Sezen Aksu-Konzert in Berlin: Die Übermutter des türkischen Pop

Zu Sezen Aksu Auftritt im Berliner Tempodrom gab sich die deutschtürkische Mittelschicht die Ehre - und wurde nicht enttäuscht.

Auch in Fatih Akins Musikfilm "Crossing the Bridge" zu sehen: Sezen Aksu. Bild: dpa

Drei Ventilatoren säumen den Bühnenrand. "Kann man die nicht stärker aufdrehen?", fragt Sezen Aksu und ergänzt mit gespieltem Entsetzen: "Nur manuell? Und das in Deutschland?" Dann erzählt sie, dass ihr immer so heiß sei und sie deshalb über eine riesige Sammlung von Ventilatoren verfüge, die immer auf höchster Stufe laufen müssten. Einer ihrer Exmänner beklage sich noch heute, fährt sie fort, in den vier Jahren ihrer Ehe sei er schlimmerer Kälte ausgesetzt gewesen als auf dem Himalaja.

Sezen Aksu ist die unbestrittene Königin des türkischen Pops; mit solchen Schwänken hält sie ihr Publikum zwischen den Songs bei Laune. Der Plauderton bildet dabei einen koketten Kontrast zu der feierlichen Entrücktheit, mit der sich die 53-Jährige ansonsten als Diva in Szene setzt. Die Fotografen dürfen sie am Freitag im Berliner Tempodrom jedenfalls nur aus der sicheren Ferne ablichten, nicht zuletzt wohl ihrer diversen Schönheitsoperationen wegen.

Doch über solche Allüren sehen ihre Fans gerne hinweg. Ein Konzert von Sezen Aksu ist immer ein gesellschaftliches Ereignis, das gilt noch mehr für die Diaspora in Deutschland, wo sie viel seltener zu sehen ist als in der Türkei. Es ist vor allem die arrivierte Mittelschicht der Berliner Deutschtürken, die bei ihrem Konzert das ausverkaufte Hallenrund füllt. Bei Kartenpreisen von bis zu 65 Euro kann es auch gar nicht anders sein. Viele Fellkragen und Satinblusen sind zu sehen, bei den Männern dominieren schwarzes Hemd und nicht selten Krawatte. Ein lokaler türkischer Radiosender hat seit Wochen Reklame für das Ereignis gemacht. Vor der Halle parken die Audis und BMWs, drinnen machen die Reporter der Klatschblätter Jagd auf Fotos von der Semiprominenz.

Sezen Aksu gibt an diesem Abend kein typisches Popkonzert, eher eine sinfonische Revue ihrer langen Karriere. Mehr Geige, Klavier und Klarinette sind zu hören als Schlagzeug und Gitarre. Mit zwölfköpfigem Orchester nimmt sie ihre Hörer mit auf eine Reise in die Vergangenheit, bis weit zurück in die Siebzigerjahre. Damals begann sie ihre Laufbahn mit weinerlichen Chansons nach dem Geschmack jener Zeit. In den Achtzigerjahren entwickelte sie ihren eigenen Stil mit vertonten Gedichten und poetischen Balladen, die viel von Aufbegehren, Enttäuschung und Selbstbehauptung handelten, womit sie zum Vorbild einer ganzen Frauengeneration aufstieg. Für ihre Kompositionen schöpfte sie aus der osmanischen Kunstmusik und der anatolischen Folklore. In den Neunzigerjahren kamen Optimismus, Leichtigkeit und eine gehörige Prise Ironie hinzu, womit sie für jüngere türkische Popstars wie Tarkan den Ton setzte.

Heute zieht Sezen Aksu auch hinter den Kulissen viele Fäden. Sie förderte Tarkan und schrieb dessen erste Hits. Auch Sertab Erener begann ihre Karriere als Backgroundsängerin von Sezen Aksu, bevor sie 2003 den Eurovision Song Contest gewann. Dort trat im vergangenen Jahr der Sänger Kenan Dogulu auf - mit einem Song aus der Feder von Sezen Aksu. Mit ihren Liedern, ihrer Persönlichkeit und als treibende Kraft hinter vielen jüngeren Künstlern hat die Matriarchin des türkischen Pops ein Muster weiblicher Emanzipation vorgelebt. In Sezens Welt sind die Frauen stark und die Männer ganz schüchtern.

Das demonstriert sie auf der Bühne in jedem Moment, ob sie nun schlagfertig auf die Komplimente reagiert, die ihr das Publikum zuruft, oder ob sie sich über die frömmelnde Prüderie mancher ihrer Landsleute mokiert. Davon erzählen auch ihre Songs, ob sie nun von der Liebe oder anderen Schmerzen künden, vom Altern, von jüngeren Männern oder der nostalgischen Sehnsucht nach dem alten Istanbul. Sezen Aksu rafft ihr Abendkleid, breitet die Arme aus oder wiegt sich zur Bauchtanzpercussion. Ein rotes Sofa, einen Notenständer - mehr braucht sie nicht, um sich in Szene zu setzen.

Die Zuhörer im Tempodrom danken es ihr, indem sie fast jede ihrer Zeilen mitsingen: ein Zeichen dafür, wie viele mit ihren Liedern aufgewachsen sind.

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