Priesterlich

■ Das filmische Stadtporträt „Palermo“ ist ästhetisch vollgefrachtet, pathetisch, mal ärgerlich, mal wunderbar . Kein Wunder, dass Regisseur Wolf Gaudlitz hochspannend ist

Fünf oder sechs Personen aus Palermo und ihre Lebensgeschichten umkreist der Film „Palermo“. Zu Wort kommen sie aber nicht allzu oft, weil die Zentralfigur ein Schriftsteller ist und der den Off-Ton weitgehend okupiert. Das gibt dem eigenwilligen Spielfilm den Anschein des Dokumentarischen. Mafiamorde kommen ebenso vor wie Vater-Sohn-Beziehungen und autoritäre Kindererziehung. Irgendwie dreht sich aber alles ums Thema Zeit.

Verdrehte Welt. In ihrem Film werden nicht Personen charakterisiert durch den Ort, sondern umgekehrt.

Gaudlitz: So ist es nun wieder nicht. Die Synchronität aber muss da sein zwischen den Figuren und dem Ort. Der Ort atmet.

....

....(Das Gespräch hüpft, trudelt, sprimg querbeet.)

Jetzt habe ich den Faden verloren.

Zurück zum Puppenspieler, der zieht die Fäden.

Ihre denkweise ist genauso assoziativ, wie die Schnitttechnik des Films. Wenn man böse ist, könnte man sagen...

... überraschen sie mich nicht, böse zu sein, seien sie es einfach...

... könnte man sagen, sie verwenden Videoschnetttechnik.

Ein durchschnittlicher Hollywoodfilm hat 1.200 Schnitte. Der Videoclip hat mehr als doppelt soviel. Meiner hat 463 Schnitte, darauf bin ich stolz. Gestern sagte mir jemand, es gibt kaum jemand, der langsamer ist als Sie. Ich sage: doch Angelopoulos. Aber der Film ist nicht langsam. Weil er soviele inhaltlichen Schnitte hat, so viele Biografien ineinander verzahnt.

Ich meine doch die Verfremdungseffekte. Die in den Himmel guckende Kamera, die exakt im Rhythmus zum Drehorgelspieler sich dreht; die orangene Trinkschale, die aus einem Schwarzweißbild fast gralsartig herausleuchtet; körnige, verschwommene Bilder, der unruhige Wechsel zwischen Farbe und Schwarzweiß; dieses permanente Ästhetisierung...

...Stilisieren, nicht Ästhetisieren, denn das hieße Harmonisieren – und das will ich nicht. Was Sie Videoclipstil nennen, nenne ich, den guten europäischen Kunstfilm.

Gibt es literarische Vorbilder für dies Biografien-Verzahnen, Döblins Alexanderplatz...

Nein.

Cineastische?

Nein. Aber vielleicht habe ich Lehrmeister. Ich habe bei Fellini mitgearbeitet, bei Wolgang Petersens „Die Konsequenz“. Und vom humanistischen Standpunkt aus, bin ich ein großer Freund der italienischen Neorealisten.

Erzählen Sie mal...

Ist lange her, sehen Sie im Internet nach, wenn Sie's interessiert, da werden Sie auch finden dass mein Radio-Bremen-Film – auch schon über Palermo – der erste war, der den Bayerischen Filmpreis erhielt.

Sie erzählten vorhin, dass sie schon fünf Filme über diese Stadt, in der sie seit 20 Jahren leben drehten. Immer inkusive Mafiaproblematik? Und ist die Mafia in Palermo sichtbar?

Das ist übrigens mein letzter Palermofilm. Natürlich sieht man sie; aber auch nicht mehr als hier in Deutschland, da werden die ins Kriminelle driftenden Verknüpfungen von Wirtschaft und Politik sichtbar, zum Beispiel beim Schweigen um die CDU-Spendengelder. Für mich ist das Mafia, organisiertes Verbrechen, Unehrlichkeit. Kohl schweigt ja wohl nicht freiwillig. Oder: Neue Straßenbahnen werden angeschafft, vielleicht um Firmen zu bedienen, vielleicht um die alten offiziell nach Rumänien zu verschenken und heimlich zu verkaufen. Das Klischee der Mafia ist aber in Palermo präsenter. Allerdings wohl auch nur als Geisterbahnfahrt, damit meine ich als pure Mutmaßung über irgendwelche Toten hinter allen Straßenecken. Aber vieles ist menschlicher dort, das Arbeiten, die Art der Freundschaften: Wegen den engen Familienbanden gibt es nicht diese tödliche Armut wie bei uns.

Leben Sie deshalb dort?

Ja. Außerdem bin ich eben ein Reisender.

Der O-Tom kreist ums Thema Zeit. Haben alle Filme diese gewichtige philosophische Komponente.

Ich bin Geisteswissenschaftler. Ich mache sogar theologische Sendungen für den Bayerischen Rundfunk.

Jetzt ist es raus. Sie sind Theologe. Deshalb also oft dieser hyperpathetische Ton. Deshalb also haben sie es gewagt als Zentralfigur ausgerechnet einen Schriftsteller zu wählen, und dem mit seinem krassen lyrischen Pathos den ganzen Off-Ton zu gönnen. Irgendwie mutig.

Pathos? Wie meinen Sie das?

Zu leichten Bildern von Obstverkäufern, hört man gewaltige Sätze über Gott, die Zeit...

Wenn ich frage „Wird Schuld zur Sühre, weil auch Wasser zu Wein wird?“ mag das vielleicht auf Sie pathetisch wirken, aber das ist doch der Beweis, dass ich nichts weiß. Das ist philosophisch, nicht pathetisch. „Und wenn Du noch solang gen Himmel schaust, dein Blick wird immer gen Boden fallen.“ Warum? Weil Gott nicht in den Himmeln lebt, inhaltlich keineswegs pathetisch. Übrigens finde ich auch die Bibel nicht pathetisch.

Warum sind Sie eigentlich kein Priester?

Bin ich ja vielleicht. Aber das täte nichts zum Film.

Ich glaube selbst Woody Allen kriegt nicht die Finanzierung von sovielen Filmen hin.

Ich mache alles selber. Wenn sie keinen Produzenten finden, machen sie's eben selber, wenn ein Kameramann sagt, „das geht so nicht, wie Sie sich das denken“, mach ich's eben selber. Und wenn die Kinos mich nicht spielen wollen, lege ich mir mein eigenes cinema mobile zu.

Ihre Darsteller sind keine Schauspieler. Diese blonde Mofafahrerin, war die nicht furchtbar beleidigt, als es über Sie hieß, ihr geistiger Horizont beschränke sich auf den bunten Blätterwald.

Die hat den Film noch gar nicht gesehen und ich befürchte fast, sie wäre irgendwie zu dumm, deswegen beleidigt zu sein. Sie träumt vom blonden Nichtsizilianer, das heißt sie hat ihre Identität aufgegeben.

Ist es so verkehrt, vom ganz anderen Leben zu träumen?

Die Selbstverläugnung ist das Verkehrte. Fragen: bk

Im Cinema, tägl. 19h