Silvio-Meier-Demo: Die Jugend der Stadt für Zivilcourage

Vor 15 Jahren erstachen Neonazis Silvio Meier. Daran erinnert die Antifa jährlich mit einem Protestzug. Der hat sich zur größten Antifa-Schülerdemo entwickelt.

Sie hängt wieder - fest im Beton verankert. Die BVG hat die Gedenktafel wieder angebracht. Mitte des des Jahres war sie von Unbekannten aus der Wand gehebelt worden, wie schon mehrfach geschehen in den vergangenen 15 Jahren. Die neue Tafel im Zwischengeschoss des U-Bahnhofs Samariterstraße ist gusseisern, Edelstahl. Wie für die Ewigkeit gemacht, erinnert sie an Silvio Meier, der hier vor 15 Jahren von Neonazis erstochen wurde.

Die Vorgängertafeln hatte die Friedrichshainer Aktionskünstlerin Ute Donner gestaltet. Sie wirkten leicht improvisiert mit den etwas wackelig ins Eisen gemalten Buchstaben. "Kein Vergeben, kein Vergessen!" steht auf der neuen. "Man brauchte schon einen Presslufthammer, um die wieder herauszubekommen", meint Lars von der Antifaschistischen Linken Berlin (ALB), die sich für die neue Tafel bei den Verkehrsbetrieben eingesetzt hat - und gleich auch deren Gestaltung übernahm.

Silvio Meier kam aus der kirchlichen Friedensbewegung in Ostberlin und hatte nach der Wende ein Haus in der Schreinerstraße in Friedrichshain mit besetzt. Am 21. November 1992 hatte der 27-Jährige versucht, einem Neonazi den Aufnäher "Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein!" von der Jacke zu reißen. Kurz darauf griffen der Rechtsextremen Meier und seine Begleiter an. Silvio Meier wurde erstochen, zwei seiner Freunde wurden zum Teil lebensgefährlich verletzt.

Drei Täter wurden später zu Freiheitsstrafen von viereinhalb und dreieinhalb Jahren sowie zu acht Monaten auf Bewährung verurteilt. Vor Gericht hatten sie sich selbst als Hooligans bezeichnet. Seither gedenken jedes Jahr im November Tausende auf der Silvio-Meier-Demo des auf Fotos so sympathisch ausschauenden Friedrichshainers.

In den ersten Jahren fand die Demonstration noch überwiegend als Gedenken von Freunden und Bekannten des Ermordeten aus der Hausbesetzerszene statt. Mitte der 90er-Jahre übernahm die Antifa die Organisation. Dass nun schon seit 15 Jahren bis zu 2.000 - vor allem junge - Menschen teilnehmen, sieht Lars von der ALB als großen Erfolg des Konzepts. Das Gedenken an Silvio Meier werde nämlich immer mit einem aktuellen Anlass verbunden, erklärt er. So habe man 1995 gegen das rechte Café Germania in Lichtenberg, 2001 unter dem Motto "Freiheit stirbt mit Sicherheit" und 2002 gegen die NPD demonstriert.

Am heutigen Samstag lautet das Motto "Get up, Stand up! - Linke Freiräume verteidigen!", da momentan eine ganze Reihe linker Projekte in Berlin bedroht sei. Die Demonstration kehrt damit in einem gewissen Sinne zu ihren Wurzeln zurück: Die Antifa sucht den Schulterschluss mit der Häuserbewegung, denn vor allem für junge Antifas sind die Friedrichshainer Hausprojekte mit ihren günstigen Partys und billigen Getränken ein wichtiger Anlaufpunkt. Und bei der Silvio-Meier-Demonstration gehen viele Schüler erstmals protestierend auf die Straße. Auch für den 25-jährigen Lars war die Silvio-Demo das erste Mal.

Der Gedenkmarsch ist zu etwas geworden, was man sich 1992 nicht hätte träumen lassen: zur regelmäßig größten Schülerdemo in Berlin. Der Altersdurchschnitt der Teilnehmer liegt weit unter 18 Jahre, das Mobilisierungsplakat trägt dem Rechnung, indem es in den letzten beiden Jahren besonders Jugendliche ansprach. Mit dem Namen Silvio Meier kann die Mehrzahl der Demonstranten allerdings meist nicht mehr viel anfangen.

Auch für Lars ist klar: "Als Person hat Silvio eigentlich gar keinen Stellenwert mehr für mich." Mit Märtyrern habe er es nicht so und die aktuellen Themen seien für ihn wichtiger. Er hält die letzte Seite des aktuellen AntifaJugendInfos zur Silvio-Meier-Demo in die Luft, auf der alle bisherigen Plakate abgedruckt sind. Mit einer Auflage von 10.000 Stück werden Berliner Schulen mit der Zeitschrift zurzeit regelrecht "bombardiert", wie die HerausgeberInnen in ihrem Vorwort selbst schreiben. Eine Vielzahl Veranstaltungen ist angekündigt: So gibt es am Wochenende einen "Antifaschistischen Jugendkongress", eine "Silvio-Meier-Party" und eine "Mahnwache für Silvio". Folgerichtig ist in dem Blatt bereits von einem ganzen "Silvio-Meier-Wochenende" die Rede.

Der Lichtenberger Bezirksverordnete Kirill Jermak (Linkspartei) hat die Demonstration wie schon im Vorjahr bei der Polizei angemeldet. Für den gerade 19-Jährigen ist der Name Silvio Meier eine Metapher. Es sei wichtig darauf hinzuweisen, dass Silvio Zivilcourage gezeigt habe, meint Jermak: "Er hat etwas getan, was auch heute noch aktuell ist. Noch immer laufen Nazis mit solchen Aufnähern rum." Immer wieder gebe es die Diskussion über die Verbindung von Gedenken und Demonstration, doch man könne beides gut kombinieren. Letztes Jahr wurde Kirill Jermak nach der Demonstration von Rechten mit einer Flasche niedergeschlagen. Dennoch habe er nicht gezögert, als er dieses Jahr erneut gefragt wurde, ob er den Protestzug anmelden könne. "Ich habe es überwunden", sagt er abwehrend im Bezug auf den Überfall.

In der Tat steht die antifaschistische Bewegung vor dem Umbruch. Die "Eventpolitik" der letzten Jahre hat Unmut in der Bewegung hervorgerufen. Man müsse mehr diskutieren, erklären, informieren, als nur schwarz vermummt gegen die allgegenwärtigen Nazis zu demonstrieren, heißt es.

Das findet auch Kirill Jermak. Es sei "ganz, ganz, ganz wichtig", dass die antifaschistische Bewegung sich vermehrt mit Ideologiekritik befasse. Man müsse sich intensiver mit rechtem Gedankengut in der Gesellschaft auseinandersetzen und sich verstärkt an anderen sozialen Kämpfen beteiligen. Denn die konkrete Anti-Nazi-Arbeit werde mittlerweile relativ gut von Polizei und Zivilgesellschaft erledigt, meint Jermak. Der parallel zu der Demonstration stattfindende Antifajugendkongress ist vielleicht ein Schritt in die Richtung inhaltlicher Diskussion.

Für Ute Donner, die jahrelang die Gedenktafel für Silvio Meier gestaltet hat, ist diese Diskussion weit weg. Die 50-Jährige hat mit jungen Antifas in schwarzen Klamotten wenig gemein. Der ermordete Hausbesetzter aber ist noch Thema für die Aktionskünstlerin. Gerade zeigt sie die Ausstellung "Für Silvio" im Wahlkreisbüro der Friedrichshainer SPD-Abgeordneten Canan Bayram. Seit Jahren dokumentiert Donner alles, was mit Silvio zu tun hat. "Angriff, wieso Angriff?", fragt sich die bekennende Pazifistin bei dem Leitslogan der Antifa: "Antifa heißt Angriff!" Ein Slogan, der vielleicht in einigen Jahren "Antifa heißt diskutieren!" lauten könnte.

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