Rundumschlag

■ Wohnkultur, Folge 9: Maritime Ordnung und grüne Finger

In den Sternen steht es: Ich bin Fisch. Deshalb gehe ich fast täglich ins Prinzenbad. Natürlich auch wegen des Prinzen. Ich hoffe, daß er mich erlöst, daß er mich wegführt von dieser Wohnung. In der lebe ich seit 17 Jahren, weil ich mich von nichts trennen kann. Hinterhof, 4. Stock, Ofenheizung, Blick über das Dach der Fabrik. Kein warmes Wasser, aber das macht mir nichts aus.

Als Fisch liebe ich horizontale Flächen. Papier breite ich darauf aus wie Schuppen. Das Bett zugedeckt mit Zetteln, die Böden in allen Zimmern ausgelegt mit Zeitungen, auf den Tischen türmen sich die Bücher. Möbel liebe ich nicht. Wer mich besucht, muß sich auf Zehenspitzen einen Weg durch die Papiere bahnen. Eine Sitzgelegenheit gibt es nicht. „Ich biete dir den Boden“, sage ich zu meiner astrologieerfahrenen Freundin. „Da mußt du auch hin!“ antwortet sie. „Wie, da muß ich hin?“ „Du mußt vom IC zum MC zur Jungfrau.“ „Und, hat die Jungfrau Möbel?“ Vielleicht hat sie die, aber sie ist vor allem für eines bekannt: Ordnung. Und AstrologInnen behaupten, im Laufe des Lebens wandere der Mensch vom Sonnenzeichen in dessen gegenüberliegendes Sternbild. Ich vom Wasser ans Land. Mein Bruder ist Jungfrau, seine Pedanterie quält mich schon in Gedanken.

Vertikale Flächen sind mir ein Greuel, deshalb hänge ich auch kein Bild an die Wand. Fotografien sammle ich in Schubladen, Plakate staple ich in Ecken auf dem Boden. Manchmal schaue ich sie an. Selten sortiere ich einige aus, weil mir die Farben nicht mehr gefallen, ich den Sinn nicht mehr verstehe. Sie werden zu Postkarten, zu Geschenkpapier. Eine Lösung ist das nicht, und ich fühle mich dabei, als würde ich die Welt auf den Schultern tragen. Mein Ordnungssystem ist mein Kreuz. Ein Brief wird versorgt, wenn er beantwortet ist, eine Jacke dann, wenn der Knopf angenäht wurde, Notizen erst, wenn die Dissertation fertig ist. Koffer packe ich meist eine Stunde bevor ich wegfahre, aber ich brauche Wochen, ehe ich sie wieder ausräume. Zuviel unerledigte Erinnerungen liegen darin. Das einzige, woran ich hänge, sind Bücher und Briefe, Schallplatten und Pflanzen. Ich hab' – da kommt der Skorpion, mein Aszendent, zum Tragen – „grüne Finger“. Vor allem für das, was Stacheln hat. Kakteen blühen in meiner Wohnung, als ginge es darum, die Farben neu zu erfinden. Vor ein paar Wochen verbrachte ich den Abend mit der einsamen weißen „Königin der Nacht“.

„Fische trennen sich nicht, bei Fischen löst sich alles von selbst auf“, sagt die Astrologin. Recht hat sie. Letztes Jahr wurde bei mir eingebrochen. Fotoapparat weg, Fax weg, Anlage und CDs weg, Führerschein weg. Der Einbruch auch Metapher: Adieu! Es gibt keinen Ersatz, für nichts, für niemanden, auch nicht für den Führerschein. Autofahren ist mir mittlerweile ein Greuel. Neulich träumte ich, daß ich zwei Menschen aus einem untergehenden Auto gerettet habe. Zwei weitere ertranken, weil mir die Zeit nicht reichte, sie herauszuholen, und weil ich zu tief hätte tauchen müssen. Merkwürdig war dabei allerdings, daß ich im Wasser waten konnte. Waltraud Schwab