Wild ballernde Boygroup

Dekonstruktion, Baby: The Mission von Johnnie To im 3001  ■ Von Tobias Nagl

„Auch Killer müssen waschen!“, singen die Hamburger IQ-Punker von Dackelblut in einem ihrer größten Hits. Johnny Tos The Mission hat sich diesen Song offensichtlich zu Herzen genommen – wenn auch mit Einschränkungen: Vor allem Kaffeekochen müssen seine Protagonisten ständig. Und am Küchentisch rumsitzen, als wohnten sie in einer Killer-WG oder arbeiteten bei der Polizei. Denn woran sollten sich auch dem Morden nachgehende junge Männer sonst festhalten als an einer guten Tasse Bohnenkaffee? An einer Frau ganz sicher nicht. Vor allem dann nicht, wenn wir uns in einem traditionell so maskulinen Genre wie dem Thriller befinden und es sich um die Frau des Chefs handelt.

Als sich rätselhafte Mordanschläge auf ihn häufen, engagiert der alternde Triadenboss Mr. Lung fünf Bodyguards. Und wie in jedem guten Thriller, caper-movie oder in einer Boygroup ist da für jede was dabei: Mastermind Curtis (Anthony Wong) trägt Zappa-Bärtchen und ein Herz aus Stein, der verfressene James knabbert ständig Nüsse, der lecker anzuschauende Mike erstickt an seiner blonden Wischmoppfrisur, Profikiller Roy (Francis Ng) ist vor allem professionell – was man von Shin nicht behaupten kann: Der beginnt eine Affäre mit Lungs Frau und bringt den homosozialen Männerbund damit in arge Nöte. Mit anderen Worten: Drehbücher gehören nicht unbedingt zu den Stärken des Hongkonger Action-Auteurs Johnnie To.

Filmsemiotiker David Bordwell, nach seiner letzten Buchveröffentlichung als ausgemachter Hongkong-Afficinado geoutet, behauptet sogar, To habe einen amerikanischen „scriptdoctor“ für seine Produk-tionsfirma Milkyway eingestellt. Und tatsächlich: So hanebüchen die Ausgangssituation auch sein mag, konsistenter hat Johnnie To noch nie erzählt. Freunde des französischen policiers könnten sich bei The Mission sogar an Melvilles Vier im roten Kreis erinnert fühlen. The Mission hat alles, um Hongkongs Film-Krise vergessen zu machen: Auf der Berlinale wurde ihm vor einem Jahr deshalb gleich eine Mini-Retrospektive eingerichtet.

Wo andere Filmschaffende des kantonesischen Kinos nach dem Handover ihre Koffer gen Hollywood eincheckten, begann Johnnie Tos Stern nach 1997 erst richtig zu leuchten. Sackte auch die Filmproduktion in der einstigen Kronkolonie von rund 300 Filmen pro Jahr, also Hollywood-Standards, auf gute 60 ab (Wong Kar-Wai zufolge nicht aufgrund des Handovers selbst, sondern dank der Stärke der amerikanischen Exportpolitik), Johnny To ließ sich kaum bremsen.

Von 1997 bis 1999 warf er als Regisseur oder Produzent seiner Kollegen Patrick Yau (The Odd One Dies) oder Wai Ka Fai (To Many Ways to Be No. 1) neun Filme auf den Markt. Unter ihnen: Running Out of Time mit Lau Ching Wan und Andy Lau. Vor dem magischen Datendatum zeichnete er für den Kühlhausthriller Beyond Hypothermia verantwortlich und drehte das Frauen-Fantasy-Spektakel Heroic Trio und die melodramatische Martial-Arts-Johnny- Guitar-Variante The Barefoot Kid mit der großen Maggie Cheung. Kurz: Wenn die Leinwand in kühlem 80er-Jahre-Designer-Blau erstrahlt, ist es sehr wahrscheinlich, dass sich Tos Produktionsfirma dahinter verbirgt.

Ähnlich wie in der amerikanischen Filmindustrie der späten 60er scheint Johnnie To zu beweisen, erweitern Krisen gar den stilistischen Spielraum und die Experimentierfreude der Produzenten: Gesetze des Genres gelten nicht mehr so monolithisch, erst recht, wenn die Konkurrenz fehlt.

The Mission bewegt sich auf dem literarisch in China seit Jahrhunderten verbürgten Feld der „Ehre“. Doch anders als John Woo konzentriert sich To nicht auf die unterdrückt erotische Hassliebe zweier Männer jenseits des offiziellen Gesetzes oder eine Idee a-moralisch-kriegerischer Treue, sondern entwickelt seinen Stoff gänzlich von den Seitenfiguren her, die nicht einmal mehr einen sichtbaren Geg-ner haben. Stattdessen erzählt To von ihrem Alltag, ihrer Langeweile und ihrer ganz unheroisch sich entwi-ckelnden Freundschaft, die irgendwann sogar mit dem Kodex der Triadengesellschaft in Konflikt gerät.

Zum ersten Mal hält To seine Zappelkamera still und fängt elegant choreographierte Action-Sequenzen in Kurosawa-artigen Raumkompositionen ein. Diese neue Lakonie hat dem Film ungeheuer gut getan. Ob die Protagonis-ten von The Mission in einer Welt krimineller Marktgesetze am Ende davon kommen, bezweifeln sie selbst. Dass Johnnie To damit nicht nur davonkommt, sondern ein kommerziell vielsprechendes Törchen geöffnet hat, dürfte allerdings kaum jemand mehr bestreiten.

tägl. 20.30 Uhr, 3001