Merkel nicht mehr zu Gast bei Freunden

Die Kanzlerin erschreckt die Arbeitgeber mit Sozialrhetorik – und muss sich eine Strafpredigt von Dieter Hundt anhören

BERLIN taz ■ Angela Merkel und die Arbeitgeber, das war einmal fast eine Liebesbeziehung. Man schätzte, lobte, herzte sich. Auf Unternehmerkongressen wurde die CDU-Chefin für ihre Reformideen bejubelt. Als sie mit Horst Köhler auch noch einen Bundespräsidenten installierte, der wie ein Arbeitgeberpräsident sprach, schien die Harmonie vollkommen. Dieter Hundt, der echte Arbeitgeberpräsident, strahlte bei Treffen mit Merkel beglückt wie ein kleiner Junge.

Diese Zeiten sind vorbei. Am Dienstagmittag, im Berliner Maritim-Hotel, setzte Hundt eine Leidensmiene auf, als er die Kanzlerin empfing. Merkel hatte ausgerechnet knapp vor dem Arbeitgebertag die ihrer Meinung nach zu hohen Managergehälter angeprangert. Das war kein schönes Vorspiel. Damit zwang sie Hundt in die Defensive.

Gewiss, es gebe Einzelfälle, in denen zu hohe Abfindungen gezahlt würden, räumte Hundt ein, nötig sei eine „Ethik der Verantwortung als Sperre gegen Kontrollverlust und Maßlosigkeit“. Aber in der Debatte über die Spitzenverdiener werde „vieles verzerrt und übertrieben“, im internationalen Vergleich seien die deutschen Managergehälter „nicht überhöht“. Genau das aber hatte Merkel gesagt. Und jetzt? Jetzt kam sie auch noch unpünktlich, platzte mitten in seine Rede hinein. Hundt blieb auf dem Podium, begrüßte Merkel kurz von oben herab – und hielt ihr eine lange Strafpredigt.

Der Aufschwung sei ja schön und gut, aber vor allem das Verdienst von Unternehmen und Arbeitnehmern, so Hundt. Merkel habe keine der einst versprochenen Strukturreformen in den Sozialversicherungen durchgesetzt, sondern sogar mehr Arbeitslosengeld beschlossen. „Das alles ist schon ein bisschen viel Stillstand und viel Rückschritt“, schimpfte Hundt. Am schlimmsten sei der Post-Mindestlohn. Der verhindere Wettbewerb und vernichte Arbeitsplätze. Beifall.

Erst nachdem Hundt das alles losgeworden war, durfte Merkel auf die Bühne. Nun wurde es still im Maritim-Hotel. Die Kanzlerin kam als Mahnerin. „Tun Sie das nicht einfach als Neiddebatte ab“, sagte Merkel über die Gehälterdiskussion. Es gebe ein „großes Unwohlsein“ in der Bevölkerung, wenn Manager Fehler machten und, anders als Arbeitnehmer, ohne persönliches Risiko davonkämen. Sie wolle zwar keine Lohnobergrenzen, beruhigte Merkel, aber über das Thema müsse weiter geredet werden. Eine erste kleine Drohung.

Nächstes Thema, nächster Schock: Mindestlöhne gebe es in vielen Ländern und die seien „an Mindestlöhnen nicht zugrunde gegangen“, erklärte Merkel. Da ging ein Raunen durch den Saal. So hatten früher doch nur SPD-oder Linkspartei-Politiker gesprochen! Nun kündigte die Christdemokratin Merkel an, sie werde genau beobachten, ob die Tarifpartner noch eine angemessene Bezahlung garantieren könnten. Besonders im Bezug auf die Dienstleistungsbranche habe sie da große Sorgen. Also noch mehr Mindestlöhne?

Laut einer Umfrage fänden nur noch 15 Prozent der Deutschen, dass es im Land gerecht zugehe, sagte Merkel. „Glauben Sie nicht, dass die Politik daran wortlos vorbeigehen kann.“

So viel Sozialrhetorik aus dem Munde ihrer früheren Lieblingspolitikerin ließ die Arbeitgeber fast erstarren – und vergessen, was die Kanzlerin für sie erreichte. Die Senkung der Unternehmenssteuern und der Lohnnebenenkosten? „Es darf geklatscht werden“, sagte Merkel. Kaum einer tat es. LUKAS WALLRAFF

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