Schwimmen um jeden Preis

Eine niedrige Lufttemperatur schreckt den harten Kern der Schwimmer trotz Preiserhöhung nicht. So schön wie jetzt ist es im Prinzenbad nie wieder, schwört  ■ Plutonia Plarre

Dick eingemummelte Menschen ducken sich unter Regenschirme und hasten über die Straße. Es regnet aus vollen Kübeln, und es sieht nicht so aus, als ob die dunklen Wolken jemals der Sonne weichen wollen. Die lausigen Temperaturen erwecken allenfalls Gelüste nach einem Grog in der warmen Stube, aber nicht nach einem Bad im Freien.

Im Kreuzberger Prinzenbad hat sich eine verschworene Gemeinde versammelt: Männlein und Weiblein von jung bis alt, die eines eint – die Sucht. Egal ob es regnet, stürmt oder schneit. 20 Bahnen täglich müssen sein. Wenn das Freibad Anfang Mai die Pforten öffnet, geht's nach der langen Winterpause endlich wieder los. In vollen Zügen. Die erhöhten Eintrittspreise sind ein Ärgernis, aber kein Hindernis.

Wer zum harten Kern gehört, geht bei jedem Wetter und bei jedem Preis baden. In weißen Schwaden zieht der Wasserdampf über das Becken. Bei einer Badetemperatur von 23 Grad und einer Lufttemperatur von maximal 10 Grad bedeutet das Schwimmen Stochern im Nebel. Unvermittelt taucht ein Kopf oder ein Po aus den weißen Wolken auf und verschwindet wieder. Zu Karambolagen kommt es nicht. Bei dieser Witterung hat jeder seine Bahn für sich. Unter dem Startblock fünf stellt ein 32jähriger Altenpfleger eine gekonnte Unterwasserwende zur Schau. Er kommt täglich. Die Sucht hat ihn voll im Griff. „Ich brauche es psychisch und physisch.“ Mit Grausen erinnert er sich an die Wintermonate im Hallenbad. „Viel zu voll, zu stark gechlort und Fußpilz“, schüttelt er sich.

Auf der Nachbarbahn paddelt ein 59jähriger Vorruheständler im Schneckentempo vorbei. Die meiste Arbeit macht er mit den Armen, seine Beinen zucken nur. Er schwimmt täglich 30 Bahnen à 50 Meter und braucht dafür eine gute Stunde. Dann steigt er gemächlich aus den dampfenden Fluten, schlüpft in seine Badelatschen und schlurft zu den Duschen und Umkleidekabinen. Eine tropfende Nixe im schwarzen Badeanzug sprintet an ihm vorbei, denn der Weg zu den Duschen ist weit und bitterkalt und liefert eine Lungenentzündung frei Haus.

An der Kasse haben sich die hohen Wogen nach der saftigen Preiserhöhung halbwegs geglättet. Daß eine Saisonkarte jetzt 160 Mark kostet und damit fast dreimal so teuer ist wie zuvor, hat sich beim harten Kern der Schwimmern inzwischen herumgesprochen. Die Sonnenanbeter mit Plautze, Kühltasche und Klappstuhl wissen vermutlich noch nicht, daß sie jetzt für die Tageskarte fünf statt dreifünfzig abdrücken müssen. „Die ersten Tage nach der Preiserhöhung wurden wir mächtig beschimpft“, erzählt der Kassierer. „Wir hier unten haben alles abgekriegt, dabei sind die da oben schuld.“ Die da oben sind die „Berliner Bäder Betriebe“ (BBB), die die 77 Hallen und Freibäder der Stadt seit Anfang des Jahres zentral verwalten. Bis dahin waren die Bezirke zuständig. Der Kassierer findet die drastische Preiserhöhung zwar auch nicht gut, verteidigt sie aber damit, daß der Eintrittspreis seit fünf Jahren nicht angetastet worden sei. Und wer für die gelbe Saisonkarte anderthalb Hunderter hingeblättert habe, bekomme sogar eine Klarsichthülle gratis, schmunzelt er.

Die Gesichter der Badegäste an der Kasse sprechen Bände. „Ich kann mir das leisten, aber für die Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger wird es eng“, stellt eine Verkäuferin fest. Hier werde eindeutig am falschen Ende gespart. „Volksgesundheitspflege“ sei für die Aufsichtsratsvorsitzende der BBB, Ingrid Stahmer (SPD), offenbar ein Fremdwort. „Schwimmen ist der klassische Breitensport. Wer schwimmt, wird seltener krank und fällt nicht der Krankenkasse zur Last.“

Was die Verkäuferin noch nicht wußte: Die zwei zukünftigen Vorsitzenden der BBB sollen mit jeweils 190.000 und 160.000 Mark vergütet werden, die vier „außertariflich“ Angestellten sollen zusammen 560.000 Mark verdienen. Warum soviel? Der BBB-Projektleiter Edmund Brandt begründete dies gegenüber der taz damit, die Herrschaften müßten versierte Wirtschaftsfachleute sein und gute Konzepte zur Sanierung der Bäder entwickeln. Das Problem ist nur: Die besten Ideen nützen nichts, wenn die Stadt kein Geld hat.