Kämpfende Ritter im Samtgewande

Ritter und Ritterfestspiele, historische Daten und Feierlichkeiten werden für die touristische Inszenierung aus der Mottenkiste geholt. Die Schlacht von Tannenberg ist auch so lebendiger Teil polnischen Geschichtsbewusstseins

„Tomek, erzähl endlich, wann sollen wir sterben? In dieser Kluft ist’s ja kaum auszuhalten bei dieser Hitze.“ Im Kreis der etwa zehn Männer, die sich in Vorbereitung auf die Schlacht in vollem Harnisch auf den Rasen gesetzt haben, herrscht Aufregung. „Wenn ich da in meiner Montur stehe, fall ich doch nicht gleich beim ersten Schwerthieb um, oder?“, fragt einer, der Helm und Visier wieder abgelegt hat. Tomek, in grünem Samtgewand und kniehohen Strümpfen, macht ein nachdenkliches Gesicht: „Nach zwei, drei Hieben, meine ich, könnt ihr langsam sterben“, sagt er. „Aber zuerst die Bogenschützen im leichten Waffenrock. Die, die Rüstung und Hellebarde tragen, nehmen dem Gegner das Banner ab und laufen zum König. Alles klar?“

Grunwald im Ermland, 15. Juli, zehn vor fünf: Während im polnischen Lager noch über Leben oder Tod diskutiert wird, formieren sich die Kreuzritter bereits auf den grünen Hügeln von Tannenberg und stecken mit den Fähnlein des Ordens ihr Terrain ab. Wie vor 589 Jahren. Über 30.000 Ritter der Polnisch-Litauischen Union standen am 15. Juli 1410 dem Heer des Deutschen Ordens gegenüber. Die 20.000 Kreuzritter unter der Führung von Hochmeister Ulrich von Jungingen hatten damals in ihrem Lager schon die Fesseln für die Geiseln vorbereitet. Dass sie womöglich vom polnischen König Władisław Jagiello und dem litauischen Fürsten Witold besiegt werden könnten, kam ihnen gar nicht erst in den Sinn.

Die Schlacht bei Tannenberg (poln.: Grunwald), bei der auch Ulrich von Jungingen den Tod fand, endete mit einer vernichtenden Niederlage des Deutschen Ordens. „Heute sind die Deutschen besser vorbereitet“, witzelt Jarosław Struczyński (35), im bürgerlichen Leben Mitarbeiter des Archäologischen Museums von Danzig, der sich an diesem Tag in der Rüstung des Ulrich von Jungingen präsentiert.

Etwa tausend Ritter samt Knappen sind an diesem Wochenende aus Litauen, Tschechien, Frankreich und Polen ins Ermland gekommen, um, angefeuert von tausenden von Zuschauern, noch einmal eine der größten Schlachten des Mittelalters zu schlagen. Organisiert wurde das Treffen vom Verein „Grunwald-Schlacht“ in Zusammenarbeit mit anderen polnischen „Brüderschaften“, deren Mitglieder an Ritterturnieren in ganz Europa teilnehmen. 55 solcher Vereine gibt es in Polen.

Drei Tage dauert die Veranstaltung bei Grunwald, die 1999 zum zweiten Mal stattfindet. Auf dem Programm stehen Schweinerennen, Bogenschießen, Ritterspiele – und natürlich: die Schlacht. Für Jacek Szymański, Computergrafiker aus Warschau, steht fest: Auch diesmal werden die Polen siegen. Szymański (30) ist Władisław Jagiello, der polnische König. Die Polen erinnerten sich deshalb so gern an die Schlacht bei Tannenberg, so Szymański, weil sie 1410 als Sieger vom Platz gegangen sind. Die Nation, die im Verlauf der Jahrhunderte unterdrückt, geschlagen und geteilt worden sei – wenigstens da habe sie in Europa etwas bedeutet. „Also, auch wenn Ulrich heute stärker ist“, sagt Jagiello augenzwinkernd, „am Ende siegen wir.“

Punkt 17 Uhr dröhnt aus den Lautsprechern das gregorianische „Vater hilf uns“, das Schlachtlied der Ordensritter. Dann folgt die Bogurodzica der Jagiellonen, und nicht wenige Besucher stimmen ein. „Die Polen lieben diese Schlacht. Wenn Kinder ein Datum kennen, dann ist es der 15. Juli 1410“, sagt Dorota Mielnik, Informatiklehrerin aus Danzig. Auch den Ablauf der Schlacht kenne man in Polen in- und auswendig, nicht nur vom Geschichtsunterricht, sondern durch den berühmten Roman „Die Kreuzritter“ von Henryk Sienkiewicz. Und dann seien da noch die Schriften des Chronisten Jan Długosz, der den Ablauf der Schlacht von seinem Onkel erzählt bekam, der ein Augenzeuge gewesen sein soll. Kurzum, die Quellen sind geprüft, Geschichte lügt nicht.

Und so kommt es auch diesmal, wie es kommen muss. Die Ritter des mächtigen Deutschen Ordens stehen in ihren hundert Pfund schweren Rüstungen in der glühenden Sonne, die Truppen der Polnisch-Litauischen Union dagegen im Schatten. Polens König Jagiello lässt beten, schlägt beiläufig neue Ritter, hält Reden und tut alles mögliche, um den Beginn der Schlacht zu verzögern. Ulrich von Jungingen kocht schon im eigenen Eisen. Der Hochmeister provoziert Władisław Jagiello, indem er ihm zwei Schwerter überbringen lässt als Zeichen dafür, dass er den polnischen König für feige hält. „Schwerter haben wir selbst genug, aber wir nehmen eure gerne an, als Zeichen unseres Sieges“, erwidert Jagiello und gibt das Signal zum Kampf.

Die Schlacht von 1410 dauerte den ganzen Tag. Für die Neuauflage hat die Regie zwei Stunden vorgesehen. Mit Schwertern, Lanzen, Streitäxten, Wurfkeulen und Speeren rücken sich die Kontrahenten auf die Pelle. Damals markierte der Tod des Hochmeisters das Ende der Schlacht von Tannenberg. 1999 macht der Regen dem Kampf ein Ende. Ulrich von Jungingen sackt gekonnt zusammen, als die ersten Regentropfen das vorzeitige Ende der Schlacht ankündigen. Während eine Handvoll Kreuzritter den Verblichenen über das Feld tragen und ihn dem polnischen König vor die Füße legen werden schnell noch ein paar Duelle ausgetragen.

„Schade eigentlich, dass keine Deutschen gekommen sind“, meint Jarek, ein Landsknecht aus Warschau, der sich unter das dichte Blätterdach einer Eiche geflüchtet hat. „Aber das müsste dann wohl alles besser organisiert werden.“ Jarek macht sich ernsthaft Sorgen um die Unzulänglichkeit des polnischen Managements in Grunwald. „Mobile Toiletten wären für die Deutschen wohl das Minimum, oder? Das wär hier doch für die zu primitiv, wissen Sie, so’n bisschen wie im Mittelalter.“

Auf der Landstraße in Richtung A7, die Warschau mit Danzig verbindet, ziehen am Abend die Ritter in ihren Fords, Audis und Mazdas hinfort – und verursachen einen Stau. Ein Autofahrer, vom Ende der Schlacht erwischt, sieht keinen Grund, sich über den für Polen positiven Ausgang zu freuen. „Weiß Gott, wie lange wir hier noch stehen“, ärgert er sich. „Hätten die Kreuzritter bei Grunwald gesiegt, wir hätten hier längst eine Autobahn.“

KATARZYNA BIJAS/HENK RAIJER