Deutsch-polnisches Filmdebüt "Hope": Das Erleben von Extremsituationen

Stanisaw Muchas Spielfilmdebüt "Hope": Die Sonne scheint, das Radio spielt Bach, und dann passiert es.

Franciszek möchte herausfinden, was es bedeutet, Angst zu empfinden. Bild: Pandora Film

Ein junger Mann filmt einen älteren dabei, wie der ein wertvolles Renaissance-Gemälde aus einer Kirche stiehlt - und erpresst ihn. Innerhalb von drei Tagen soll er das Bild zurückbringen, sonst werden die Aufnahmen der Polizei zugespielt. Der Dieb versucht herauszufinden, wie ernst es dem Erpresser ist. Er jagt am nächsten Morgen dessen Auto in die Luft. Erstaunlicherweise ist der junge Mann unbeeindruckt. Ein gefährliches Spiel beginnt - mit ungewissem Ausgang für alle Beteiligten.

In "Hope", dem ersten Spielfilm des polnischen Dokumentarfilm-Regisseurs Stanislaw Mucha nach einem Drehbuch des Kieslowski-Autors Krzysztof Piesiewicz, bleibt vieles vage, da die Verbindungen zwischen Figuren und Ereignissen mehr angedeutet als auserzählt werden. Beinahe alles muss man sich hier selbst erarbeiten, vor allem die Innenwelten der Figuren sind unzugängliches Terrain.

Zwar observiert hier jeder jeden - sei es mit Ferngläsern, Überwachungs- oder Videokameras, ein Priester hat gar Akten über seine Gemeindemitglieder angelegt -, doch dies führt nicht zu einem tiefer greifenden zwischenmenschlichen Verständnis. Vielmehr ist es Ausdruck einer umfassenden Ratlosigkeit anderen, vor allem aber sich selbst gegenüber. So steht der blond gelockte Franciszek (Rafal Fudalej) vor dem großen Rätsel, wie um alles in der Welt er auf die Idee kommen konnte, den einflussreichen Galeristen Benedykt Weber (Wojciech Pszoniak) so eiskalt zu erpressen.

Eine eindeutige Antwort auf diese Frage gibt es nicht, allerdings liegt in der ersten Szene des Films wohl so etwas wie ein Schlüssel zum Verständnis all dessen, was folgt. Darin sieht man zwei kleine Jungs - Franciszek und seinen Bruder Michal - mit einem Ball spielen, während ihre Mutter, eine blonde Frau im weißen Kleid, auf der Terrasse sitzt. Die Sonne scheint, aus dem Radio erklingt Bach. Plötzlich rollt der Ball auf die Straße, Franciszek läuft hinterher, ein Lastwagen nähert sich, die Mutter springt auf, versucht ihren Sohn zu retten und gerät selbst unter die Räder.

Von diesem tragischen Ereignis wird sich die Familie nicht erholen. Der Vater, ein berühmter Dirigent, wird fortan von Schuldgefühlen zerfressen, Michal wird gar zum zweifachen Mörder. Franciszek selbst wirkt anfangs zwar nach außen hin gefestigt, doch nach und nach offenbaren sich auch bei ihm die durch den Tod der Mutter hervorgerufen emotionalen Verstümmelungen.

Während die Rahmenhandlung des Films der Dramaturgie eines Thrillers folgt, geht es auf einer tiefer liegenden, sublimeren Ebene um die Auswirkungen dieser Katastrophe. Vor dem Hintergrund des Erlittenen hat es plötzlich Sinn, dass Franciszek beim Fallschirmspringen den Schirm jedes Mal einen Moment später öffnet - so lange, bis ihn seine Freundin Klara (Kamila Baar) anfleht, nie wieder zu springen.

Auch dass er seine Tage in Gerichtssälen verbringt, passt in dieses Schema: Franciszek möchte herausfinden, was es bedeutet, Angst zu empfinden, und er hofft, diesem Gefühl durch das Erleben und Beobachten von Extremsituationen näher zu kommen. Gleichzeitig wünscht er sich, den linearen Ablauf der Geschichte aufzuhalten. Das allerdings wird ihm nicht gelingen, denn er wird erfahren, dass, was immer man auch tut, immer ein winziger Rest, etwas gänzlich Unumkehrbares zurückbleibt.

ANDREAS RESCH

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