Einschlagende Gedankenblitze

Der Bonsaihirsch oder Kunst macht erfinderisch: Die Stipendiaten der Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur, Roland Albrecht und Kai Schiemenz, zeigen in der Kunstbank Dinge, die nicht stimmen

Der rote Faden im Leben? Man kann ihn extrahieren. Der Marquis von Maillet soll ihn im 19. Jahrhundert aus seinen eigenen Sekreten gewonnen haben. Bis ihm Angst und Bange wurde, als vom Wesentlichen des Lebens nicht viel mehr übrig blieb als ein mickriger Faden von der Größe eines Regenwurms.

Ihn zeigt nun Roland Albrecht, der Mann, der gern in alten Geschichten wühlt und Anekdoten auftut, die er sich vorzugsweise so zurechtlegt, wie sie ihm gefallen. Manchmal findet er aber auch irgendein überraschend sprödes Objekt, dessen Geschichte erst noch geschrieben werden will. Zum Beispiel die vom Bonsaihirschen, den er beim Bergsteigen auf der Theke eines Almwirtes entdeckte. Das Fell des letzten japanischen Zwergenhirsches dieser Art zählt jetzt zu seiner Sammlung „unerhörter Dinge“, die bereits ein ganzes Museum bestücken. Gerade ist der Pelz in der Galerie Kunstbank auf einem Gitter für Rankpflanzen aufgespannt.

Albrecht ist im vergangenen Jahr Stipendiat der Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur gewesen, die diesen Ausstellungsraum betreibt. Genauso wie Kai Schiemenz, mit dem zusammen er den weißen Raum bespielt. Hauptsächlich auf weißen Sockeln mit lila Samt bespannt, präsentiert Albrecht seine Fundstücke. Ein Bernstein, der einzig übrig gebliebene vom legendären Bernsteinzimmer – behauptet jedenfalls der Finder. Oder die Spitze des Gipfels, den Petrarca bestieg. Hinterher bekannte jener, dass man Berge auch allein der Aussicht wegen besteigen könne – so jedenfalls ist es auf der Karte nachzulesen, die am Sockel hängt. Der Sammler und Geschichtenerzähler gibt zu: „Manchmal muss ich um die Geschichten ringen, aber meistens macht es gleich flupp!“

„In einem Kastanienwald starre ich hingerissen auf einen Kürbis mit großen Blättern, so groß wie die Fächer, die in einem Hollywoodepos den ägyptischen Pharao kühlen.“ Der Satz könnte eigentlich auch eine Erfindung Albrechts sein, aber er zieht sich in einem geschwungenen gelben Buchstabenband über eines der drei Bilder von Kai Schiemenz. Nicht, dass auf dem Bild auch nur annähernd etwas von Wald, Kürbis geschweige denn Pharao zu sehen wäre. Im Gegenteil: Unter den Worten verkeilen sich blaue Stege ineinander, die im Leeren enden und nicht unbedingt eine Brücke zur Erkenntnis schlagen. Daneben hängt dasselbe Motiv in Pink, Violett und Türkis, ohne Worte. Er habe überhaupt zum ersten Mal gemalt, sagt der HdK-Meisterschüler, der zuvor Zeichnungen und comicartige Kunstbücher produzierte.

Aber mit Räumen habe er sich schon immer auseinandergesetzt. So wie jetzt. Zu den Bildern zieht sich ein zweistufiges Podest diagonal durch die mehr als vier Wände. „Der Raum hier sieht aus wie ein toller ,white cube‘, hat aber lauter komische Ecken und Kanten.“ Und so geht es in seiner Rauminstallation rauf und runter, drunter und drüber, dass man auch den letzten Winkel in Frage stellt.

Letztendlich geht es einem mit Schiemenz’ Bildern dann nicht anders als mit Albrechts Dingen: Auf den ersten Blick scheint alles logisch und konsequent. Und dann wiederum verhält es sich wie mit Albrechts „Einschlag eines Gedankenblitzes“: Hier stimmt was nicht. Und das ist ausnahmsweise gut so.

PETRA WELZEL

Kunstbank, Brunnenstr. 188-190, bis 2. April, Mo.–Fr. 14–18 Uhr