Ein junger Deserteur und ein alter, trauriger Vater

Aus Mittelamerika führt der Weg in den Irak: „Camilo – Der lange Weg zum Ungehorsam“, ein Dokumentarfilm von Peter Lilienthal

Der Film ist ein Pamphlet gegen den Krieg. Gegen jeden Krieg. Teils auf den Spuren seiner eigenen politischen und filmerischen Vergangenheit, teils angeregt durch engagierte Initiativen in den USA, erzählt der inzwischen 79 Jahre alte Peter Lilienthal, eine der Ikonen des linksliberalen deutschen Films, die Geschichte des jungen Camilo Mejía und des alten Fernando Suárez del Solar.

Der eine, Camilo, stammt eigentlich aus Nicaragua. Als Kind ist er mit seiner Mutter während der Zeit des Contrakrieges gegen die sandinistische Regierung Nicaraguas in den 80er-Jahren in die USA gegangen; als Soldat ist er in den Irakkrieg gezogen. Nach sechs Monaten, in denen er auf für ihn traumatisierende Weise selbst daran mitwirkt, irakische Zivilisten zu drangsalieren, desertiert er während eines Heimaturlaubs, wird zum aktiven Kriegsgegner, geht ein Dreivierteljahr in den Knast, wird seinerseits zum Symbol. Eine Indieband schreibt ein Lied über ihn, Camilo ist ein Star der Antikriegsbewegung.

Ein Star ist auch sein Vater Carlos Mejía Godoy, der bekannteste Revolutionssänger Nicaraguas und bei den letzten Wahlen Präsidentschaftskandidat der unabhängigen Bewegung der Sandinistischen Erneuerung. Dass ausgerechnet dessen Sohn überhaupt jemals Offizier der US-Armee wurde – ein Treppenwitz der Geschichte, der gerade Peter Lilienthal nicht kaltgelassen haben kann. 1979 bis 1980 drehte Lilienthal die Revolutionserzählung „Der Aufstand“ des chilenischen Schriftstellers Antonio Skármeta mit Laienschauspielern an Originalschauplätzen im nicaraguanischen León. Mit Pazifismus hatte das nichts zu tun – der Film war eine durchaus in die Zeit passende Bejubelung des erfolgreichen bewaffneten Volksaufstands. Auch Camilos Vater, der Revolutionssänger, war kein Pazifist: Seine Liedersammlung „Guitarra Armada“ („Bewaffnete Gitarre“), 1978/79 während des Aufstands heimlich in Kassettenkopien unter den Kämpfenden verteilt, war im Gegenteil eine zu populären Melodien gesungene Bedienungsanleitung für die verschiedenen Gewehre und Kontaktbomben, die die sandinistischen Guerilleros damals im Einsatz hatten.

Aber Lilienthal will mit seinem Film auf etwas ganz anderes hinaus: Ihn beschäftigen die vielen Latinos, die sich in der Hoffnung auf Studienstipendien oder sonstige Vorteile für die US-Armee rekrutieren lassen. Darüber hinaus befasst er sich mit der schäbigen und menschenunwürdigen Behandlung, die den Einwanderungswilligen an der US-Südgrenze zuteil wird. Einer der vielen Exkurse des Films führt an die Mauer, die Mexiko von den Vereinigten Staaten trennt. Eine der vielen Trauerszenen des Films gedenkt der vielen Toten, die diese Grenze jedes Jahr fordert.

Einer von denen, die schon von Mexiko aus planten, in die Armee zu gehen, um später studieren zu können, war Jesús aus Mexiko. Als Scharfschütze der US-Armee marschierte er im März 2003 in den Irak ein – eine Woche später war er tot, einer der Ersten. Jesús’ Vater, Fernando Suárez del Solar, ist neben Camilo der zweite Protagonist des Films. Getrieben von Vorwürfen, den Sohn nicht von der verhängnisvollen Entscheidung abgehalten zu haben, tingelt Fernando durchs Land und erzählt jungen Leuten, was ihnen die lächelnden Offiziere der Rekrutierungsbüros verschweigen, berichtet über seinen Sohn, der durch eine liegen gebliebene US-Streugranate ums Leben kam, über die Lügen der Armee, das Sterben. Im Irak besucht er den Ort, an dem sein Sohn getötet wurde. Trauerarbeit, die Kamera ist immer dabei.

Lilienthal gelingt es mit seinem Film, eine Vielzahl beeindruckender Bilder zu schaffen – doch bleibt dabei die Erzählung auf der Strecke. Immer mehr Protagonisten gegen Gewalt und Unrecht tauchen auf und verschwinden wieder, selbst ehemalige nicaraguanische Guerilleros erzählen noch von ihren Kriegserfahrungen. Da steckt viel Lebenserfahrung des großen Filmemachers und Chronisten Peter Lilienthal mit drin – zu viel für 84 Filmminuten.

BERND PICKERT

„Camilo – Der lange Weg zum Ungehorsam“. Dokumentarfilm. Regie: Peter Lilienthal. Deutschland 2007, 84 Minuten. Sonntag, 19 Uhr, Akademie der Künste, Pariser Platz, Plenarsaal (mit anschließender Diskussion); ab 24. April regulär im Kino