"Ein Bad ist kein Klostergarten"

■ Bandenkrieg auf der Liegewiese: Gewalttätige Jugendliche machen Freibäder unsicher / Private Sicherheitsdienste und Videoüberwachung sollen künftig für Ordnung sorgen

Auf die Kinder im Columbiabad in Neukölln werden in dieser Saison nicht nur die Augen ihrer besorgten Eltern blicken, sondern auch Videokameras. Keineswegs die einzige Neuerung, mit der das Bad am Tempelhofer Flughafen am 15. Mai aufwarten wird, wenn es seine Pforten für die Bade- und Sonnenhungrigen öffnet.

Weil Schlägereien, Gewalttätigkeiten, Diebstahl und sexuelle Belästigungen gegenüber Frauen im vergangenen Jahr auf der Tagesordnung waren, zog der Bezirk nunmehr die Sicherheitsschraube an. Neben der Überwachung des Kinderbeckens und des Eingangsbereiches über Bildschirm soll auch die Polizeipräsenz vor und im Bad (über 10.000 Besucher pro Tag) verstärkt werden. Eigens ließ der Bezirk innerhalb des Bades einen Raum umbauen und installierte einen Telefonanschluß, damit die Beamten künftig die Ermittlungen an Ort und Stelle durchführen können. Im Bad, so hatte ein Bericht des Bezirks festgestellt, waren dem völlig überforderten Personal in der letzten Saison vornehmlich sechs Jugendgangs aufgefallen, die sich zum Teil gewaltsam Eintritt zum Bad verschafften, ihre Reviere auf der grünen Wiese gegeneinander verteidigten und auch nicht vor Gewalttätigkeiten gegenüber anderen Badegästen zurückschreckten. Besonders beliebt war die Wasserrutsche, die nun umgebaut wurde, weil hier vornehmlich männliche Besucher Mädchen und Frauen angegrapscht hatten. Auch in den getrennten Duschkabinen mußten Fußtritte abmontiert werden, da Jugendliche von dort aus in die Frauenkabinen blicken konnten.

400.000 Mark ließ sich der Bezirk die zahlreichen Umbauten in diesem Jahr kosten, die für mehr Sicherheit für Gäste und Personal sorgen sollen. „Ein Klostergarten wird und kann ein Bad dieser Größe allerdings nicht werden“, räumt der für Finanzen, Personal und Sport zuständige Stadtrat Heinz Buschkowsky (SPD) ein. Aber, so seine Hoffnung, „wir können mit unseren Maßnahmen die Belästigungen und Gewalttätigkeiten eindämmen.“

Während Neukölln den Einsatz privater Wachdienste durchrechnen ließ, aber bislang noch darauf verzichtet, greift Wedding darauf zurück. Bereits im letzten Sommer liefen die im Volksmund unter „Schwarze Sheriffs“ bekannten Ordnungshüter im Bad an der U-Bahn-Station Seestraße Streife. Auch diesen Sommer wird wieder eine Doppelstreife mit Hund über die rund 15.000 Quadratmeter große grüne Wiese wandern. In zwei bis drei Wochen, so der Sport- und Badeamtsleiter Dieter Matz, werden die Uniformierten wieder „in unregelmäßigen Abständen“ im Bad erscheinen und versuchen, durch ihre Präsenz für Abschreckung zu sorgen. Der Einsatz kostet den Bezirk rund 25.000 Mark pro Saison und wird wohl kaum etwas gegen Diebstähle und Gewalttätigkeiten ausrichten. Denn eine „effektive Kontrolle“, so gibt Matz zu, sei bei rund 12.000 Gästen pro Tag einfach nicht möglich: „Wir können ja ein Bad nicht in eine Befestigungsanlage umwandeln.“

Im senatseigenen Olympia- Schwimmbad und im Sport- und Erholungszentrum (SEZ) an der Landsberger Allee sind Kriminalität, Zerstörungswut und sexuelle Belästigung ebenfalls nicht unbekannt. „Man wird solche gesellschaftlichen Erscheinungen leider nicht abstellen können“, sagt Jürgen Kießling, Leiter der Abteilung Sport und Freizeit in der Senatsschulverwaltung. Im SEZ wurde in der vergangenen Saison das Personal verstärkt und ein privater Wachdienst organisiert. „Es ist verheerend und ärgerlich, daß zu solchen Maßnahmen gegriffen werden muß“, meint Kießling. Zumal die minimale Gewinnspanne der Bäder durch den Einsatz der privaten Ordnungshüter noch weiter verringert werde. Daß sich die Bäder jedes Jahr immer mehr zu einem Mikroorganismus gesellschaftlicher Zustände und Mißstände verwandeln, hat Kießling als Mitglied des Sportausschusses im Deutschen Städtetag im Erfahrungsaustausch mit anderen Kollegen lernen müssen. Die zunehmende Kriminalität in Bädern „zieht sich wie ein roter Faden“ durch die Schilderungen aus vielen Gemeinden und Städten der Bundesrepublik. Doch nicht überall sind Zustände wie in Neukölln oder Wedding zu beklagen. In Kreuzberg erlebten die Verantwortlichen im Prinzenbad eine ruhige Saison. „Wir greifen rigoros durch und holen sofort die Polizei – das wirkt offenbar abschreckend“, so der stellvertretende Sport- und Bäderamtsleiter Detlev Oßenkopp. Auch Spandau, Pankow oder Tempelhof können aus ihren Freibädern keine nennenswerten Zwischenfälle vermelden.

Bei der Suche nach Gründen für die Verlagerung der Gewalttätigkeiten nach Neukölln und Wedding tun sich die Verantwortlichen und Politiker schwer. Bäderamtsleiter Matz spricht vorsichtig von den „vielen Völkergruppen in unserem Bezirk, die sich nicht grün sind“. Ein Sozialdemokrat wie Buschkowsky in Neukölln weiß, daß die Gewalt im Columbiabad von den rechtsextremen „Republikanern“ ausgenutzt wird, um ihre Parolen in rechte Licht zu rücken. Betont vorsichtig hebt er denn auch hervor, daß das Columbiabad zwar von rund 70 Prozent ausländischen Bürgern aufgesucht werde, daß aber die zunehmende Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft ein allgemeines Phänomen sei und daher auch „vor dem Verhalten im Freibad nicht haltmacht“. Severin Weiland