Whirlpool Connections

Geschichten aus dem Prinzenbad: Die Wachleute tragen in diesem Jahr rote T-Shirts, die Buchhalterin kommt auch bei schlechtem Wetter, und S. hat inzwischen eine Eigentumswohnung in Schöneberg

von ANDREAS BECKER

Sommer ist Prinzenbad. Für 300 Mark habe ich mir eine Halbjahreskarte gekauft. Die gilt bis Ende Oktober. Ich gehe wohl schon seit etwa 15 Jahren hierher. In den Achtzigern lagen wir meist hinter den Pappeln auf der Nacktenwiese. Man hatte eigentlich was für die Uni zu tun – aber immer war es dafür irgendwie zu heiß.

Auch meine Magisterarbeit fiel ungünstigerweise in den Sommer und wurde nichts Rechtes. Damals gab’s diesen idiotischen Zaun vor den Nackten noch nicht. Als ich eines Sommers vor dem Zaun meinen weißen Hintern nachbräunen ließ, kam einer dieser damals auch noch neuartigen Wachleute und forderte mich auf, zu verschwinden. Ich hatte gerade einen Gipsarm.

An die Wachleute hat man sich gewöhnt. Diese Saison tragen sie rote T-Shirts, auf denen „Sicherheit“ steht. Intern heißen die Jungs „30“. Wenn es voll ist und die Ansage „Die 30 bitte zum Turm!“ kommt, müssen die Wachschützer zum Schwimmmeisterturm spurten. Mit der Kollegin S. vom Tagesspiegel und M. von der Berliner wollte ich den Zaun vor dem Nacktbereich eigentlich publizistisch zu Fall bringen – bei Nichtgelingen war Anzünden vereinbart. Damals kam es zum kleinen Skandal. Irgendwelche prüden Nacktfrösche beschwerten sich, dass der Tagesspiegel-Fotograf über den Zaun geknipst hatte. Die Polizei beschlagnahmte den Film.

Heute sitze ich meist vorn auf den Stufen. S. kommt diese Saison kaum, sie hat sich eine Eigentumswohnung in Schöneberg gekauft und hat jetzt öfter Ärger mit Handwerkern. Weil sie schon ewig Kreuzbergerin ist und nun plötzlich den Kiez verlassen wird, versucht sie, sich vom Prinzenbad abzunabeln. Ein schmerzvoller Prozess – außerdem schmerzt ihr Handgelenk beim Schwimmen. Ich hatte schon mal einen Freund, der sein Leben ändern wollte und der sich weigerte, weiter ins Prinzenbad zu kommen. Direkt gegenüber seiner Wohnung sei das Spreewaldbad. Inzwischen kommt er wieder.

Diese Saison gibt es mehrere Ausfälle von Stammgästen. K. hatte ziemlich lange Fußpilz und meinte, das Chlorwasser trockne die Haut zu sehr aus. Da ist sie erst mal nach Lesbos verschwunden. Hatte zum Glück noch keine Dauerkarte. Hundebesitzer P. hat schon seit dem Winter irgendeine Infektion und kann deshalb nicht kommen.

Dafür gibt es leider keine Ausfälle bei den allseits unbeliebten Stammgästen. „Die Braune“, eine kleine, gedrungene Frau, die alle, die ich kenne, wahnsinnig nervt – allein schon weil sie ihre ekligen orangefarbenen Badelatschen immer auf die unteren Ecken ihres großen Badetuchs stellt und weil sie immer diese Blumenspritze dabeihat, um ihre Bräune anzufeuchten.

Was macht die Braune bloß im Winter? Und ihr Kumpel „der Langhaarige“? Er ist Nervkopp Nr. 2. Spindeldürr und lang, wirft er immer seinen Kopf nach vorn, wenn er aus dem Wasser kommt und sich direkt neben dem Terrassenausgang neben die Braune setzt. Die Braune sehe ich übrigens nie schwimmen. Letztes Jahr hat die toughe C. von der Lesbenfraktion sich mit den Doofen angefreundet, seitdem ist sie unten durch. Ob sie wohl inzwischen wie geplant Fische aus Portugal auf Privatflügen nach Berlin importiert?

Ansonsten gibt es noch „die Buchhalterin“, die auch bei schlechtem Wetter immer da ist und meist irgendwas rechnet. Sie ist okay, habe in drei Jahren einmal mit ihr geredet, da hat sie erzählt, sie habe die Nacht in der Junction-Bar durchgemacht.

Auch Semipromis kommen ins Prinzenbad. Wolfgang Müller erholt sich hier von Island. Radiomoderator Jürgen Büsselberg sitzt gern mit zwei, drei knackigen jungen Jungs rum, oder Georg Kloster von den Yorck-Kinos telefoniert. Michael Mross von der „ntv-Telebörse“ kommt oder Michael Rutschky, der beobachtet, wie Leute im vollen Mehrzweckbecken bumsen, und daraus sofort eine Theorie der Transformation öffentlicher Sitten bastelt – und der natürlich nicht ahnt, dass die Bumsenden ihren Terror der Intimität nur für ihn inszeniert haben.

Kennen gelernt hab ich in all den Jahren im Prinzenbad eigentlich nur M., die bei der Zweiten Hand am Counter arbeitet. Die Flucht vor dem Schatten der Bäume trieb unsere Handtücher damals direkt nebeneinander. Bloßes Schwimmen wird ab zirka einer Stunde laut E. vom Zitty zu einer Art Sex mit sich selbst. Ich bring es ja nie so weit. Bahnenzählen finde ich eh doof.

Am schönsten ist es im Moment sowieso im Kinderbecken. Das ist wärmer als das Sportbecken und kälter als das Mehrzweckbecken. Außerdem krault einem das Wasser von der Rutsche den Rücken. Bei schlechtem Wetter wärmen die roten Backsteine. Nie gehe ich, auch nicht bei Kälte, unter die heißen Duschen. Duscht man unter den sibierisch kalten Duschen draußen, ist einem sofort wohlig zumute. Dann geht’s erst mal ins Bistro. Einen Kaffee für 2,50 trinken, dazu Rhabarberkuchen oder Pommes mit Majo.