Jugendgewalt in Deutschland: Die Herbstoffensive

Die Bundesregierung beschließt eine Qualifizierungsinitiative - deren wichtigste Elemente erst im Herbst in die Tat umgesetzt werden können.

Die Jugend kann sich freuen: Im Herbst soll die Qualifizierungsinitiative umgesetzt werden. Bild: dpa

BERLIN taz Im Bundeskabinett ging es am Mittwochmorgen recht munter zu. Auf dem Tisch lag die sogenannte Qualifizierungsinitiative, anlass genug für die Ministerinnen und Minister, die öffentliche Debatte um Jugendgewalt der letzten Tage fortzuführen. "Das passt doch gut, heute über Qualifizierung sprechen zu können", freute sich Bildungsministerin Annette Schavan (CDU). Integrationsministerin Maria Böhmer (CDU) sah gar eine Konkretisierung der Bemühungen um eine bessere Berufschance von Migranten.

Tatsächlich enthält die Initiative der Bundesregierung ("Aufstieg durch Bildung") ein ganzes Bündel von Maßnahmen. Angefangen von "Häusern Junger Forscher" und fortgebildeten Erzieherinnen reicht es über ein Schulabbrecherprojekt bis hin zu einem Ausbildungsbonus für Schulabgänger, die schon jahrelang ohne Lehrstelle dastehen. Schavan schwärmte, das Programm sei dazu geeignet, "jedem Jugendlichen eine Chance zu geben". Allerdings hatte es das Kabinett nicht besonders eilig, die sinnvollen Maßnahmen schneller Wirklichkeit werden zu lassen.

Die Beschreibung des Projekts ist 35 Seiten lang, einige hundert Millionen Euro wird es kosten. Doch in Kraft treten kann es in wesentlichen Teilen erst im Herbst. Das liegt daran, dass ab heute erst die Gespräche mit Sozialpartnern, Verbänden und den im Bildungssektor beinahe allmächtigen Ländern beginnen. "Das Ergebnis soll Gegenstand eines Treffens der Regierungschefs werden, das im Herbst 2008 im Vorsitzland der Ministerpräsidentenkonferenz stattfinden wird", heißt es langatmig im Kabinettsbeschluss.

Der Grund für den gemächlichen Umgang mit dem angeblich brandheißen Thema Jugendgewalt ist dieser: Ursprünglich ging es bei dem Thema Qualifizierungsinitiative um den Fachkräftemangel einerseits und andererseits um einen Auftrag der EU, die hohe Zahl der Schulabbrecher zu verringern. Beides wurde deshalb im April 2007 auf die Tagesordnungen gesetzt, vergangenen Herbst auf der Kabinettsklausur besprochen. Dann erneut vor Weihnachten mit den Ministerpräsidenten der Länder, die sich im Herbst 2008 mit dem Maßnahmenbündel beschäftigen sollen.

Die Inhalte des Papiers sind vielversprechend, was die Lage arbeitsloser Jugendlicher anlangt. So manches Detail allerdings scheint unausgereift. So soll es eine neue Ausbildungsprämie für Betriebe geben, die sogenannte Altbewerber einstellen. Mindestens 4.000 Euro bekommt der ausbildende Betrieb pro Jahr - das macht zwei Drittel des Azubilohnes aus. Allerdings ist nicht ganz klar, wie man verhindern will, dass auch Betriebe die Prämie einstreichen, die keine zusätzliche Ausbildungsplätze schaffen. Prinzipiell ist das Projekt sinnvoll. Zuletzt gab es immerhin über 400.000 Teenies und Twens, die sich mehrfach vergeblich um Lehrstellen bewarben - die Risikogruppe schlechthin auf dem Arbeitsmarkt.

Nicht anders sieht es mit der Fortbildung für Erzieherinnen und Erzieher aus. In den einschlägigen Gewaltpräventionsstudien gilt es als ein Königsweg, riskante Schulkarrieren zu verhindern, indem man sehr früh bildungsarme Elternhäuser mit kompetenten Erziehern und Helfern unterstützt. Für die Weiterbildung von 80.000 Erziehern stehen aber nun kümmerliche zwei Millionen Euro zur Verfügung - das macht umgerechnet 25 Euro Fortbildungsbudget pro Person.

Kein Wunder, dass eine Reihe von gesellschaftlichen Gruppen konsterniert auf die Qualifizierungsinitiative reagierte. "Große Zukunftsthemen wie Fachkräftemangel und Bildungsarmut lassen sich mit einem netten Sammelsurium von Pilotprojekten nicht lösen", sagte etwa die stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Marianne Demmer. Die Schulpolitikerin entdeckte sehr wohl interessante Ansätze, bemängelte aber die mangelnde Fähigkeit der Bundesregierung, das Bildungswesen aktiv zu steuern. "Bessere Bildungschancen für Migranten lassen sich nicht nur mit ein bisschen mehr Durchlässigkeit zwischen Berufsausbildung und Uni erreichen", sagte Demmer. Die Ministerpräsidenten hätten Annette Schavan und die Kanzlerin erneut auflaufen lassen.

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