Nebelkerze ORF

Österreichs Monopolsender wollte brisantes Filmmaterial über Jörg Haider nicht an die BBC verkaufen. Alles nur ein Missverständnis, heißt es in Wien

von STEFFEN GRIMBERG

Der Österreiche Rundfunk (ORF) ist wegen seines Umgangs mit Jörg Haiders FPÖ schon mehrfach in der Kritik gewesen, jetzt riecht es wieder nach vorauseilendem Gehorsam und Zensur in den eigenen Reihen: Für die „Haider-Show“, eine Dokumentation der British Broadcasting Corporation, die in diesen Tagen weltweit auf BBC World zu sehen ist, hielt die Monopolanstalt offenbar brisantes Material zurück.

Eigenlich arbeiten die BBC und der ORF wie alle öffentlich-rechtlichen Sender in Europa in Sachen Programmaustausch eng zusammen. Töne und Bilder werden, soweit keine Urheberrechte dagegensprechen, unkompliziert und oft zum Sonderpreis weitergereicht.

Für die „Haider-Show“ hatte der BBC-Journalist Frederick Baker im Sommer 2000 umfangreich im ORF-Archiv recherchiert, eine lange Materialbestellung ging an das zuständige ORF Sales and Purchases Department, die Verkaufsabteilung, die für den internationalen Programmhandel zuständig ist.

Anstelle des benötigten Filmmaterials erhielt die Redaktion des renommierten BBC-Auslandsreportage-Redaktion „Correspondent“ am 2. August aber nur ein Fax vom ORF, das um Geduld bat. Denn wegen des delikaten Charakters der bestellten Haider-Aufnahmen müsse erst eine politische Abteilung prüfen, ob die Weitergabe des Materials redaktionellen Beschränkungen unterliege: „As some of the footage on Mr. Haider is quite delicate our management has decided that our politics department shall check the material (...) requested to determine whether there are any editorial restrictions on the use of this material“.

Diese Nachricht allein, sagt Baker, zeuge schon vom Klima der „Angst und Repression im ORF“.

Als dann die Kleindienst-Affäre das Spitzelnest der FPÖ bei der österreichischen Polizei aufdeckte, machte der ORF ganz zu. Baker saß schon im Schneideraum, als der Wiener Polizeibeamte Josef Kleindienst auspackte und bestätigte, dass er selbst und mehrere Kollegen der freiheitlichen Polizeigewerkschaft im Auftrage der FPÖ immer wieder illegal im Erkennungsdienstlichen Computerarchiv gestöbert hatten. Darauf, so Baker, habe der ORF telefonisch jegliche Materiallieferung ohne Begründung abgesagt. „Für den Film war das sehr, sehr schwierig. Wir mussten ständig umdenken: Bekommen wir alles Material wie geplant? Oder bekommen wir gar keins?“, sagt Baker heute.

Am Ende schickte der ORF immerhin einen Teil der benötigten Aufnahmen – allerdings erst, nachdem Fiona Murch, Redaktionsleiterin der „Correspondent“-Reihe, einen Protestbrief direkt an den ORF-Generalintendanten Gerhard Weis geschrieben hatte. Sie sei „traurig, dass es zu diesem Brief kommen musste“, sagt Murch.

Nicht freigeben wollte der ORF dagegen diverse brisante Aufnahmen von Haider als jungem Burschenschaftler und von seinem Auftritt bei einer politischen Aschermittwoch-Veranstaltung, bei der Haider Frankreichs Präsidenten Jacques Chirac als „Westentaschennapoleon“ bezeichnet hatte. „Die Beschränkungen“, so Baker, „sind aber nicht wirklich nachvollziehbar“ – denn auch der Bericht über einen Bungee-Sprung des Kärntner Landeshauptmanns fiel den ORF-Bedenken zum Opfer.

„Da“, sagt ORF-Sprecher Thomas Prantner, „muss es sicherlich rechtliche Gründe geben.“ Jeglicher Zensurvorwurf sei absurd, das Ganze ein Missverständnis. Beim Fax der ORF Sales an die BBC handle es sich um eine „unglückliche Formulierung eine jungen Mitarbeiters der Verkaufsabteilung“. Ein „politics department“ gebe es nicht, ausschlaggebend sei nur, ob der ORF die Senderechte weiterverkaufen dürfe – und überhaupt sei nach seinem Kenntnisstand „die BBC voll versorgt worden“.

Baker sieht das anders: „Es geht nicht um einzelne Personen beim ORF, denen ist das alles schrecklich peinlich. Der ORF insgesamt hat ein Strukturproblem.“ Denn Österreichs öffentlich-rechtliche Anstalt hat ein Monopol auf die elektronischen Medien: Private Sender gibt es nicht. „Damit hat der ORF automatisch eine noch viel größere Verantwortung als zum Beispiel die BBC oder ARD und ZDF“, sagt Baker. Und: Nur der ORF hat ein umfangreiches Programmarchiv. „Er ist das einzige Gedächnis Österreichs, das Beweismaterial liefern kann, wie oft Haider seine Meinung wechselt.“