Im schwulen Schrank

Nicht im Rampenlicht wie ihre prominenten Kollegen, sondern unter ganz normalem Druck stehen lesbische und schwule Journalisten

von ARNO FRANK

Beim Spiegel, dem Bundesnachrichtenmagazin im liberalen Hamburg, da arbeiten „welche“. Ungelogen. Sie wollen aber nicht darüber sprechen. Und wenn, dann nur ohne Nennung des Namens: Bei drei bekennend homosexuellen JournalistInnen in einem Haus mit zwei dezidiert homophoben Chefredakteuren wäre es wohl allzu einfach, die Quelle unliebsamer Ansichten ausfindig zu machen. Und was, bitte schön, sollen sie schon sagen? Dass alles im Lot ist? Ist es nicht. Dass alles im Argen liegt? Tut es nicht.

Doch schwule und lesbische Journalisten möchten, auch wenn sie in Verbänden und Gruppen organisiert sind, über die konkreten Bedingungen an ihrem Arbeitsplatz nur ungern plaudern. Der eine, weil seine Sexualität „eine verdammt private Angelegenheit“ ist. Die andere, weil sie ihre Chefs fürchtet – denen es freilich egal ist, ob ihre Mitarbeiterin nun lesbisch ist, die aber nicht als homophob dastehen wollen in einer Zeit, da Homosexuelle sogar von der Werbeindustrie als kaufkräftige Kunden entdeckt wurden. Homosexualität gehört zur „Bandbreite moderner Lebensentwürfe“, wie eine betroffene Redakteurin betont, und dazu gehöre inzwischen auch der Individualismus: Wir arbeiten in einer Branche, in der wir wohl gelitten sind. Gleichgeschlechtlich gern, gleichberechtigt sowieso, nur gleich hinausposaunen muss man’s ja nicht unbedingt.

„Das ist inzwischen ein Generationenproblem geworden“, sagt die fröhliche Annette Bolz vom Bund lesbischer & schwuler JournalistInnen (BLSJ): „Ich kenne einen schwulen Alt-68er, der ständig sagt: Wir müssen hier was tun, wir müssen da was tun! Aber die Jungen erwidern: Das macht doch gar keinen Spaß!“

So treffen sich die BLSJler auch nicht, um gemeinsam über schwul-lesbische Themen zu diskutieren, sondern um „in angenehmer Atmosphäre über Journalismus zu diskutieren. Natürlich wird dabei hin und wieder verabredet, das eine oder andere Thema zu lancieren, aber der Erfolg ist im Endeffekt eher mittel.“

Annette Bolz hat als freischaffende Wissenschaftsredakteurin mit den politischen Aspekten des Themas nicht so viel zu tun: „Obwohl ich beispielsweise zur pränatalen Diagnostik sicher andere Ansichten vertrete als meine heterosexuellen Kollegen, weil ich als Lesbe einfach eine andere Auffassung von Schwangerschaft habe.“ Und vom Konkurrenzkampf in den Redaktionen: „Fest angestellt sein und eine lesbische Chefin haben – der Idealfall“, meint Bolz und freut sich über „aufgeschlossene junge Redakteure, die sich trauen, auch mal sexistische Witze zu machen – weil sie wissen, dass ich gerne noch einen draufsetze“.

Komplizierter wird’s, wenn heterosexuelle Herren das Sagen haben und ihren Berührungsängsten freien Lauf lassen. Das bekommen Lesben und Schwule gleichermaßen zu spüren. Sei’s in Form freimütiger Zoten, sei’s als latente Missbilligung ihrer Arbeit. „Ist das schon wieder ein lesbisches Thema?“, wird eine Redakteurin gern abgekanzelt, die eben deshalb gern nicht genannt sein will: „Ich mach’s trotzdem.“

Dabei erweist sich gerade der viel gerühmte „andere Blick“ bei der journalistischen Konstruktion von Öffentlichkeit oft als Teufelskreis: Schwul-lesbische JournalistInnen sind, so sie sich als solche zu erkennen geben, entweder dem latenten Spott der Kollegen ausgesetzt – oder aber fürderhin auf „schwule Themen“ abonniert. Auch wenn Diskriminierungen am Arbeitsplatz laut Annette Bolz „heute in Deutschland und den Metropolen kaum noch üblich sind“, mag eben niemand in den „schwulen Schrank gesperrt werden“.

Eine freie lesbische Journalistin, die „nicht schon wieder in diesem Zusammenhang zitiert werden will“, bringt es auf den Punkt: „Die Frage ist, so zynisch das klingt, ob nur Rollstuhlfahrer über Rollstuhlfahrer schreiben sollen und das auch wollen.“ Nach „sieben, acht Jahren extremer Offenheit“ verzeichnet sie einen Backlash. Mit einer jüngeren Generation ist Normalität eingetreten, weshalb schwule Themen allmählich auch wieder aus dem Fokus journalistischer Themensetzung verschwinden: Nicht einmal die taz bereitete zuletzt „heiße Eisen“ wie die Homo-Ehe mit der Vehemenz auf, die Schwule und Lesben eigentlich von ihr erwarten dürften – schließlich gab es Anfang der Achtziger in der taz die erste „schwule Seite“ der deutschen Presselandschaft. „Das liegt an den Schwulen und Lesben selbst.“

An Protagonisten wie Matthias Mittermeier also, der als Redakteur bei der Nachrichtenagentur ddpADN arbeitet. Sein Ressort ist „Unterhaltung“ und seine Berufsauffassung eine unkomplizierte: „Bei mir hört jeder sofort, dass ich schwul bin. Und wenn ein schwuler Film in die Kinos kommt, werde ich eben oft als Erster angesprochen, ob ich darüber schreiben will. Umgekehrt gibt es bestimmt Kollegen, die ein Heavy-Metal-Konzert qualifizierter beurteilen können als ich.“

Homosexualität als Kernkompetenz. Und als Indikator für einen hohen EQ, das „emotionale“ Äquivalent zur Intelligenz. So arbeiten gerade bei Frauenzeitschriften Schwule, die geradezu prädestiniert dafür sind, den dortigen „Hühnerstall beisammen zu halten“. Im Mainstream verrutscht das ehrliche Bekenntnis allerdings oft zur drolligen Travestie, mit der etwa ein Ralph Morgenstern in seiner Sendung „Kaffeeklatsch“ inzwischen sogar die ZuschauerInnen des konservativen ZDF unterhalten darf. Alfred Biolek hingegen hat sein unfreiwilliges Outing über sich ergehen lassen – und ausgesessen, anstatt Partei zu ergreifen.

Wie sich auch beschränkte Wirkungsradien durchaus politisch nutzen lassen, zeigt das Beispiel von Peter Clasen, der bei TV Spielfilm Tagestipp und Programmteil redaktionell betreut. Der arbeitet dort nach eigenen Worten „still und leise“ vor sich hin, nennt aber konsequent „Schwulendrama“, was anderswo konziliant unter „Liebesdrama“ firmiert: „Da gibt’s schon mal Diskussionen, in denen Kollegen behaupten, es ginge doch um die Liebe an sich und den ganzen Dünnpfiff. Dabei geht es darum, den Lesben und Schwulen, die das Heft in die Hand nehmen, Informationen zu geben, die sie auch wirklich interessieren.“ Auch das allzu verschämte Adjektiv „homosexuell“ wird, wenn nötig, schon mal in ein offensives „schwul“ umredigiert. Was Erotik ist, liegt eben auch im Auge des schwulen Betrachters: Oft ist, was sich auf heterosexuellen Blick eindeutig als „Problemfilm über die sexuelle Orientierungslosigkeit von Jugendlichen“ darstellt, für Lesben oder Schwule ein erotisches Melodram, punktum.

Niemand muss sich dafür rechtfertigen, wenn er eine Platte empfiehlt, weil er die Frau auf dem Cover gut findet“, sagt Angela Gobelin, Musikredakteurin beim NDR – die sich sehr wohl dafür rechtfertigen muss, wenn sie Melissa Etheridge als Thema vorschlägt. Dass sie auf Frauen steht, mochte sie gar nicht an die große Glocke hängen: „Aber ich bin in meinem Job abends oft auf Konzerten unterwegs. Da begegnet man halt ständig Kollegen, und um dumme Fragen zu vermeiden, habe ich gleich gesagt: So, hier, das ist meine Freundin.“

Und als sie sich – gemeinsam mit dreizehn anderen Paaren – für die Aktion „Hamburger Ehe“ symbolisch verheiratete und ablichten ließ, war sie doch über die Reaktion in der Redaktion überrascht. So freundlich, eben fast schon normal: „Ich ging am Nachmittag wieder arbeiten, und überall in meinem Zimmer waren Blumen ausgelegt. Es gab sogar eine Karte“, wundert sie sich, „ausgefüllt von allen Kollegen. Und auf dem Gang kam mir mein Chef entgegen und gratulierte.“ Tu felix NDR nube.

Aber Angela Gobelin weiß auch: „In einem so großen Apparat wie dem Norddeutschen Rundfunk gibt’s kaum Probleme.“

Richtig düster wird’s nämlich, sobald man die weltläufigen, urbanen Zentren verlässt und sich in der Provinz umschaut, die ja bekanntlich überall ist. „Für Dinge zu streiten, die uns Emanzipierten längst zu albern sind“, sagt eine Berliner Journalistin, „kann der Lesbe vom Land eine echte Ermutigung sein.“

Auf dem Land, beim Provinzblatt Donaukurier im schönen Ingolstadt, da „gab’s mal einen“. Doch der arbeitet jetzt in München, und „wohin der sich jetzt genau entwickelt hat“, das weiß keiner so genau.

ARNO FRANK, 29, lebt in Berlin und arbeitet in der Medienredaktion der taz