Streik in Frankreich: Das ganze Land als Bühne

Am siebenten Tag kriegen Frankreichs Streikende Verstärkung von den Beamten. Präsident Sarkozy hat diesen Konflikt gesucht - Unterstützt wird er dabei von einem Netzwerk ihm gewogener Helfer.

Haben die Sarkozy-Maschine ins Stocken gebracht: Transportarbeiter-Demo am 14. November Bild: dpa

PARIS taz "Ey, du! Wenn du mir was zu sagen hast, komm runter!" Der Präsident ruft. Die Arme hat er in die Seiten gestemmt, sein Körper ist sprungbereit. Vor ihm steht eine Fernsehkamera. Ein paar Meter entfernt hat ein Mann aus einer aufgebrachten Menge heraus ein derbes Schimpfwort gerufen. Die Fischer von Guilvinec haben ihren Hafen wegen der hohen Treibstoffpreise blockiert, schon wenige Stunden später ist der Staatspräsident persönlich aus dem Élysée-Palast in der bretonischen Stadt eingetroffen. Er verspricht den Fischern, dass der Staat ihnen einen Treibstoffzuschuss zahlen wird. Am Abend laufen die Bilder von seinem Auftritt in den Hauptnachrichten, am nächsten Morgen sind sie auf den Titelseiten der Zeitungen.

Der Streik: Die streikenden französischen Transportarbeiter bekommen am siebenten Tag Verstärkung: Alle acht Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes rufen zu einem eintägigen Streik auf.

Sie protestieren gegen die Streichung von 22.900 Beamtenstellen im kommenden Jahr - davon 11.200 in den Schulen - und verlangen mehr Geld für die 5,2 Millionen BeamtInnen. Seit der Wahl von Nicolas Sarkozy im Mai hatten sie vergeblich Verhandlungen verlangt. Ihr Ausstand wird Schulen, Poststellen, Finanzämter, Zollämter, Krankenhäuser und andere öffentliche Einrichtungen lahmlegen.

Die Unterstützer: An den Demonstrationen wollen sich auch die Gewerkschaften der Eisenbahner sowie Delegationen von über 30 - von 85 - besetzten Hochschulen beteiligen, die gegen die Privatisierung der Unis protestieren. Erst am Mittwoch will die Regierung eine allererste Verhandlungsrunde mit dem Transportsektor führen. Daran sollen RegierungsvertretInnen, UnternehmerInnen und GewerkschafterInnen teilnehmen. Ursprünglich hatte Arbeitsminister Xavier Bertrand verlangt, der Transportarbeiterstreik müsse abgebrochen werden, bevor er sich an den Verhandlungstisch setze. DORA

Nicolas Sarkozy, wie er leibt und lebt: Der Präsident, der die Ärmel hochkrempelt. Der persönlich eingreift. Der selbst regelt. Der keine Angst hat. Weder vor Berührungen noch vor Konflikten, vor vulgären Worten und vor dem Du. Kein Staatspräsident vor ihm hat sich so weit aus dem Palast herausgetraut. Bislang erhoben sich alle, kaum waren sie gewählt, über die Menge. Und installierten sich in einer Höhe aus Würde, Amt und Distanz. Der Sozialist François Mitterrand bekam dafür die Spitznamen "Dieu" (Gott) und "Sphinx". Sarkozys direkter Amtsvorgänger Jacques Chirac liebte zwar das Bad in der Menge, doch auch er setzte auf Abstand. Er siezt selbst seine Gattin.

Kein französischer Präsident hat sich so ins Gewühl gestürzt wie Nicolas Sarkozy. Keiner hat einen so kumpel- und manchmal flegelhaften Umgangston gewählt. Keiner ist in Turnschuhen, mehrere Treppenstufen zugleich nehmend, in den Élysée-Palast gestürmt. Und keiner außer ihm hat seinen Landsleuten eine moderne und angeblich glückliche Patchworkfamilie vorgeführt - auch wenn die schon wenige Wochen später ein Trümmerhaufen war.

In Form und Stil hat Sarkozy jede Menge Konventionen der französischen Republik über den Haufen geworfen. Mit seinen 52 Jahren ist er der erste Präsident, der nach dem Krieg geboren wurde. Der erste, für den Kollaboration, Résistance, Kolonialismus und Unabhängigkeitskriege Geschichte sind. Der erste, der mit dem Fernsehen aufgewachsen ist und es meisterhaft zu nutzen versteht. Kaum ein Tag vergeht in Frankreich, ohne dass Sarkozy in den Nachrichten auftaucht. Selbst jenseits der Landesgrenzen schafft er es immer wieder, sich mit spektakulären Auftritten in den Vordergrund zu drängen. "Unser erstes Ziel ist es, die Schlacht der Kommunikation zu gewinnen", erklärt sein langjähriger Mitarbeiter Franck Louvrier die Taktik. Er hat schon mit Sarkozy im Innenministerium gearbeitet. Die andere Seite, Journalisten, aber auch Oppositionelle, denen zwischen den Auftritten des Präsidenten kaum Zeit zum Luftholen, geschweige denn zum Analysieren bleibt, will sich demnächst mit einem "Tag ohne Sarkozy" revanchieren. Für den 30. November rufen verschiedene Journalisteninitiativen dazu auf, den "Omnipräsidenten" 24 Stunden lang überhaupt nicht zu erwähnen. Die Übung wird schwer.

Auch seine Minister überrennt der Omnipräsident gern. Er nimmt das ganze Land als Bühne. Eines frühen Morgens etwa taucht Sarkozy an einem Stellwerk auf, wo die Eisenbahner am Vortag geschlossen gestreikt haben, und suggeriert, er käme auch ohne Transportminister aus. Und im Hafen von Guilvinec lässt er am 6. November den Fachminister für Fischerei und Landwirtschaft wie einen Statisten hinter sich stehen. Erst tags drauf darf Michel Barnier die Vertreter der Fischer empfangen, um mit ihnen Einzelheiten des präsidentialen Versprechens zu regeln.

Der Omnipräsident spielt stets die zentrale Rolle, seine Regierung hat Repräsentationsfunktion. Premierminister François Fillon zum Beispiel nennt Sarkozy einen "Mitarbeiter". Und seine Minister hat er in einem Casting ausgewählt wie für einen Hollywood-Film. Er hat Frauen, Einwandererkinder, einen mehr oder weniger erfolgreichen Rugby-Nationaltrainer und eine Reihe von Überläufern aus der sozialistischen Opposition angeworben und das Ganze als Regierung präsentiert. Doch bei genauerem Hinschauen zeigt sich, dass sämtliche Ministeraufgaben im Élysée-Palast ein zweites Mal besetzt sind: Sarkozys elf wichtigste Berater, die gelegentlich an den Fachministern vorbeiagieren und öffentlich die Regierung kritisieren, sind von anderem Kaliber: mehrheitlich männlich, weiß und Absolventen von Eliteschulen.

Ein halbes Jahr lang hat Sarkozy nun den Rhythmus bestimmt. Die große Mehrheit der Franzosen war beeindruckt von seinem atemberaubenden Tempo bei Aktionen, Reaktionen und Reformen. Einzelne Pannen, etwa der Verfassungsgerichtsentscheid gegen die rückwirkenden Stuerbegünstigungen für Immobilienkäufe, gingen im Trubel unter. Die sozialistische Opposition - obschon zahlenmäßig stark im Parlament vertreten - schaffte es kaum, sich Gehör zu verschaffen, die Medien äußerten selten Kritik. Europas Regierungen, von Berlin bis London, überschlugen sich in freundlichen Gesten. Und selbst der rechtsextreme Politiker Jean-Marie Le Pen lobte den neuen Staatspräsidenten mehrfach öffentlich. Am Montag durfte Le Pen, den frühere Präsidenten mit keinem Wort gewürdigt haben, dafür Sarkozy zum dritten Mal im Élysée-Palast besuchen.

Mit den Streiks ist die Sarkozy-Maschine nun erstmals ins Stocken geraten. Der Transportarbeiterstreik, von dem die Medien schon lange wissen wollen, er sei "unpopulär", geht am Dienstag in den siebten Tag. Je länger er andauert, desto genauer erfährt die breite Öffentlichkeit, was die eigentlichen Motive der Streikenden sind: harte Arbeitsbedingungen; niedrige Löhne. Und eine Rentenregelung, die zwar eine kürzere Lebensarbeitszeit als in der Privatwirtschaft vorsieht, dafür aber auch deutlich niedrigere Rentenzahlungen. Die Sonderrente für Eisenbahner mag noch so sehr ein Minderheitenproblem sein - derlei Motive können die Franzosen verstehen.

Kaufkraftverlust, härtere Bedingungen, unsicherere Arbeitsverhältnisse und sinkende Renten kennen sie. Es waren die Gründe, die zu ihrer Wahlentscheidung geführt haben. Wenn nun am Dienstag auch noch die französischen Beamten in den Streik treten, wird kein Weg mehr an der Debatte über soziale und wirtschaftliche Verlustängste vorbeiführen.

Sarkozy hat seine Wähler mit dem Slogan vom "Bruch" gelockt. Unter ihnen sind viele, die fünf Jahre zuvor noch die rechtsextreme Front National gewählt haben. Ihm glaubten sie eher als der Sozialistin Ségolène Royal, der viele nicht abnahmen, dass sie Frankreich zu neuem Wachstum verhelfen könnte. Doch sechs Monate später ist es bei einem Wachstum unter 2 Prozent geblieben, die Arbeitslosenquote ist kaum gesunken, und nun steht auch noch Sarkozys Slogan "Mehr arbeiten, um mehr zu verdienen" zur Debatte. Je länger die Streikenden argumentieren, desto deutlicher wird, dass die Verlängerung ihrer Lebensarbeitszeit just diesen Slogan in sein Gegenteil verkehren würde: Sie sollen mehr arbeiten, um weniger zu verdienen.

Nicolas Sarkozy, der Omnipräsident, der scheinbar überall gleichzeitig ist und nie ruht, hat diesen sozialen Konflikt gesucht. Er wollte die Gewerkschaften vor eine Wand rennen lassen. Wollte demonstrieren, dass Streiks zu nichts führen. Dafür sorgen, dass der nicht streikende Teil der Bevölkerung sich über die kleine, angebliche privilegierte Minderheit, die das Land blockiert, empört. Getreu dieser Methode verfuhr er vor zwei Jahren als Innenminister, als es in den Banlieues brannte.

In einer ähnlichen Position wie Anfang November im Fischerort Guilvinec stand er damals in einer Pariser Banlieue vor einer Anwohnerin, die ihm von einem Balkon aus ihr Leid klagte. Auch damals legte Sarkozy den Kopf in den Nacken. Gab sich sprungbereit. Und fackelte mit Worten, die anschließend um die Welt gingen: "Ich werde Sie von diesem Gesindel befreien. Mit dem Kärcher."

Das Pokern mit der Angst in der Banlieue ist aufgegangen: Der Innenminister ist Präsident geworden. Doch jetzt wird er anders beobachtet. Sorgfältiger und mit höheren Erwartungen. Er ist nicht mehr nur für die innere Sicherheit zuständig, sondern vor allem für die soziale. Für Zukunftsfragen, auf die er bislang keine Antworten liefern konnte. Wenn am Dienstag die Beamten streiken, werden sie den größten Stellenstreichungsplan des kommenden Jahres zum Thema machen: die 22.900 Beamtenposten, die Sarkozy einsparen will. Und sie werden den Verlust an Steuereinnahmen anprangern, den Sarkozys Regierung als eine ihrer ersten Amtshandlungen mit der Senkung der Spitzensteuern ausgelöst hat.

Der Omnipräsident ist angesichts dieser Perspektive erst einmal auf Tauchstation gegangen. Anders als bei fast allen heißen Auseinandersetzungen der letzten sechs Monate hat er die Verhandlungen mit den Gewerkschaften seinem Fachminister Xavier Bertrand überlassen. Letzten Monat, als schon einmal ein eintägiger Streik Frankreich lahmlegte, nutze Sarkozy die Gelegenheit, um seine Scheidung bekannt zu geben. Am Dienstag versucht er ein neues Ablenkungsmanöver. Dieses Mal empfängt er den Venezolaner Hugo Chávez und erhofft von ihm einen Perspektive für die entführte frankokolumbianische Politikerin Ingrid Betancourt. Mit Befreiungsaktionen von Geiseln in aller Welt hatte Sarkozy bislang ja Erfolg.

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