter Fähnchen, dankte es ihm durch freundliche Berichterstattung. Bisher war das Beflaggen von Fahrzeugen einzig Vertretern der Republik vorbehalten.

In die Kronen Zeitung kommt man als Prominenter auch, wenn man eine Fußballwette abschließt. Also wettete der Finanzminister und Vizekanzler Wilhelm Molterer (ÖVP), dass Österreich ins Viertelfinale kommt. Widrigenfalls verpflichtete er sich nach der EM, eine oberösterreichische Schulklasse zu einem Länderspiel nach Wien einzuladen.

Als die Regierung im April auf der Kippe stand und beide Koalitionspartner bereits mit Neuwahlen spekulierten, wurde den Medien ein geheimes Strategiepapier der ÖVP zugespielt, worin ein Wahltermin für Anfang Juni angesetzt war. Das Fußballereignis wollte man sich weder durch Koalitionshader noch durch Wahlkampf verderben lassen. Wenn auf dem Rasen gekämpft wird, ruht die Politik. Das sehen auch die Abgeordneten so. Die Parlamentsferien wurden EM-bedingt um einen Monat vorverlegt. Schließlich liegt das Hohe Haus direkt an der Fanmeile auf der Wiener Ringstraße. Die Abgeordneten könnten durch den Trubel vor der Tür gestört werden, hieß es offiziell, obwohl mit Lärmentwicklung wohl erst dann zu rechnen ist, wenn die Spiele um 18 Uhr beginnen.

Während sich die Parlamentarier also zumindest über ihren verlängerten Urlaub freuen können, rechnet die Wirtschaft mit Impulsen: Hotelzimmer sind ausgebucht, Preise von Speisen und Getränken werden kräftig hinaufgeschnalzt. Nach Berechnungen der Handelskammer ist dank der EM mit Extraeinnahmen in Höhe von 641 Millionen Euro und mindestens 13.000 weiteren Arbeitsplätzen zu rechnen.

Angst um ihre Arbeitsplätze haben hingegen Damen, die ihre Dienste normalerweise im Umkreis des Stadions anbieten. „Prostituierte, die am Straßenstrich arbeiten, müssen durch die Menschenmassen mit Geschäftseinbußen rechnen“, weiß Renate Blum vom Migrantinnenverein Lefö. Sogenannte Verrichtungsboxen, mobile Bordelle für den Quickie zwischendurch, sollen vor allem in Kärnten aufgestellt werden. Die Grünen fordern ihr Verbot. Sie fürchten, dass vor allem Zwangsprostituierte eingesetzt werden sollen, um die zusätzliche Nachfrage zu befriedigen. Erfahrungen bei der WM 2006 in Deutschland haben allerdings gezeigt, dass der Hormonspiegel von Fußballfans überschätzt wurde.

RALF LEONHARD