La Vie en provence

„Der Fliegende Händler“ von Éric Guirado erzählt vom verlorenen Sohn eines Dorfladens

Eigentlich müsste es ähnlich wie beim film noir eine französische, international gebräuchliche Bezeichnung für das feel good movie geben. Denn dieses in Frankreich so beliebte Subgenre hat mit den üblichen Schnulzen aus Hollywood so viel zu tun wie unsere Schlager mit deren Chansons. In jeder Saison gibt es mindestens einen von diesen durchaus auch künstlerisch überzeugenden Unterhaltungsfilmen, in denen ein gehemmter oder depressiver Misanthrop im Laufe einer teils amüsanten, teils berührenden education sentimentale lernt, auf die französische Art sein Leben zu genießen. Ein internationaler Erfolg nach diesem Rezept war „Die fabelhafte Welt der Amélie“ und 2007 hielt sich „Saint Jacques… Pilgern auf Französisch“ lange in den deutschen Programmkinos. Ähnlich beliebt könnte „Der fliegende Händler“ werden, denn Éric Guirado gelang es hier, im Rahmen dieser Gattung einen Film zu inszenieren, bei dem man spürt, dass der Filmemacher das Milieu, von dem er erzählt, genau kennt.

Auf den ersten Blick hat der Grobian Antoine nichts Sympathisches an sich, und dies nicht nur, weil er auf den Herzinfarkt seines Vaters eher genervt als betroffen reagiert. Vor dem beengenden Leben im Dorfladen der Eltern ist er in die große Stadt geflohen, wo er wie ein Geriebener in einer Zwischenwelt zu leben scheint. Er scheint sich nur für seine Nachbarin Claire zu interessieren, und um ihr zu beeindrucken, fährt er zurück in sein Heimatdorf, um dort das Geschäft seines nur langsam genesenen Vaters weiterzuführen. Mit einem Lieferwagen, indem ein kleiner Laden eingebaut ist, fährt er von Hof zu Hof und verkauft Lebensmittel an die meist älteren Stammkunden. Antoine macht zuerst seine Arbeit so ruppig und lustlos, dass die Kundschaft verschreckt wegbleibt. Aber Claire, die mit ihm aufs Land gefahren ist, um dort für eine Prüfung zu lernen, ist begeistert von der südfranzösischen Landschaft und der Spaß, den sie bei der Hilfe im fahrenden Tante-Emma-Laden hat, steckt langsam auch Antoine an. Wie er langsam Frieden mit seiner Familie schließt und dabei auch dem Zuschauer immer näher kommt, ist eher nüchtern und ohne allzu melodramatische Verwicklungen erzählt.

Natürlich schwelgt die Kamera auch in den sommerlich, idyllischen Landschaften der Provence, aber wirklich interessant wird der Film immer dann, wenn er zeigt, wie die Menschen aufeinander reagieren. Hier gelingt es Guirado und den Schauspielern (die als Ensemble so überzeugend und authentisch wirken, dass man die Hauptdarsteller Nicolas Cazalé und Clotilde Hesme kaum herausheben mag) mit kleinen Gesten und Blicken ein erstaunlich nuancenreiches Porträt von Antoines Familie zu zeichnen. Ein gemeinsames Abendessen, bei dem kaum gesprochen, aber dafür umso beredter geschwiegen wird, genügt so völlig, um deutlich zu machen, warum Antoine so wurde, wie er ist. Und auch an den Details merkt man, wie vertraut dem Regisseur diese Landschaft und die in ihr lebenden Menschen sind. So hören die jungen Menschen etwa in ihren Autos und Zimmern ständig laute Musik – denn sonst ist alles „viel zu leise“.

In „Le Fils de l’répicier“ (so der Originaltitel) wird geschickt die Waage gehalten zwischen einer sommerlich-romantischen Komödie und einem feinsinnigen Soziogramm, das auch beschreibt, wie die Zeit der „fliegenden Händler“ langsam zu Ende geht. Denn auch dort droht der Supermarkt, und so wird der alte Bauer nicht mehr lange die Erbsen mit den Eiern seiner Hühner bezahlen können.Wilfried Hippen