Der Markt, das sind die anderen

Überall blitzt die Fratze der Globalisierung hervor und ständig werden die kalten Szenarien des Kapitalismus gegeißelt: Die 2. Berlin Biennale präsentiert die Gegen-Kartografien der Kunst für Situationen, die von Politik und Wirtschaft beherrscht sind

von HARALD FRICKE

Es ist die Geschichte einer Partnerschaft. 1997 hat sich ein großes deutsches Versicherungsunternehmen einen 30 Stockwerke hohen Turm nahe an der Spree gebaut. Es ist die Europazentrale der Firma, von der aus das Geschäft in den neuen Bundesländern abgewickelt wird. Der Neubau sollte auch viele andere Dienstleister an den Ostrand der Berliner Innenstadt ziehen.

Doch mit dem Umfeld gibt es Schwierigkeiten: Seit Mitte der 90er-Jahre liegt ein Klimagutachten vor, das vor weiteren Hochhausbauten warnt – durch die hohe Bebauung und die steigenden Abgasemissionen der angrenzenden Ausfahrtstraße könnte die bestehende südöstliche Frischluftschneise gekappt werden. Dann wäre für Berlin-Mitte der Mief kaum noch auszuhalten. Seither wurden keine neuen Bürotürme in dieser Gegend errichtet, und auch die geplante Bundesautobahn durch Treptow wurde auf Eis gelegt. Jetzt steht der Tower der Allianz AG ganz allein da, ein glückloses Monument des Berliner Wirtschaftsbooms, der doch ausgeblieben ist. Nur die Kunst ist gekommen, weil die Firma Partner der 2. Berlin Biennale ist.

Deshalb findet die Pressekonferenz im 30. Stockwerk statt, und im ansonsten gespenstisch menschenleeren Foyer sind drei Installationen abgestellt. Bei Navin Rawanchaikul aus Thailand kann man Geschenkartikel mitnehmen und auf stummen Videomonitoren schwer verständlichen Volkstänzen zuschauen, im Keller tobt sich der Franzose Claude Leveque mit Blitzschlägen in einem Darkroom aus, zur Spree hin hat die in Amsterdam lebende Slowenin Apolonija Šušteršič ihre „City Lounge“ eingerichtet. Wieder starrt man auf Bildschirme, diesmal mit Überwachungsbildern vom Reichstag bis zum Ku’damm-Eck. Das alles ist schrecklich trist, frostig und deprimierend: Endloser Stillstand, endlose Großstadtsimulation, endloser Kulturtourismus – willkommen in Berlin!

Kein Geld vom Bund

Man kann das Opening zum Kunstevent als Sieg des Sponsors werten, wenn sich denn wirklich aus der Kultur Kapital schlagen ließe. Die Biennale hatte die finanzielle Unterstützung der Versicherung jedenfalls bitter nötig. Sonst wären die 3 Millionen Mark Kosten nie aufgebracht worden. Selbst Eberhard Mayntz aus dem Vorstand der Berlin Biennale ist einigermaßen ungehalten darüber, dass nur der Hauptstadtkulturfonds sich an der Finanzierung beteiligt hat, vom Bund aber keine Gelder zugeschossen worden sind. Deshalb schaut er bei seiner kurzen Einführungsrede zu Hortensia Völckers, die in Kunstsachen den Kulturstaatsminister Nida-Rümelin berät, auch ein wenig strafend hinüber, damit sie weiß: Das muss in Zukunft besser klappen.

Wer will, kann sich indessen im Pressefolder über die Firmengruppe Mayntz informieren, deren Umsatz an fertig gestellten Bauvorhaben circa 1.500 Millionen Mark beträgt, weitere 500 Millionen an Investitionen sind bereits verplant. Wie viel seine eigene Bauträgergesellschaft in die Biennale investiert hat, mag der diplomierte Ingenieur nicht erzählen. Geld für Kunst ist offenbar genug da, vor allem auf den freien Märkten von Mayntz und Co.

Tatsächlich sind es gerade diese freien Märkte, die den Künstlern und Künstlerinnen der Biennale Sorgen bereiten. Wie schafft man es, das Spiel mitzuspielen, ohne sich dabei über den Tisch ziehen zu lassen?, das ist eine der Grundfragen für fast alle der immerhin 48 Teilnehmenden. Und auch für die Kuratorin der Ausstellung, Saskia Bos, geht es darum, mit „Gegen-Kartografien“, wie sie sagt, „alternative Lösungen für Situationen zu entwickeln, die vollkommen von Politik und Marktstrategien dominiert werden“. Das ist eine gute Vorgabe, die sich im Gegensatz zur ersten, eher Berlins Galerieszene reflektierenden Biennale in mehr Beteiligung aus Asien und dem früheren Ostblock auswirkt. Für Bos ist es selbstverständlich, Video-Arbeiten von Fiona Tan (Indonesien) über Ethnografie gleich neben einer filmischen Studie abstrakter Malerei zu zeigen, die der Schotte Jonathan Monk nach Ausschnitten eines Gerhard-Richter-Bildes montiert hat. Beide forschen mit analytischem Blick nach kulturellen Formationen: von der Darstellung dörflicher Gemeinschaft in der Sahara bis zum Role Model westlicher Avantgarde.

Trotzdem ist die Biennale kein utopischer Ort, fern von den Anziehungskräften der Realität. Das wirkliche Leben ist für Darren Almond schmerzensreich und proletarisch, wenn er seinen Vater im Videointerview nach den vielen Verletzungen fragt, die sich der Alte als Kranführer auf Baustellen im Norden Englands zugezogen hat. Nicht ganz so pathetisch nimmt sich die Schwedin Ann-Sofi Siden per Videokamera den Alltag von Feuerwehrmännern vor, der aus ständigem Warten auf den Einsatz besteht. Je unspektakulärer die Beobachtungen, umso dichter die Beschreibung – der Portugiese João Penalva zeigt in seinem „Kitsune“-Video aus einer einzigen Kameraeinstellung eine japanische Berglandschaft im Nebel, während sich zwei Bauern im Off über Kuhverstümmelungen und andere Spukgeschichten unterhalten. Irgendwann empfindet man die Landschaft wie in Trance. Gleichwohl ist dieser Hang zum Dokumentarischen, der immer wieder auf Video- und Filmmaterial zurückgreift, auf Dauer ermüdend. Dass das Medium als inszenierte Antiinszenierung funktioniert, ist seit den Dogma-Filmen Lars von Triers längst Standard geworden. Ganz selten wird der mediale Fluss so durchgeschüttelt wie bei Octavian Trauttmansdorffs Fotoarchitektur, die auf einer einzigen ungeschnittenen Rolle Fotopapier im Großformat lauter karge Szenen aus Wiener Bahnhofsgaststätten aneinander reiht.

Engagierte Autonomie

Natürlich hat die minutiös aufgezeichnete Alltäglichkeit auch sonst Methode. Jede Mikrostruktur, jeder Feinschnitt entlang der banalen Lebenslinien ist ein Gegenentwurf zur totalen Vergegenständlichung, zum bloßen Funktionieren, oder wie es der Theoretiker Charles Esche nennt, Kunst ist „engagierte Autonomie“ in Zeiten des Neoliberalismus. Denn unterschwellig bleibt das Terrain des Privaten von Thailand bis London stets vermint: Überall blitzt die Fratze der Globalisierung hervor, dauernd werden die kalten Szenarien des Kapitalismus gegeißelt, angegriffen oder dekonstruiert. So hat etwa die Polin Katarzyna Józefowicz in den Kunst-Werken, der Homebase der Biennale, einen Teppich aus Zeitschriftengesichtern collagiert, weil sie das Leben von Britney Spears und all den anderen Leuten auf den Fotos „nicht so recht akzeptieren konnte“. Schließlich dienten all die Images doch nur dazu, „Käufer anzulocken“, wie Józefowicz im Katalog resümiert. Nun steht man vor ihrem Teppich und meditiert, ob die unentwegte Präsenz einer solchen strahlenden Individualität am Ende nichts weiter als ein glossy Ornament der Masse darstellt. Aber zum Verhältnis zwischen Stars und Öffentlichkeit, vor allem über die mediale Akzeptanz und Kontingenz, mit der in diesem System der Beauties operiert wird, sagt das im Fleiß erarbeitete Schnipselwerk nichts. Es sieht einfach so glatt und schön aus wie die Oberflächen, die sich darin spiegeln. Über die Austauschbarkeit entscheiden derweil vor allem ebenjene Magazin-Käufer, für die im Monatsturnus ständig neue Boygroups und Big-Brother-Helden entstehen.

Der Markt, das sind nicht immer nur die anderen. Der Markt ist das Forum, auf dem sich Gesellschaften über ihre Eigenheiten – durchaus wörtlich – austauschen. Auch kulturell. Es ist die New Yorker Galerie Lehmann Maupin, für die der türkische Videokünstler Kutlug Ataman seine Dokumentation über das Leben einer geschlechtsumgewandelten Pornoqueen aus seiner Heimat produziert hat, das als sechsteilige Raumfolge im Postfuhramt läuft. Gleichzeitig erzählt seine Hauptdarstellerin Soray sehr wohl von der Abhängigkeit, von Zuhältern in Istanbul und den Demütigungen in ihrer Jugend, während Ataman die Frau mit den schick blau gefärbten Haaren ziemlich entspannt mit der Kamera begleitet, selbst beim Quickie. Ähnlich unmittelbar geben sich die kichernden asiatischen Girls in den Videos von Patricia Piccinini aus Sierra Leone, während sie Tipps geben, wie man am besten Lastwagen fährt. Offenbar ist ein Truck für die Mädchen der Inbegriff von Glamour, zumindest hat Piccinini ihnen entsprechende Spielzeuglaster gebaut, die nun himmelblau und rosa lackiert als Trophäen im Raum stehen.

Umgekehrt löst sich die Leichtigkeit beim Ausflug in die Arbeitswelt für Swetlana Heger & Plamen Dejanov, ein Künstlerduo in der Tradition von Warhol oder Jeff Koons, vollständig in Synergien mit der Wirtschaft auf. Seit drei Jahren arbeiten sie an der Corporate Identity von BMW, entwerfen Kunstprojekte, die ausschließlich auf Markenrepräsentation hinauslaufen. Der neueste Coup ihrer Ikonografie des Coolen heißt Ralf Schumacher. Er wird mit einem Objektensemble aus in Glas gegossenen Formel-1-Felgen und überdimensionalen Motorölkanistern glorifiziert. Doch die „Quite Normal Luxury II“ betitelte Serie hat nichts vom Wunsch nach einem schnellen und abenteuerlichen Leben, es ist eher eine schlichte Dienstleistung mehr im Namen von BMW. Hier ist Luxus nur eine trocken formalistische Angelegenheit, bei der man Handlungsspielräume im Umgang mit dem auch wirtschaftlichen Risiko des Rennsports oder gar dessen Verschwendung von Ökonomie vergebens sucht. Das mag der Selbsteinschätzung des Auto-Konzerns entsprechen, als subversiv gemeinte Kunst sind die Fetische selbst für Motorfreaks zu fantasielos.

Selber kochen

Die Anbindung künstlerischer Strategien an eine auch ökonomische Effizienz ist dagegen Dan Peterman gelungen. In Chicagos 61. Straße betreibt er eine Recycling-Fabrik, die den Rahmen der Kunst ebenfalls Richtung Markt überschreitet: Neben Bausteinen aus wiederverwertetem Plastik stellt er mittlerweile sogar formschöne Pasta her, die er mit Kronkorken von Bierflaschen ausstanzt. So ist seine Produktionsästhetik aus weggeworfenen Materialien zum neuen Markenzeichen geworden – ob als lokaler Küchen-Trend oder als essbares Kunstmultiple. Nur kochen muss man selber.

Bis 20. 6., Berlin. Katalog: 40 DM (ein zweiter Band mit Dokumentationen wird im Mai bei Oktagon erscheinen)