„Es gibt keinen Grund, in Dallas zu leben“

In seinem neuen Film „Dr. T and the Women“ erzählt Robert Altman von einem Gynäkologen, den die Frauenleiden auch im Privatleben einholen. Der Dekonstrukteur amerikanischer Mythen im Gespräch über entmündigte Ehefrauen, depressiven Shoppingwahn und seinen Helden Richard Gere

taz: Mr. Altman, Hintergrund von „Dr. T and the Women“ sind Hochzeitsvorbereitungen in einer US-Upperclass-Familie. Vor zwanzig Jahren haben Sie schon einmal einen Film über eine Hochzeit in der amerikanischen Oberschicht gedreht: „A Wedding“. Was hat sich seitdem verändert?

Robert Altman: Nichts! In der amerikanischen Gesellschaft hat sich überhaupt nichts verändert und in der amerikanischen Politik genauso wenig, jedenfalls so lange ich lebe. Es geht nach wie vor ums Geldanhäufen. Geld ist der wichtigste Impuls, und alle politischen Kampagnen, die derzeit in den USA stattfinden, lassen sich darauf zurückführen. Dementsprechend besteht die entscheidende gesellschaftliche Leitdifferenz darin, Geld zu haben oder kein Geld zu haben. Mit George W. Bush, einem ultrarechten Präsidenten, der im Grunde nur das Wohl der Konzerne im Sinn hat, wird sich das jetzt noch verstärken. Für mich sind die USA im Moment ein Staat, der seinen Geldfetischismus hemmungslos auslebt. Dieses Land ist ein einziges gigantisches Monopoly-Spiel.

Die Hausfrauen in Ihrem Film haben keinerlei Bewusstsein mehr für ihren Reichtum. Ist Dallas die Hochburg des depressiven Nichtstuns?

Diese Frauen besitzen alles, was sie wollen, und sogar das, was sie nicht wollen. Einerseits haben sie also alles, und andererseits rein gar nichts für sich selbst. Dallas, Texas, ist eine Art Mikrokosmos dieser Gesellschaft. Es ist ein merkwürdiger Ort. Es gibt keine Berge und keinen Strand. Im Grunde gibt es keinen einzigen vernünftigen Grund dafür, dass so viele Menschen an diesem Ort leben. In Dallas haben die größten und mächtigsten amerikanischen Unternehmen ihren Firmensitz. Und da die Ehefrauen der vielen Manager weder Ski fahren noch baden gehen können, gehen sie halt shoppen. In dieser Stadt dreht sich alles nur ums Shoppen.

Dallas wirkt in Ihrem Film gesichtslos. Sie filmen eigentlich nur sterile Luxusvillen und langweilige Einkaufscenter.

Es gibt eigentlich nur zwei Dinge, für die Dallas berühmt ist: die Ermordung John F. Kennedys und die Dallas Cowboys Cheerleaders. Gut, ich gebe zu, während der Dreharbeiten wurden wir zu vielen Partys eingeladen, aber ich habe das Gefühl, dass es in Dallas auch keine andere abendliche Freizeitbeschäftigung gibt.

Aber natürlich ist Dallas auch wegen „Dallas“ berühmt. Wir haben schließlich alle in der Küche von Miss Ellie gesessen.

Klar, deshalb verbindet jeder Mensch auf dem Globus augenblicklich ein bestimmtes Bild mit Dallas. Im Fall von Toledo, Ohio, wäre das anders. Und Sue Ellen ist sozusagen die ältere Schwester der Frauen meines Films.

Sue Ellen hatte mit J. R. aber immer noch einen Ehemann, der sie auf Trab hielt. Den Heldinnen Ihres Films bleibt nur die Langeweile, die irgendwann in die Depression kippt.

Aber es ist nicht ihre Schuld. Sie sind dort geboren, nach der Schule heiraten sie, und dann kümmert sich ein Ehemann um sie. Richard Geres Figur betreibt im Grunde die fortwährende Entmündigung seiner Frau, auch wenn er es nicht böse meint. Da ist es nur konsequent, wenn sich seine Frau irgendwann selbst entmündigt. All diese Frauen sind für mich Opfer der Gesellschaft, in der sie leben. Sie dürfen nicht arbeiten. Sie engagieren sich ehrenamtlich gegen Tuberkulose, für behinderte Kinder, aussterbende Tiere, Rassekatzen oder Blinde. In ihrem eigenen Leben gibt es keinerlei Ziel oder Streben außerhalb der Familie.

Im Vergleich zu „A Wedding“ wirkt „Dr. T and the Women“ nicht mehr so analytisch und neugierig. Ihr neuer Film kippt immer wieder in die Karikatur.

Natürlich gibt es Übertreibungen, wenn man so viele extreme Charaktere auf einem Haufen versammelt. Aber ich garantiere Ihnen, dass Sie in Dallas Frauen begegnen können, die viel durchgedrehter angezogen sind als die Heldinnen meines Films. Und sie verhalten sich ihren Kindern gegenüber mindestens genauso hysterisch wie Laura Dern in meinem Film.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ausgerechnet den American Gigolo Richard Gere als Frauenarzt zu besetzen?

Weil ich hoffe, dass Frauen diesen Film anders als Männer sehen. Für die Männer hat diese Besetzung erst mal die Ebene eines dreckigen Witzes. Ich hoffe, die Frauen werden verstehen, was ich damit erreichen will. Richard Gere schien mir einfach unwiderstehlich in der Rolle eines Gynäkologen, weil man mit ihm alle Klischees dieses Berufsstandes abbilden und gleichzeitig aushebeln kann. Ach, übrigens: Ist Ihr Frauenarzt männlich oder weiblich?

Männlich.

Aber Sie haben eine winzige Sekunde gezögert, bevor Sie geantwortet haben. Denn dieses Thema ist tabu. Wenn eine Frau vom Gynäkologen nach Hause kommt, dann will ihr Mann häufig wissen, wie der Kerl so ist, wie er aussieht etc. Die Frau sagt vielleicht, na ja, es ist ein kleiner, unglaublich liebenswürdiger, einfühlsamer Jude mit einer Brille usw. Und dann gehen die beiden auf eine Party, wo dieser riesige, breitschultrige, unglaublich gut aussehende farbige Mann steht und sich mit sonorer Stimme als ihr Frauenarzt vorstellt. Ich glaube, wenn es ein Terrain gibt, auf dem sich Männer und Frauen nicht wirklich und schon gar nicht ehrlich verständigen können, dann dieses.INTERVIEW: KATJA NICODEMUS