Spätkauf in Berlin Mitte

In ihrer unauffälligen Cordhose und dem pragmatischen Pulli könnte die Schauspielerin Katrin Saß glatt ihrem neuen Film „Heidi M.“ entsprungen sein. Sie findet sich denn auch am besten, wenn sie in einer Rolle nicht spielen muss, sondern wenn ihr eine Rolle gewissermaßen einfach gehört. Ein Porträt

von ANKE LEWEKE

Schon ungewohnt, mit einer Schauspielerin zu sprechen, die sich dann am besten findet, wenn sie in einer Rolle nicht spielen muss. „Dann muss ich nichts produzieren“, sagt sie. Immer wieder fällt im Gespräch mit Katrin Saß der Satz: „Das war direkt meins.“ Bemächtigung, Aneignung einer Figur? Oder ist es gerade umgekehrt: Ein Rolle sucht sich ihre Schauspielerin?

Jedenfalls bin ich ziemlich erstaunt, als ich ihr vorgestellt werde. In dieser unauffälligen Cordhose und dem pragmatischen Pulli könnte sie glatt ihrem neuen Film „Heidi M.“ entsprungen sein. Da bevorzugt sie als Besitzerin eines kleinen Ladens irgendwo im Osten von Berlin ebenfalls burschikose Kleidung und tuckert mit einem Pick-up durch die Gegend. „Die karierten Hemden riechen doch noch so richtig nach Osten“, freut sie sich. „Aber mal im Ernst: Das Geschäft war direkt meins. Ich hätte da oben in dem Kämmerchen auch auf einer Matratze schlafen können, so heimisch habe ich mich direkt gefühlt.“

Wenn Katrin Saß als Heidi M. vor der liebevoll sortierten Ware den guten alten Filterkaffee austeilt, geduldig der Oma von nebenan ein Video aussucht, geht die Heimeligkeit auch auf den Kinozuschauer über. Plötzlich steht man da selbst an einem der Stehtische und beobachtet vom Ladenfenster aus das Geschehen. Doch was für die Kunden eine kurze Verschnaufpause darstellt, ist für Heidi ein unhaltbarer Zustand geworden.

Irgendwie wird die Endvierzigerin das Gefühl nicht los, dass das Leben an ihr vorbeizieht, ohne dass sie daran überhaupt noch teilhat. Nach sechzehn Ehejahren wurde Heidi M. von ihrem Mann verlassen. Jetzt ist die fast erwachsene Tochter auch noch für längere Zeit nach Australien abgerauscht. Und Heidi will sich nicht länger hinterm Ladentisch vergraben.

Nach einigen eher kargen Jahren mit gelegentlichen Auftritten im Fernsehen, zum Beispiel als Brandenburger Kommissarin im „Polizeiruf“ oder als sadistische Chefin einer Drückerbande in einem der letzten Schimanskis, ist „Heidi M.“ die erste Kinoarbeit der renommierten DDR-Schauspielerin Katrin Saß.

„Sich zu verändern, heißt sich zu erneuern“, mit ihrem Lieblingssatz kommentiert Saß die Wandlung der Heidi M. „Aber der Spruch gilt auch für mich, denn die Chance, wieder fürs Kino zu arbeiten, war schon unendlich wichtig.“

Mit der ihr eigenen Mischung aus Sicherheit und Unsicherheit gibt Katrin Saß nun wieder Interviews. Genauso zweigeteilt beginnt sie sich als Heidi M. wieder vor ihrer Ladentür umzusehen. Unsicher, wohin die neuen Exkursionen führen; sicher, weil ein Haufen Lebens- und Berufserfahrungen für eine Gefühlssicherheit sorgt für das, was für sie nicht mehr in Frage kommt. So ist für Heidi die Idee einer Verlobung ein übereiltes Hirngespinst des jüngeren Geliebten (Dominique Horwitz) – wie für Saß die Rolle der „Polizeiruf“-Kommissarin eine halbe Angelegenheit bleibt, weil sie da nur einen Teil ihrer Persönlichkeit einbringen konnte. „Diese Herbheit, die ja durch meine Stimmlage verstärkt wird, verlieh dieser Frau schon eine gewisse Souveränität, aber sonst hat man von der doch nicht viel mitbekommen“, lautet ihr knappes Urteil übers Serien-Intermezzo.

Apropos Stimme: Auch in ihrem merkwürdig metallischen Alt findet sich diese Mischung aus Schüchternheit und Pragmatismus, während die irgendwie traurigen Augen eine andere Geschichte erzählen. „Ach, Sie meinen meine Tränensäcke“, sagt sie schnell. „Ich habe lange gebraucht, sie zu akzeptieren, und wollte sie mir sogar wegoperieren lassen. Naja, es hat sowieso gedauert, mich so zu nehmen, wie ich bin.“ Saß beginnt von ihren privaten Auftritten zu erzählen, erinnert sich an die Anfangsjahre beim Theater. „Ich war die Erste morgens im Theater und abends die Letzte in der Kantine. Immer gut drauf, immer lächelnd. Auch jenseits der Bühne musste ich immer auftreten, Präsenz zeigen. Erst vor der Kamera konnte ich loslassen.“

Es war der Regisseur Heiner Carow („Die Legende von Paul und Paula“, 1973), der auf die erst einundzwanzigjährige Schauspielerin aufmerksam wurde, die noch in der Ausbildung steckte. In seinem Film „Bis dass der Tod euch scheidet“ (1977/78) spielte Katrin Saß – was wohl? – eine junge Frau, die es allen recht machen will und daran scheitert.

„Vielleicht ist die Kamera eine Art Therapeut für mich, die Seiten in mir hervorholt, die ich bis dahin verdrängt habe“, sagt Saß. „Irgendwie schon ein Glück, dass ich mich durch meine Rollen immer mehr erkannt habe.“ „Meine Rolle!“, teilte sie ihrem nächsten Kinoregisseur mit. „Du brauchst keine Probeaufnahmen mehr zu machen.“ Ziemlich verdutzt soll Hermann Zschoche geschaut haben, wie sich diese Vierundzwanzigjährige für die Rolle einer dreifachen Mutter von paarunddreißig Jahren vorstellte.

Es muss ihre instinktive Wahrhaftigkeit gewesen sein, die ihre Filmfiguren immer wieder zu Heldinnen des DDR-Alltags werden ließen. Wie Renate Krößners „Solo Sunny“ wurde auch ihre Darstellung der Arbeiterin Nina aus Zschoches „Bürgschaft für ein Jahr“ (1980/81) zum Sinnbild der unangepassten Frau, die sich dem Schlamassel des Lebens stellt. Dafür wurde sie dann auch mit dem Silbernen Bären der Berliner Filmfestspiele ausgezeichnet. „Ich wusste gar nicht, wie mir geschah. Da stand ich da oben auf der Bühne, die Fotografen wollten, dass ich lächle, aber die Tränen liefen mir nur so runter. Plötzlich wurde mir bewusst, dass da Michel Piccoli neben mir steht. Piccoli, der immer mit Romy Schneider gespielt hat, meiner Lieblingsschauspielerin.“ Die schlafwandlerische Sicherheit von Romy Schneider und ihre gleichzeitige Verletzlichkeit – in manchen Augenblicken von „Heidi M.“ fühlt man sich daran erinnert. Zum Beispiel wenn Katrin Saß draufgängerisch über die Straße geht und gleich in der nächsten Einstellung eine ungeheure Verlorenheit in ihrem Blick liegt. Oder wenn sie den viel jüngeren Geliebten nach einer stürmischen Küsserei anschaut, als sei er eine Fata Morgana.

„Heidi M.“ Regie: Michael Klier. MitKathrin Saß, Dominique Horwitz,Franziska Troege, D 2000, 90 Min.