Kunstausstellung in Wien: Spiel ohne Spieler

Eine Künstlerin bietet Fußballverrückten die Stirn: Sie löscht die Spieler vom Fußballfeld. Zurück bleiben nur Schatten - und Männer, die sich damit identifizieren.

Manche nennen es Kunst, andere schlechte Sicht aufs Spielfeld Bild: dpa

Mitten in einer Stadt, in der sich über Nacht nahezu alle Autos in fahrende Fahnenträger verwandelt haben, in der man sein Stammlokal an Spielabenden kaum mehr betreten kann (von Bedienung ist da keine Rede mehr) - kurzum, mitten in einer Stadt, die bereits vor Beginn der EM in Fußball ertrinkt, hat eine sehr feine Kunstausstellung unter dem Titel "Games. Kunst und Politik der Spiele" eröffnet. Dort findet sich ein wunderbarer "Kommentar" zu dieser Situation.

Es handelt sich um die Arbeit einer jungen Kunststudentin, Liddy Scheffknecht: das Video eines Fußballmatches, bei dem sie die Spieler "ausradiert", gelöscht hat. Was bleibt? Nur die sich bewegenden Schatten auf dem grünen Rasen. Es gibt etliche Initiativen, fußballfreie Zonen zu etablieren - als Gebiete in der realen Stadt ebenso wie in den Internetcommunitys, wo sich EM-Hassgruppen bilden -, aber das hier geht viel weiter. Ein leeres Feld zu präsentieren, das von Schatten bevölkert wird, bedeutet, dieser fußballgesättigten Zeit die Stirn zu bieten!

Das eröffnet eine lange Kette von Assoziationsmöglichkeiten. Da ist zunächst das Thema der Postmoderne vom Verschwinden des Subjekts. Ob in der Foucaultschen Variante vom Menschen, der verschwindet "wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand", gemäß dem berühmten Schlusssatz der "Ordnung der Dinge". Oder in der Lacanschen Variante von der Vorgängigkeit der symbolischen Ordnung, die sich in die Subjekte einschreibt. Aufs Spiel übertragen bedeutet das poststrukturalistische Primat des Netzes, des Systems in jedem Fall: Das "eigentliche Subjekt des Spiels sind die Regeln", wie einer der Kuratoren, der Wiener Philosoph Ernst Strouhal, anmerkt. Das poststrukturalistische Credo, wonach nicht die Spieler das Spiel spielen, sondern diese von ihm gespielt werden, wird in diesem Spiel ohne Spieler, in der Bewegung der eigenartig blinkenden (weil immer wieder verschwindenden) Schatten sehr anschaulich.

Gleichzeitig reduziert sich die Arbeit nicht einfach auf die Nichtigkeit des Subjekts gegenüber dem Zeichenuniversum. In dieser besonderen Situation des Anbruchs einer vollen Fußballzeit ist entscheidend, dass hier nicht das Verschwinden eines beliebigen Subjekts vorgeführt wird, sondern jener Subjekte, die derzeit exemplarisch sind. Gelöscht sind hier jene Subjekte, die intensivste Identifizierung hervorrufen bei einer Masse von Männern, die sich an ihnen, die stellvertretend für sie den Kampf, den Wettstreit führen, eine Identität runterholen.

Das ist keine Identifizierung im Sinne einer Gleichsetzung, sondern im Sinne einer Aussonderung: "you are football" steht auf einem Plakat, das einen Spieler umringt von Fans zeigt. Der französische Religionstheoretiker Emile Durkheim schrieb: "Wenn sich eine Gesellschaft für einen Menschen begeistert, in dem sie die wesentlichen Sehnsüchte zu entdecken glaubt und die Mittel, um sie zu befriedigen, dann sondert sie ihn aus und vergöttert ihn beinahe." Solche Sakralisierung ist im Fußballzusammenhang natürlich keine Neuigkeit.

In der Schau findet sich auch die berühmte Arbeit von Sam Taylor-Wood, die Videoaufzeichnung des schlafenden David Beckham, der "sleeping beauty". Das ist natürlich hübsch, den Fußballstar in maximaler Passivität und Verwundbarkeit zu zeigen - ein schlafender Samson, bevor ihm Delilah die Haare schneidet. Und man ist auch wirklich dankbar dafür, dass er schläft. Aber natürlich reproduziert dies ganz bewusst die Idolisierung, ja verstärkt sie sogar, indem sie das Heldentum auch auf die Passivität ausdehnt.

Die Arbeit von Scheffknecht ist ein Kontrapunkt dazu. Sie geht viel vehementer vor, wenn das Bild, das sie von den exemplarischen Subjekten liefert, nur deren Schatten sind. Was bedeutet es für eine Gesellschaft, wenn sich eine ihrer sakralen Ordnungen als Schattenbild erweist?

Hier wird ein umgekehrtes Höhlengleichnis präsentiert, in dem nicht die Schatten die Trugbilder sind wie bei Platon, die den Zugang zu einer realen, wahren Welt verhindern. Trugbild ist vielmehr der Glaube an die Spieler als exemplarisch autonom Handelnde. Die volle Präsenz, die das Fußballsetting suggeriert, in dem sich Fans und Spieler verbinden, ist gewissermaßen nur ein Schatten seiner selbst. In diesem Sinne ist auch der Titel der Arbeit zu verstehen: outshine, was "überstrahlen" bedeutet, "in den Schatten stellen". Die Spieler werden in den Schatten gestellt - im wörtlichen Sinne, denn sie werden dort situiert, und daraus folgend auch im übertragenen Sinne. Sie werden überstrahlt. Die EM wirft ihre Schatten voraus!

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