Brandenburg testet seine Schüler: Bildungschance währt 90 Minuten

Matthias Platzeck predigt gern "Aufstiegschancen für alle". Jetzt hat seine Regierung Vergleichsarbeiten eingeführt. Das Ergebnis entscheidet mit, ob ein Schüler aufs Gymnasium darf.

Wer in Brandenburg aufs Gymnasium will, muss Mathe und Deutsch können. Bild: dpa

Glaubt man Petra Brückner, sitzen viele der 13.000 Sechstklässler an Brandenburgs Grundschulen heute ängstlich an den Tischen. Brückner ist Sprecherin des Landeselternrats. Vor einigen Tagen, erzählt sie, habe eine panische Mutter bei ihr angerufen, deren Sohn überhaupt nicht mit dem Stress klar gekommen sei. So gehe es vielen.

Ausgerechnet Brandenburg hat höhere Hürden für die Aufnahme von Schülern ins Gymnasium aufgestellt: Zum ersten Mal müssen die Kinder der letzten Grundschulklasse dort Vergleichsarbeiten schreiben, deren Ergebnisse maßgeblich über die Zulassung fürs Gymnasium entscheiden. Kein anderer als Ministerpräsident Matthias Platzeck hatte noch vor zwei Jahren als SPD-Bundesvorsitzender das Konzept des "vorsorgenden Sozialstaats" gepredigt, in dessen Mittelpunkt Chancengleichheit und Bildung stünden. "Uns geht es um die soziale Durchlässigkeit unserer Gesellschaft, um Aufstiegschancen für alle", sagte Platzeck auf dem SPD-Parteitag im November 2005. "Kein einziges Kind dürfen wir zurücklassen." Sein Brandenburg wollte er zum Vorreiter der Länder machen, die die Abiturquote erhöhen. Derzeit liegt sie bei rund 40 Prozent - im Ländervergleich ist das ein Mittelfeldplatz.

Wie passen dazu schärfere Auswahlkriterien fürs Gymnasium? Am Freitag mussten die Sechstklässler eine Dreiviertelstunde in Deutsch ran, an diesem Montag folgt Mathematik. Wer in den 90 Minuten versagt, kann Pech haben: Die Arbeiten gehen mit 40 Prozent ins Halbjahreszeugnis ein, das über einen Platz auf dem Gymnasium entscheidet. Brandenburg hat einen strengen Schlüssel: Nur Schüler, die in Deutsch, Mathe und Englisch auf einen Schnitt von 2,3 oder besser kommen, dürfen aufs Gymnasium. Dazu kommt ein Gutachten der Grundschule, das positiv ausfallen muss.

"Auslese pur", kritisiert Elternvertreterin Brückner. Sie fürchtet vor allem, dass sich Schüler durch einen Ausrutscher bei den Vergleichsarbeiten ihre Zukunft verbauen. "Die Chance eines Kindes, das Gymnasium zu besuchen, wird auf die Tagesform reduziert." Kritik an Platzecks Bildungspolitik kommt auch von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Die Vergleichsarbeiten in der sechsten Klasse seien ursprünglich als Instrument gedacht gewesen, um alle Schüler miteinander vergleichen zu können. Es sei falsch, nun anhand der Arbeiten über Lebenswege zu entscheiden.

Platzecks Schulminister verteidigt hingegen das neue Auswahlkonzept: Die Vergleichsarbeiten stellten keine "übermäßig hohe Hürde" dar, sagte Holger Rupprecht (SPD) der taz. Vielmehr gehe es um einen "objektiven Maßstab", an dem sich alle Schüler im Land vergleichen ließen. "Wir wollen die Abiturquote steigern, aber nicht auf Kosten des Niveaus", sagte Rupprecht, der lange Direktor eines Vorzeigegymnasiums in Potsdam war. "Nicht jeder Schüler ist für das Gymnasium geeignet."

Auch die Ängste vor einem Ausrutscher bei den neuen Vergleichsarbeiten will Rupprecht Eltern und Schülern nehmen: Ein verhauener Test sei noch kein Hindernis fürs Gymnasium. Wer die Hürde Notenschnitt nicht nehme, bekomme schließlich eine zweite Chance.

Dafür hat sich Brandenburg eine weitere Prüfung ausgedacht: Zwei Tage Probeunterricht, die endgültig über Gymi oder nicht Gymi entscheiden.

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