Debatte um Jugendgewalt: Merkel macht den Koch

Die Kanzlerin stellt sich an die Spitze einer Angstkampagne zur Kriminalität von Ausländern. Das ist taktisch sinnvoll, weil sie ihr allzu kühles Image damit relativieren kann.

Hat die Merkel den Koch jetzt in die Mitte gerückt? Bild: dpa

WIESBADEN taz Angela Merkel beteiligt sich als Bundeskanzlerin erstmals aktiv an einer Wahlkampagne, die mit Ängsten vor Einwanderern arbeitet. Drei Wochen vor den Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen ließ die CDU-Chefin ihren Parteivorstand Verschärfungen des Jugendstrafrechts fordern. Sie selbst empörte sich bei einer Wahlkampfveranstaltung in Wiesbaden gegen Kriminelle nichtdeutscher Herkunft.

Übergriffe in der U-Bahn passieren immer wieder, aber seit Ausländer nicht mehr nur Opfer sind, sondern Jugendliche ohne deutschen Pass zu Tätern wurden, debattiert die Republik über härtere Jugendstrafen. Zuletzt kam es am Sonntagmorgen in München zu einer Schlägerei, der vierten in gut zwei Wochen. Eine Gruppe Jugendlicher habe zwei junge Männer niedergeschlagen, so die Polizei. Drei mutmaßliche Täter wurden festgenommen. Die Opfer wurden inzwischen aus dem Krankenhaus entlassen.

Seit sie Parteichefin ist, hat es Merkel vermieden, sich in Wahlkämpfen durch laute und strenge Töne in der Integrations- und Innenpolitik zu profilieren. Die ausländerfeindliche Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft von 1999 hatte der damalige Parteichef Wolfgang Schäuble angeschoben. Auch CDU-Politiker hatten davor gewarnt, den Wahlkampf mit Ängsten vor Einwanderern und Ausländern anzufeuern. Merkel, die damals Generalsekretärin der Partei war, wünschte sich "Augenmaß" und eine "sachliche Auseinandersetzung". Die Kampagne hatte die CDU und Roland Koch in Hessen an die Macht gebracht.

Vor dem Wiesbadener CDU-Publikum rief die Kanzlerin, unter jugendlichen Gewalttätern sei rund die Hälfte nichtdeutscher Herkunft. "Es muss alles getan werden, damit nicht die Minderheit die Stimmung diktiert." Die Politik müsse über Erziehungscamps, Warnschussarrest und den Entzug der Fahrerlaubnis für Gewalttäter sprechen. "Diese Diskussionen müssen ohne alle Vorbehalte und ganz offen geführt werden", sagte Merkel und benutzte damit erstmals eine Formel, die bislang Roland Koch verwendet hatte.

Zudem lobte sie die Videoüberwachung. Dabei stellte sie eine inhaltliche Nähe zwischen dem gescheiterten Kofferbombenanschlag im Sommer 2006 und dem Angriff eines Türken und eines Griechen auf einen Rentner in der Münchner U-Bahn kurz vor Weihnachten her. In beiden Fällen wurden die mutmaßlichen Täter über Videobilder ermittelt.

Die Dramaturgie der Debatte, die sich seit der Münchner Tat entwickelt hat, zeigt, dass sich Merkel früh für diese Strategie erwärmt haben muss. Der Ablauf: Am 22. Dezember wird ein Rentner in der Münchner U-Bahn zusammengeschlagen. Koch wartet die Weihnachtsfeiertage ab, danach meldet er sich in Bild: "Wir haben zu viele kriminelle junge Ausländer", sagt er und zieht über "multikulturelle Verblendung" her. Es ist innenpolitisch die nachrichtenärmste Zeit des Jahres, und erwartungsgemäß wird Koch von Politikern anderer Parteien kritisiert. Kurz vor Silvester steigt der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder, ein. Der Unionschef im Bundestag tut kaum etwas ohne Absprache mit Merkel. "Kriminelle Jugendliche brauchen kein Multikulti-Gesäusel, sondern einen Warnschuss vor den Bug", schimpft er und lobt Koch. CDU-Fachpolitiker legen nach, nur Innenminister Wolfgang Schäuble hält sich auffallend zurück.

In der Woche nach Neujahr wird Merkels Regierungssprecher gefragt, wie die Haltung der Kanzlerin sei. Ulrich Wilhelm gerät ins Lavieren: Die Kanzlerin halte eine Debatte für nötig, es dürfe aber keine schnellen Antworten geben. Noch soll die Bühne Koch gehören. Am nächsten Tag darf er in einem Gastbeitrag für die Bild-Zeitung erklären, wie Deutschland endlich anständiger wird. Auf Seite eins kündigt das Blatt "die große Debatte um kriminelle Ausländer" an.

Freitagabend treten Merkel und Koch in Wiesbaden auf. Sie erhalten Applaus, wenn sie einen Zusammenhang zwischen Einwanderern und Gewalt auch nur andeuten. Oft reicht es, Selbstverständliches in empörtem Ton vorzutragen. So fordert Merkel Sprachtests an Schulen. Es müsse eine gemeinsame Sprache geben. "Und das ist in Deutschland immer noch deutsch."

Koch arbeitet teils lauter, teils subtiler. "Das Land darf nicht Beute von Al-Wazir, Ypsilanti und Kommunisten werden." Die Erwähnung der fremd klingenden Namen des Grünen Spitzenkandidaten Tarek Al-Wazir und der SPD-Chefin Andrea Ypsilanti genügt, um das CDU-Publikum in Stimmung zu bringen, ist dabei aber sachlich unverfänglich.

Ein paar Stunden später beschließt der Bundesvorstand eine "Wiesbadener Erklärung". Er verlangt Erziehungscamps und einen Warnschussarrest: "So kann dem Jugendlichen klar werden, was auf ihn zukommt, wenn er sich nicht ändert." Zudem soll auf Täter zwischen 18 und 21 häufiger das Erwachsen- und nicht das Jugendstrafrecht angewandt werden. Ausländische Straftäter will die CDU schneller abgeschoben sehen. Damit verlässt die CDU den Bereich des Jugendstrafrechts und fordert auch eine Verschärfung des Aufenthaltsrechts.

Obwohl Merkel mit der Kampagne riskiert, dass ihr Image der Mitte-Kanzlerin ramponiert wird, bieten sich einige Vorteile. Dazu gehört, dass sie der Partei beweist, auch emotionale Kampagnen führen zu können. Nach dem schwachen Bundestagswahlergebnis hielten Parteifreunde ihr einen zu kopflastigen, kalten Wahlkampf vor. Zudem begegnet sie mit klaren Ansagen dem Vorwurf, lediglich eine unentschlossene Politmoderatorin zu sein.

Mit dem Thema Gewalt ausländischer Jugendlicher hat Merkel die mit dem Mindestlohn erfolgreiche SPD wieder in die Defensive gedrängt. Parteichef Kurt Beck bot Gespräche an, lehnte aber Gesetzesänderungen ab. Merkel sagte in Wiesbaden, dies zeige, "dass die Sozialdemokraten die Brisanz des Themas eventuell erkannt haben". Koch drohte: "Es gibt durchaus Möglichkeiten, ihm das noch deutlicher zu erklären als bisher."

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