Das Oslo-Syndrom

Die Liebe in Zeiten globaler Verantwortung aus dem Schoße Hollywoods: Taylor Hackfords Film „Lebenszeichen“

Dies ist ein Film über die Liebe in Zeiten globaler Verantwortung. Ein Film über den Mangel in der Dritten Welt und über die Strategien zur Lösung lokaler Konflikte. Im Mittelpunkt steht der Freiheitswille des modernen Individuums. Den Anstoß gaben eine wahre Begebenheit und ein Buch. Es trägt den Titel „Long March to Freedom: Tom Hargrove’s Own Story of His Kidnapping by Colombian Narco-Guerillas“. Frei übersetzt handelt es von der Entführung eines amerikanischen Entwicklungshelfers durch kolumbianische Koksschwadronen. Für dieses relativ neue Bedrohungsszenario offeriert „Lebenszeichen“ einen brandneuen Berufszweig und Russell Crowe. Er arbeitet im „K&R“-Business, was „Kidnapping & Ransom“ bedeutet, also Entführung und Lösegeld. Das Berufsbild sieht eine umfangreiche Vermittlertätigkeit vor, aber auch die militärische Lösung wird nicht ausgeschlossen.

Zu Beginn sehen wir Crowe bei einem Einsatz in Tschetschenien. Nur die Tasche mit dem Lösegeld fliegt nicht in die Luft. Das ist die Bond-Eröffnung, die zeigen soll, was für ein Kerl er ist. Ein knallharter Kopfjäger, ein Colt für alle Fälle, einer, der Commander Robot auf Jolo Manieren beigebracht hätte. Danach düst er wie 007 ins Londoner Hauptquartier, um die Tschetscheniengeisel von einer großen Liste zu streichen. Die Bond-Eröffnung ist gut, hat aber den prinzipiellen Nachteil, dass man danach zwei Stunden auf den Show-down wartet.

Zuerst müssen wir eine Weile mit Meg Ryans Eheproblemen klarkommen. Alice ist die Frau des tapferen Staudammexperten Peter (David Morse) und als solche gezwungen, dem Wohltäter vor Ort beizustehen. Sie will aber nicht mehr, sie hasst Kolumbien. Die hygienischen Zustände und die armen Leute – sie selbst lebt in einem Luxusdomizil – sind ihr ein Graus. So jammert sie, und Peter beschwichtigt, bis seine Entführung schließlich für alle eine Erlösung darstellt.

Es wird politisch. Peter versichert den Hasskappenguerilleros glaubhaft, dass er für den Staudamm und nicht für die Pipeline arbeitet, was wohl einen moralischen Unterschied bedeuten soll. Pech für ihn, dass den ehemaligen Marxisten die Ideale mitsamt der Sowjetunterstützung längst abhanden gekommen sind. Es beginnt das Feilschen um das Einzige, was die restliche Welt von den USA will: harte Dollars.

Crowe kommt ins Spiel. Zusammen mit Alice lehrt er uns nützliche Dinge. Dass man nie ein Lebenszeichen kauft, beispielweise. Oder wie man mit ein paar Telefonaten die geforderte Summe minimiert, Drohungen mit einem coolen Lächeln abtut und anhand kleinster Hinweise („obszöne Sprache“) die Hintermänner entlarvt.

Eigentlich soll es ja um das bisher kaum untersuchte Phänomen gehen, dass sich Angehörige Entführter in die Vermittler verlieben. Nennen wir es das Oslo-Syndrom. Leider ist da noch das Hollywood-Syndrom: die mittlerweile zur Norm gewordene Verweigerung jeder Überlegung zur Filmsprache. Munter wird zwischen Peters Überlebenskampf in den Kokainfeldern und dem Retterpärchen Russell/Ryan hin und her geschnitten. Schon auf Jolo war ja angesichts der Fernsehberichterstattung kaum mehr zu begreifen, dass es sich bei einer Entführung um die auch visuelle Trennung von Personen handelt, die einander etwas bedeuten.

Wie soll der Zuschauer die Ungewissheit um Peters Schicksal spüren und Alices zunehmende Entfremdung von ihm begreifen, wenn die Lebenszeichen aus dem Dschungel die Hälfte des Films einnehmen? Wieso wird man um das unmoralische Vergnügen gebracht, den gefesselten Langweiler selber zu vergessen? Dazu ist Regisseur Taylor Hackford („Ein Offizier und Gentleman“) auch noch unfähig, die Verliebung zwischen dem maskulinen Männertraum Meg Ryan und dem dackelblütigen Russell Crowe bildlich darzustellen. Irgendwann drückt ihr Crowe halt seinen Schmatzmund auf die Lippen und zieht los, um Guerillamethoden mit Guerillataktik zu bekämpfen.

Groß in dieser versammelten Durchschnittlichkeit ist allerdings Gottfried John als crazy Langzeitgeisel Erich Kessler. Er wird der beste Freund des Entführten, und so einen hat man in diesem Film auch bitter nötig

PHILIPP BÜHLER

„Lebenszeichen – Proof of Life“. Regie: Taylor Hackford. Mit: Meg Ryan, Russell Crowe, Pamela Reed, Gottfried John u. a., USA 2000, 135 Min.