Der perfekte Reinfall

Vor vierzig Jahren begann in der Schweinebucht die verkorkste Beziehung zwischen den Vereinigten Staaten und Kuba. In einer politischen Atmosphäre des Kalten Kriegs versuchte ein dubioses Komplott aus CIA und Exilkubanern, dem sozialrevolutionären Projekt in der Karibik militant ein Ende zu bereiten. Aber gegen die Bewegung um Fidel Castro hatten die Invasoren keine Chance. Die USA waren tief gekränkt, diesen kleinen Feind nicht bezwungen zu haben. Deshalb hat sich bis heute an der aggressiven Haltung der USA zum Nachbarn nichts geändert

von TONI KEPPELER

Wenigstens ein wuchtiges Denkmal im Stil des sozialistischen Realismus hätte man erwarten können. Doch da ist nur ein großes Reklameschild am Eingang des staubigen Dorfs: „Seit Girón sind die Völker Amerikas ein bisschen freier.“ Aber eben nur ein bisschen. Für die Bewohner von Playa Girón im Süden von Kuba reicht die Freiheit nicht einmal bis zum Strand. Zwischen ihren Holzhäuschen und dem türkisblauen karibischen Meer liegt eine riesige Ferienanlage mit Bungalows, geschützt durch einem hohen Zaun.

Die Siedlung hat realsozialistischen Charme. Ein Bungalow wie der andere, davor jeweils zwei Schaukelstühle. Man kann sich leicht vorstellen, dass am Wochenende verdiente Arbeiter mit ihren Familien hierher geschickt werden. Aber weil verdiente Arbeiter unter der Woche arbeiten, sind nur ein paar kapitalistische Touristen da. Ältere Herren meist, weiß- oder schon rothäutig. In viel zu knappen Badehosen warten sie am Rand eines Pools darauf, dass schöne junge Mulattinnen vorbeikommen.

Kaum zu glauben: Dies ist der Ort, an dem nach kubanischer Lehre „der Yankee-Imperialismus seine erste Niederlage erlebt hat“. Der Ort, an dem die bis heute währende hysterische Beziehung zwischen Kuba und den Vereinigten Staaten begann: Playa Girón liegt am Eingang der Schweinebucht.

In den frühen Morgenstunden des 17. April 1961: Landungsboote bringen rund 1.500 schwer bewaffnete Exilkubaner an die Strände von Playa Girón und Playa Larga. Sie haben fünf Panzer dabei und elf Lastwagen mit 46 Maschinengewehren. Dazu dreißig Granatwerfer, 28 Kanonen, fünf Raketenwerfer und 47 Bazookas. neuntausend Gewehre, 170 Tonnen Munition und acht Tonnen Sprengstoff. 28 Kampfflugzeuge setzen fast gleichzeitig im Hinterland bei San Blas Fallschirmspringer ab.

Die Mission der Truppe: Der unwirtliche Mangrovensumpf von Zapata sollte besetzt werden. Probleme, so dachten die Invasoren, waren dort nur von Krebsen, Krokodilen und vielleicht von ein paar unerfahrenen Milizionären zu erwarten. Der Plan war vom US-Geheimdienst CIA ausgeheckt worden. Seine Agenten hatten die Kämpfer meist in Kuba rekrutiert, sie so erst zu Exilkubanern gemacht. Hatten die Truppe in Guatemala ausgebildet und von Puerto Cabezas an Nicaraguas Atlantikküste zur Schweinebucht gebracht.

Nach ein paar Tagen sollte eine Exilregierung eingeflogen werden, die ebenfalls von der CIA zusammengestellt worden war. Mehrere lateinamerikanische Staaten waren bereits überredet worden, diese Regierung sofort anzuerkennen. Aus einer Invasion wäre so ein Bürgerkrieg geworden. Die neue Regierung hätte die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) um Hilfe gerufen. Und dann hätte eine Interventionstruppe unter US-Führung Schluss gemacht mit Fidel Castros Revolution.

In der Theorie war der Plan perfekt. Aber in der Praxis wurde er – so sagt es Peter Kornbluh vom Archiv für Nationale Sicherheit der George-Washington-Universität – „der perfekte Reinfall“. Und vor allem: „Ein persönliches Desaster für John F. Kennedy.“

Kennedy, der Demokrat, war nie begeistert gewesen von der Idee, Castro und sein Revolutionsprojekt per Invasion aus der Welt zu schaffen. Er hatte den Plan von seinem republikanischen Vorgänger Dwight Eisenhower geerbt. Aber weil Kennedy auch mit antikubanischen Sprüchen Wahlkampf betrieben hatte, glaubte er nun, nichts mehr aufhalten zu können.

Schließlich hatte die CIA längst eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die fieberhaft an der Vorbereitung der Invasion werkelte. In seinem Dilemma verhielt sich Kennedy typisch demokratisch. So, wie der Demokrat Bill Clinton Orgasmen ohne Sex erlebt haben will, so wollte der Demokrat Kennedy eine Invasion, ohne dass ein US-Amerikaner einen Fuß auf kubanischen Boden setzt.

Noch am Morgen nach der Landung der Brigade 2506 behauptete er: „Die USA haben keinerlei Aggression gegen Kuba verübt.“ Das glaubte ihm keiner. Schon gar nicht die CIA und die Exilkubaner. Die waren fest davon überzeugt, dass der Präsident seine Marines schicken würde, wenn es für die Invasionstruppe eng werden sollte. Doch Kennedy schickte niemand. Dafür kamen kubanische Milizionäre zur Schweinebucht, mehr, als Castro eigentlich wollte. Verzweifelt versuchten die Revolutionäre in Havanna, Freiwillige zurückzuhalten. Denn sie waren sich nicht sicher, ob die Landung in Playa Girón und in Playa Larga nur von der eigentlichen Schlacht irgendwo anders ablenken sollte.

„Als ich von der Invasion erfuhr, habe ich meine Milizuniform angezogen und bin gegangen.“ Für die damals siebzehnjährige Norma Ferrer war das eine bare Selbstverständlichkeit. Angst hatte sie nicht. „Niemand hat sich darüber erschreckt, dass die Gringos kommen. Wir waren hundertprozentig sicher, dass wir gewinnen werden. Schließlich hat uns Fidel geführt.“

Fidel ist für Norma Ferrer mehr als nur ein Heiliger. Sie hat ihn kennen gelernt, in einem Guerillacamp in der Sierra Maestra. Dreizehn war sie. Dort hinzugehen war ihr erster Entschluss, den sie als Erwachsene fasste. „Schon mit acht Jahren habe ich begonnen, in einer Schuhfabrik zu arbeiten. Ich habe kein Kino gekannt, keine Schule, keine Feste. Und wenn die letzte Mango vom Baum gefallen war, gab es kein Essen mehr. Unter solchen Bedingungen wird man schneller erwachsen.“

Sie war Wächterin im Lager der Kommandantur und kannte all die Großen: Camilo Cienfuegos, Raúl Castro und natürlich Che. „Che war der erste Arzt, der mich angefasst hat. Er hat mir das Leben gerettet, damals, als ich Malaria hatte.“ Aber noch mehr als Che verehrt sie Fidel. „Ich habe über seinen Schlaf gewacht.“ Sie sagt das so sanft wie eine Mutter. Unwillkürlich stellt man sich vor, wie sie da sitzt. Mit müden, dunklen Augen, die rötlich gefärbten Haare leicht derangiert. Und neben ihr schläft der junge Revolutionär.

Aber so war das nicht. Norma Ferrer hatte damals keine Synthetikbluse mit großblumigem Muster an, sondern eine militärische Uniform. Sie war noch ein halbes Kind und Fidel siebzehn Jahre älter. Ein paar Jahre später in der Schweinebucht war keine Zeit für solche Guerillaromantik. Zum ersten Mal sah Norma Ferrer Kanonen. Sie waren gerade ein paar Monate zuvor aus der Tschechoslowakei geliefert worden. „Die Milizionäre hatten keine Kampferfahrung damit. Das waren noch Kinder, keiner älter als siebzehn.“

So alt wie sie. Aber es waren eben Jungs. Und im Krieg galt auch im revolutionären Kuba wieder die vorrevolutionäre Rollenverteilung. „Ich sollte Holz sammeln und kochen für die Truppe.“ Sie wehrte sich und setzte durch, dass sie Fallschirmspringer jagen durfte. Am frühen Morgen des 19. April besetzte sie mit anderen Milizionären San Blas. Sie bekamen den Befehl, nach Playa Girón vorzurücken. Von der anderen Seite kamen Kolonnen, die bereits am Vortag die Invasoren in Playa Larga aufgerieben hatten. Die Brigade 2506 wurde in die Zange genommen. Norma Ferrer kam gerade rechtzeitig zur Kapitulation. Sie sah, wie lange Reihen von Männern mit erhobenen Händen abgeführt wurden. „Alle behaupteten, sie seien bloß Köche gewesen. Was sollten wir nur mit so vielen Köchen anfangen?“ Es war ihr achtzehnter Geburtstag.

Natürlich gibt’s auch Heldengeschichten. Als wäre sie selbst dabei gewesen, erzählt sie, wie Fidel von Playa Larga aus nach Girón zog. Wie ihn seine Leibwächter daran hindern wollten, sich in die Schlacht zu stürzten. Wie er sich einen Teufel darum scherte und auf einen Panzer stieg. Und wie er persönlich mit einem satten Schuss das Trägerschiff „Houston“ versenkte.

Das ist Legende. Die „Houston“ wurde von einem Flugzeug versenkt. Aber Fidel war dort. Es gibt Fotos, die zeigen, wie er auf einen Panzer steigt. Wie er über den Strand stapft. Wie er zu den siegreichen Milizionären spricht. Er trug damals eine dicke, schwarze Brille, was ihm eine wilde Aura verlieh. Jetzt, hager geworden und grau und mit Altersflecken im Gesicht, erinnert er sich gerne. Richard Nixon, als er noch Vizepräsident unter Eisenhower war, habe damals über ihn gesagt, er sei entweder naiv oder radikal. „Wahrscheinlich war ich beides. Wenn ich auf einer Militärakademie gewesen wäre, hätte ich diese Schlacht kaum geschlagen.“

152 Milizionäre fielen. Auf der Seite der Invasoren gab es rund zweihundert Tote. 1.197 kamen in Gefangenschaft und wurden später gegen Lebensmittel und Medikamente ausgetauscht. Elf Flugzeuge wurden abgeschossen, zwei Trägerschiffe und sieben Landungsboote versenkt. Kennedy schickte keine Hilfe. Auch der erwartete Volksaufstand in Kuba blieb aus. Die CIA hatte in den Monaten zuvor Dutzende von Spionen eingeschleust. Mit der Landung der Invasoren sollten sie in verschiedenen Städten gleichzeitig Unruhen organisieren.

Nach CIA-Schätzungen gab es damals rund dreitausend Konterrevolutionäre und zwanzigtausend Sympathisanten auf der Insel. Der Propagandasender Radio Swan hielt sie mit verschlüsselten Nachrichten auf dem Laufenden. Zwei Tage vor der Invasion kam die entscheidende Message über den Äther: „Achtung! Achtung! Achtung! Beobachtet genau den Regenbogen. Der erste wird sich bald zeigen. Der Junge ist zu Hause. Besucht ihn. Der Himmel ist blau. Hängt eine Ankündigung an den Baum. Der Baum ist grün und voller Kamelien. Die Briefe sind gut angekommen. Die Briefe sind weiß. Der Fisch wird bald auftauchen. Der Fisch ist rot.“

Doch als der rote Fisch auftauchte, waren die meisten Agenten schon verhaftet. Castros Revolutionäre hatten ein paar Monate vorher die „Komitees zur Verteidigung der Revolution“ gegründet, die bis heute darüber wachen, dass konterrevolutionäre Umtriebe nirgendwo eine Chance haben. Jeder Verdächtige wurde gemeldet. Rafael Francia Mestre war damals dafür zuständig, den Milizionären in der Schweinebucht den Rücken freizuhalten. Er ist noch heute stolz: „In sieben oder acht Stunden haben wir zwanzigtausend Leute verhaftet und in Stadien gebracht.“

Als ihm auffällt, dass man bei Stadien auch an Chile und Argentinien denkt, sagt er fast entschuldigend: „Wir haben sie mit Wasser und Lebensmitteln versorgt und die meisten nach ein paar Tagen wieder freigelassen.“ Robert Reynolds, damals CIA-Chef in Miami, hat mit der Vorstellung von gefangenen Oppositionellen in einem Stadion weniger Probleme. Aus dem lindernden Abstand von vierzig Jahren lobt der pensionierte Agent seine kubanischen Kollegen: „Das war eine beachtliche Leistung. Mein voller Respekt.“

Castro lobt im Gegenzug seinen damaligen Widersacher. Der zaudernde Kennedy „war mir der liebste US-Präsident“. Hätte Nixon die Wahl von 1960 gewonnen, „wäre alles viel schlimmer geworden“. Nixon hätte die Invasoren nicht im Stich gelassen, hätte Truppen geschickt. Da ist sich Castro sicher. „Dann hätten die USA schon mehr als zehn Jahre früher ein Vietnam erlebt, neunzig Meilen vor ihrer Küste. Wir und die USA können uns glücklich schätzen, dass es dazu nicht gekommen ist.“

So hat Castro einen großen Sieg gegen den Yankee-Imperialismus errungen, Kennedy eine schmachvolle Niederlage erlitten. Die organisierten Exilkubaner in Miami waren vom Demokraten enttäuscht und stehen seither fest auf der Seite der Republikaner. Bis heute halten sich Gerüchte, dass sie es waren, die Kennedy am 22. November 1963 in Houston ermorden ließen.

Das Thema Invasion war nach dem gescheiterten Schweinebucht-Abenteuer vom Tisch. Doch die Weltmacht konnte die Niederlage gegen die bärtigen Revolutionäre nicht verwinden. Bereits am 25. April, sechs Tage nach dem Fiasko, verhängte Kennedy eine totale Wirtschaftsblockade gegen Kuba. Anfang 1962 wurde das Land auf Betreiben der USA aus der OAS ausgeschlossen. Im Oktober desselben Jahres brachte die so genannte Kubakrise die Welt an den Rand eines Atomkriegs. Aber das ist eine andere Geschichte.

TONI KEPPELER, 44, ist taz-Korrespondent für Zentralamerika und die Karibik und lebt in El Salvador. Er hat Kuba Ende März besucht.