Die Hightech-Schwimmhaut bleibt im Schrank: "Bleiwesten" aus Herzogenaurach

Weil die deutschen Schwimmer bei den Olympischen Sommerspielen in Peking den vermeintlich falschen Schwimmanzug tragen müssen, wird heftig über textile Chancengleichheit diskutiert.

In Peking wird Thomas Rupprath seinen High-Tech Schwimmanzug von Speedo nicht anziehen dürfen. Bild: dpa

In der prähistorischen Ära des Leistungsschwimmens ging das ganz einfach: Man zog sich eine Badehose an, wer wollte, stülpte noch eine Kappe über und schob sich eine Schwimmbrille auf die Nase. Michael Groß ging so ins Wasser, und auch der begnadete russische Kraulsprinter Alexander Popow. Heute reicht eine simple Badehose nicht mehr aus. Die Eliteschwimmer zwängen sich seit gut zehn Jahren in Ganzkörperanzüge, was zur Folge hat, dass es heute keine Badehosen-Weltrekorde mehr gibt. Auch Popow hat seinen Rekord über 50 Meter Freistil an einen dieser Anzugmänner verloren - an den Franzosen Alain Bernard, der in vier Jahren nicht nur 19 Kilogramm Muskelmasse zugelegt, sondern der auch noch einen Vertrag mit der vermeintlich richtigen Ausrüsterfirma in der Tasche hat: mit dem australischen Hersteller Speedo.

Der hat das derzeit begehrteste Ganzkörpermodell auf den Markt gebracht, den Fastskin LZR Racer. Innerhalb kürzester Zeit wurden mit ihm 35 (!) Weltrekorde aufgestellt, nur vier mit den Modellen anderer Sportartikelhersteller. Die Lobeshymnen auf das 500 Euro teure Exemplar wollen nicht abreißen. Die eine glaubt, bergab zu schwimmen, der andere fühlt sich wie eine Rakete im Wasser. Der Nächste vermeint, ein Luftpolster im Rücken zu haben, auf dem er durchs Becken getragen wird. Der Australier Grant Hackett sagt: "Man gleitet durchs Wasser, als ob man mit einem heißen Messer Butter schneidet."

Der PR-Erfolg für Speedo und seinen mit Ultraschall verschweißten Strampelanzug ist gigantisch. Schwimmer, die vertraglich an Arena oder Adidas gebunden sind, wähnen sich schwer im Nachteil. Das ist natürlich ein großes Problem so kurz vor den Olympischen Spielen in Peking, für die sich die deutschen Schwimmer seit Freitag in Berlin zu qualifizieren versuchen. Der Deutsche Schwimm-Verband (DSV) ist dummerweise mit Adidas verbandelt - seit geraumer Zeit eine wenig produktive Allianz. Jeder DSV-Athlet muss, auch wenn er wie Thomas Rupprath einen Einzelvertrag mit Speedo geschlossen hat, in Peking in das Modell der Herzogenauracher steigen. Und glaubt man einem Teil der Schwimmer, dann ist es so, als würden sie eine Bleiweste anlegen.

Der DSV will freilich hart bleiben, schließlich kassiert er vier Millionen Euro von Adidas. "Wir werden nicht vertragsbrüchig", sagt DSV-Generalsekretär Jürgen Fornoff, "das ist auch eine Frage der Moral." Der Vierjahresvertrag läuft bis Ende 2009 und ist mit einer zweijährigen Option auf Verlängerung ausgestattet; nur Adidas darf sie ziehen. Unter den Athleten setzt sich nun immer mehr die Überzeugung durch, im falschen Anzug zu stecken. "Ich glaube nicht, dass man das mit den besten Psychologen der Welt hinkriegen kann", sagt DSV-Sportdirektor und Cheftrainer Örjan Madsen. "Wenn einer in Anzug X auf dem Startblock steht und daneben einer mit Speedo, dann hat er schon verloren. Dies ist ein fantastisches Beispiel dafür, was Glaube ausrichten kann", sagt der Norweger. Aber ist es wirklich nur ein Placeboeffekt? Sagt nicht auch die australische Speedo-Weltrekordlerin Lisbeth Trickett: "Diese Rekorde auf den Anzug zu reduzieren, ist respektlos gegenüber mir und der Arbeit, die ich leiste"?

Glaube ans Textil

Madsen behauptet steif und fest, dass die Anzüge verschiedener Anbieter qualitativ so gut wie gleich sind: "Wenn ich als Schwimmer ein gutes Gefühl habe, wenn ich an den Anzug glaube, schwimme ich auch schnell." Zum Beweis seiner These dient ihm der Hallenser Kraulspezialist Paul Biedermann, der unlängst den deutschen Rekord über 200 Meter Freistil gebrochen hat - ohne die textile Wunderwaffe aus dem Uni-Labor. Madsen sagt, die Sportler müssten nur an sich glauben. So wie Britta Steffen: "Ich schwimme in Adidas und bin damit vor zwei Jahren meinen Weltrekord über 100 Meter Freistil geschwommen", sagt sie, "bei allen Diskussionen sollte man nicht vergessen, dass ein Anzug nicht von allein schwimmt, sondern in jedem Anzug Menschen stecken, die einen guten oder einen schlechten Tag haben, gut oder schlecht trainieren konnten."

Sie machen sich also Mut angesichts der hegemonialen, australischen Kunstfaser, die angeblich mit Teflon beschichtet sein soll. Auch Bundestrainer Manfred Thiesmann lässt die Anzug-Debatte nicht kalt, in einem Interview mit dem Spiegel sagte er, er sei überzeugt davon, "dass wir bald den genormten Anzug bekommen, so wie es ihn beim Skispringen gibt". Der internationale Schwimmverband Fina denkt aber derzeit gar nicht daran, die Schwimmer in eine Einheitsbadehose zu stecken. Zu heikel wäre eine solche Entscheidung, müssten doch Dutzende Weltrekorde der vergangenen Dekade gelöscht werden. "Das traut sich keiner", sagt Thomas Rupprath.

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