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: Nachtburgfürst Natternkopf streichelt schwangere Bäuche: Cornelia Funkes „Tintentod“ als Abschluss ihrer Trilogie

„Herz. Blut. Tod.“: das sind die drei geheimen Worte, die man in das Buch des bösen Nachtburgfürsten Natternkopf hineinschreiben muss, um seine Unsterblichkeit zunichtezumachen. „Herz, Blut und Tod“: so heißen auch die drei Bände von Cornelia Funkes „Tintenwelt“-Saga. Fantasy-Literatur für Kinder, die auf der Herbst-Bestsellerliste gleich drei Plätze belegt. Das Mädchen Maggie und ihr Vater Mo, Buchbinder und aufgrund seiner formidablen Vorleser-Qualitäten „Zauberzunge“ genannt, geraten in eine Geschichte hinein. In dieser Tintenwelt entspinnt sich nach allerhand Abenteuern und ständigem Wechsel zwischen Buch und realer Welt ein Kampf zwischen Gut und Böse. Der kürzlich erschienene Band „Tintentod“ erzählt das Finale, das gänzlich in der abenteuerlich-düsteren Buchwelt spielt. Die Erklärung für ihren großen Erfolg liefert die Trilogie gleich selbst. Sämtliche Figuren, die in die Tintenwelt hineingelesen werden, sind große Leser: Buchsüchtige aus Neugier, Liebhaberei oder auch Einsamkeit. Kein Wunder, dass es besonders junge Mädchen sind, die diese Bücher verschlingen. Diese Leserschaft hat sich Cornelia Funke zuvor auch mit ihren Pferde- und Mädchenbanden-Geschichten erschrieben. Und wann ist der Weltfluchtgedanke stärker als kurz vor oder mitten in der Pubertät? Immer diese blöde Unbequemlichkeit des eigenen Körpers, der Dinge tut, die man ihm nicht befohlen hat! Ein gutes Buch ist da die beste aller Ablenkungen. Natürlich greift Cornelia Funke diese Thematik auf und spricht die all dieDinge an, die einem Großteil ihrer Leserschaft vielleicht auch gerade passieren: erste Verliebtheit oder Konflikte mit den Eltern.

Funke bezeichnet sich selbst als Geschichtenerzählerin und nicht als Schriftstellerin. Und tatsächlich ist „Tintentod“, wie seine Vorgänger auch, sprachlich eher simpel. Wenn etwas betont wird, dann stets mit einer einfachen Wiederholung. Das liest sich dann so: „Es tat weh. So weh.“ Oder „Sie war dumm. So dumm.“ Ziemlich oft geht es um das Geräusch, das ein Herz macht, wenn es zerbricht. Und Maggies schwangere Mutter Resa streicht sich gefühlte 2.845-mal über den Leib. Die Drohung, man werde jemandem seinen wahlweise „dürren“, „blassen“ oder „kleinen“ Hals umdrehen, noch öfter ausgestoßen, ebenso die Frage, wie man denn all die kleinen „Mäuler werde stopfen können“. Ob diese Redundanz beim Leser das Geborgenheitsgefühl verstärkt? Vielleicht funktioniert „Tintentod“ wie der Refrain eines simpel gebauten Popsongs. Doch der Einfallsreichtum der Autorin gleicht die sprachliche Unbeholfenheit aus. In der Tintenwelt leben nicht bloß die typischen Elfen und Riesen einer Fantasy-Welt mit mittelalterlichen Strukturen. Cornelia Funke hat einen Kosmos voller detailliert ausgearbeiteter Wesen erdacht, so wie schon in ihren frühen Büchern „Kein Keks für Kobolde“, „Hinter verzauberten Fenstern“ oder „Drachenreiter“. Es gibt sandessende kleine Glasmänner, Moosweibchen, die weißen Frauen. Un der Tod tritt auf: mit der Stimme einer Frau und der Gestalt eines sich immer wandelnden Tierwesens. Und die hat Bestand, auch wenn die „Tintenwelt“-Trilogie längst zu einer Art Blockbuster-Literatur geworden ist, mit einem immensen PR-Paket und Hollywood-Verfilmung.

Von einem Blockbuster hat „Tintentod“ auch das Tempo. 81 Kapitel auf knapp 800 Seiten lassen keine Atempausen, weil ein Kapitel nur selten inhaltlich an das vorangegangene anschließt, sondern meist einen anderen Schauplatz aufmacht. Einfach wird das Lesen dadurch nicht. Jedes Kapitel beginnt zudem mit einem Zitat: Joanne K. Rowling, John Irving, Rilke, Rimbaud, sogar Susan Sontag ist dabei. Eine reichlich krude Mischung; eigentlich will man lieber weiterlesen und sich nicht an solchen Textschnipseln aufhalten, die eine Tür in eine ganze andere Geschichte öffnen. Doch diese Zitatmischung hat ja auch etwas angenehm Anarchisches; vielleicht animiert sie also zum Weiterlesen. Dann würde „Tintentod“ nicht nur in den Tintenkosmos locken, sondern auch wieder zurück – und in 81 weitere Welten. KIRSTEN REINHARDT