Mein wunderbarer Protestantismus

Alle sagen: Gehen wir spazieren? Anders als die bisherigen „Dogma“-Filme erzählt Lone Scherfigs „Italiensk for begyndere“ (Wettbewerb) nicht von Grenzüberschreitungen und Wahnsinn, sondern von einer sich schüchtern anbahnenden Liebe

von DETLEF KUHLBRODT

Keine Ahnung, ob Wahnsinn, Mord und Totschlag einfacher zu inszenieren sind als die schönen Dinge des Lebens. In jedem Fall gibt es mehr tolle Filme über Angst, Schrecken und Depression als über die Liebe, zumal wenn sie – so authentisch sozusagen – irgendwie zufällig, komisch und zugleich notwendig vorbeikommt. Wie im echten Leben, das wir in unserer Gefühlswelt zu inszenieren pflegen, oder eben wie in Lone Scherfigs „Italiensk for begyndere“.

Ging es den ersten Dogma-Regisseuren in ihrer Authentizitätsversessenheit noch um die düsteren Seiten der Existenz, den Kindesmissbrauch etwa, der in Winterbergs verstörendem „Fest“ aufgedeckt wird, oder die Grenze zum Wahnsinn, die die Helden von Lars von Triers „Idioten“ überschreiten, so erzählt die dänische Regisseurin Lone Scherfig in ihrem Wettbewerbsfilm „Italiensk for begyndere“ von der Liebe. Oder eigentlich, um genauer zu sein, geht es nicht um die Liebe, den allgemeinen Begriff von ihr, sondern um zwei Liebesgeschichten, die gerade deshalb so schön sind, weil sie ganz unspektakulär, unpathetisch und – nun ja – zärtlich inszeniert sind.

Wie soll man sagen? Nach allerlei mehr oder minder komplizierten und schwierigen Begebenheiten – von alltäglichen Wirrnissen zwischen Krankenhaus, Gottesdienst und dem Hotel, in dem der neue Pfarrer untergekommen ist bis zu Todesfällen vor dem Fernseher oder der Kündigung im Beruf –; nach einer angenehm langsamen Einführung der sechs Haupthelden also, die sozusagen klassisch dogmatisch daherkommt, finden sehr behutsam zwei Liebespaare zueinander. Wie das allerdings geschieht, ist schön, und die Liebenden sind so angenehm schüchtern.

Allen voran hat sich der Rezeptionsangestellte Jörgen Mortensen, ein Mann Mitte vierzig vielleicht, der sich für einen Versager hält, Potenzprobleme hat, von seinen Chefs immer rumgescheucht wird und sich nicht zu wehren weiß, in die schöne italienische Kellnerin Gulia verliebt. Nur weiß er nicht, wie er’s ihr sagen soll. Sie liebt ihn auch und betet zu Gott, dass er etwas unternehme. Irgendwann setzt er sich aufgeregt zu ihr und fragt, ob sie nicht mit ihm einen Italienischkurs der Volkshochschule besuchen möchte. Eine wunderbar absurde Frage.

Dann berät er sich mit dem jungen Pfarrer in dieser trostlosen 70er-Jahre-Kirche, was er denn als Nächstes tun soll. Sie zu einem Spaziergang einzuladen scheint eine gute Idee zu sein. Und dann dauert es tatsächlich so lange wie bei sich schämenden Teenagern: bis Gulia dann plötzlich tatsächlich bei dem Italienischkurs auftaucht und er sie dort also auf italienisch fragt, ob sie gerne mit ihm spazieren gehen möchte. Bis alles klar ist, muss er ihr dennoch auf dänisch – obwohl er meint, sie könne nur Italienisch – seine Liebe erklären.

Natürlich passiert noch viel mehr in dem Film, der ohne Rückblenden auskommt: Der junge Pfarrer führt mit dem alten Pfarrer, den er ablöst, existenzialistische theologische Dispute. Es geht um eine Frisöse, die sich so lange um ihre so todkranke wie mäkelnde Mutter kümmert, bis sie sie auf ihren Wunsch vom Leiden erlöst. Und es geht auch um eine Konditoreiverkäuferin, der immer alles runterfällt, und einen ehemaligen Fußballer im Juventus-Trikot. Zuvor wusste man auch nicht, wie lustig und zugleich wahrhaftig sich protestantische Gottesdienste inszenieren lassen, aber am besten ist doch diese schüchterne Liebeserklärung: „Wollen wir miteinander spazieren gehen?“ – „Ja!“

„Italiensk for begyndere“; Regie: Lone Scherfig, Dänemark, 118 Min.