Kampf der Kränkungen

Bei der Familiendebatte geht es immer um Geld. Scheinbar. Tatsächlich prallen Ängste aufeinander. Singles fühlen sich als biologische Versager, Familien als soziale Verlierer

Für Kinder zu sorgen, wenn sich Kinder nicht mehr von selbst verstehen - auch ein Experiment

Zählebige Klischees, schwerfällige Konservativismen – bei Diskussionen rund um das Thema Familie musste man sich schon an manches gewöhnen! Auch die Debatte, die das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil zur Pflegeversicherung angestoßen hat, öffnet leider kaum Perspektiven.

Das Geld ist das eine. Das andere aber sind die ausgelatschten Denkmuster, die das Thema Familie offensichtlich immer noch hervorruft. Sie sind oft genug nicht nur von hinterm Mond, sondern, ehrlich gesagt, auch ziemlich traurig. Viele Familienverteidiger gerieren sich geradezu, als würden Mitbürger, die heute noch Kinder gebären oder zeugen, die letzte Bastion unseres schrumpfenden Staatsvolkes darstellen. Kinder kriegen für Deutschland oder meinetwegen auch nur für die Rente – wer macht denn sowas? Man braucht schon ein gehöriges Maß an Humor, um zu ertragen, mit was für Bundesgenossen man als Eltern zu tun hat.

Die Singles und kinderlosen Paare sind im Moment aber leider auch nicht viel souveräner. Hier scheint sich derzeit geradezu eine Bis-hierhin-und-nicht-weiter-Mentalität breit zu machen, die man sonst von den Autofahrern kennt. Im Zuge der Benzinpreiserhöhung gibt es in den Fernsehnachrichten momentan viele Kurzinterviews mit dieser Betroffenengruppe zu sehen. Mit uns können sie es ja machen! Solche und ähnlich intelligente Aussagen dominieren dort das Niveau.

Ich bin mir ziemlich sicher: Würde man, zum Beispiel nach der nächsten familienfördernden Maßnahme, mit Singles solche Kurzgespräche vor laufender Kamera führen, es würden ganz ähnliche Sätze zu hören sein. Vielleicht sollten sie eine Interessensvertretung nach dem Vorbild des ADAC gründen. Wahrscheinlich ließen sich eine Menge Synergieeffekte finden, würde man mögliche Kampagnen gegen die Ökosteuer mit zukünftigen Kampagnen gegen familienfördernde Maßnahmen verbinden.

Okay, vielleicht ist hier Häme doch fehl am Platz. Aber es ist schon sehr lustig, wie sehr beide Seiten nach dem Vefassungsgerichtsurteil so tun, als würden sie aus einer Minderheiten- und tendentiell auch aus einer Opferposition heraus sprechen. Die Familienvertreter gerieren sich, als gehörten sie einer aussterbenden Rasse an, sollte ihnen Vater Staat nicht schleunigst ein paar Hunderter jährlich mehr zuschieben. Und diejenigen, die für die Kinderlosen in die Bresche springen, erwecken entweder den Eindruck, als würden all die lieben Kinderlein ihnen schon jetzt über Gebühr auf der Tasche liegen. Oder aber, und das ist neu, sie entwickeln fatalistische Vorstellungen von einer Übermacht an konservativen familiären Strukturen, gegen die sie nicht ankommen. Als schwebten sie in der Gefahr, als Kinderlose demnächst wie Menschen zweiter Klasse behandelt zu werden.

Wenn es bei all dem nur ums Geld ginge, wäre es einfach. Dann wäre es wirklich damit getan, mal genau nachzurechnen, wieviel Kinder kosten und wer was davon bezahlt. Danach könnte man sich unterhalten. Darüber hinaus könnte man daran erinnern, welche Idee unseren Sozialsystemen zu Grunde liegt: Der Staat muss von den zerfallenden Großfamilien die Aufgabe übernehmen, alle diejenigen zu versorgen, die nicht durch Arbeit für sich selbst aufkommen können. Wenn dies zwar für Rentner, Arbeitslose und Kranke gelten soll, keineswegs aber für Kinder, obwohl die auch nicht selbst arbeiten können, hat man zumindest gewisse Plausibilitätsprobleme.

Aber es geht in den gegenwärtigen Auseinandersetzungen nicht allein ums Geld. Es geht um die Gefühle. Genauer: Es geht um Kränkungen. Viele Eltern fühlen ihre Leistungen bei der Kindererziehung in einer, wie sie annehmen, zunehmend von Singles dominierten Gesellschaft nicht genügend gewürdigt. Viele Kinderlose sehen sich – ob zu Recht oder nicht – sehr schnell als biologische Versager dargegestellt. So bleibt jeder in seiner eigenen Verletzung gefangen.

Aus ihnen hinauszufinden wird durch die gegenwärtige Diskussion keineswegs erleichtert. Das eine Grundproblem der Debatte liegt wahrscheinlich darin, dass sie unter der Rubrik der Familienförderung geführt wird und nicht unter der der Kinderversorgung. Die derzeit politisch verantwortliche Generation wurde in den Siebzigerjahren entscheidend geprägt. Es war damals keineswegs eine sektiererische Außenseiterposition, in der Familie die Wurzel allen gesellschaftlichen Übels wie Frauenunterdrückung oder Kindermisshandlung zu sehen.

Dass diese antifamiliären Muster weiterwirken darf man durchaus heute noch unterstellen. Schon daher wäre es besser, alle steuerlichen Vergünstigungen von Ehen und Familien abzuschaffen, dafür das Kindergeld kräftig zu erhöhen und für genügend Krippenplätze zu sorgen. Dann wäre zumindest eine gewisse Transparenz erreicht. Bisher können Singles und Kinderlose darauf pochen, dass es keinen Grund gibt, warum verheiratete Eltern besser gestellt werden sollen als sie. Außer der Versorgung von Kindern gibt es auch wirklich keinen Grund. Gegen einen Geldtransfer aber, der ausschließlich auf Kinderförderung umgestellt wäre, müsste man schon anders argumentieren: dass einem die Kinder dieser Gesellschaft herzlich wurscht sind nämlich. Mal sehen, wer sich das traut.

Unsere Gesellschaft unternimmt ein einmaliges Experiment: ein sinnvolles Leben ohne Kinder zu führen

Das verweist auf das zweite Grundproblem der Debatte: Sie beschwert das Kinderthema viel zu sehr. Fast gewinnt man den Eindruck, als ob es unsere Haupteigenschaft sei, Kinder zu haben oder eben nicht zu haben. Diese Schieflage verstärkt die vermeintlichen oder tatsächlich empfundenen Kränkungen. Die einen fühlen sich in ihrer Leistung, Kinder groß zu ziehen, nicht anerkannt; die anderen fühlen sich, obwohl familienlos lebend, von Familienansprüchen erdrückt. Dabei unternimmt doch unsere Gesellschaft im Ganzen, wenn man sich mal das nötige Maß an Pathos erlaubt, ein historisch einmaliges Experiment. Noch niemals haben so viele Menschen versucht, ein sinnvolles Leben ohne Kinder zu führen. Diese Situation wird immer noch viel zu sehr als Zerfall von Familien diskutiert. Die Möglichkeit zu einem familienlosen Leben zu haben ist aber unbedingt eine zu verteidigende Errungenschaft.

Was man aber auch nicht vergessen sollte: In so einer Gesellschaft zu kriegen, ist auch etwas Neues. Für Kinder zu sorgen, wenn sich Kinder nicht mehr von selbst verstehen – auch das ist eine Art Experiment. Wer sich womöglich auf Traditionen verlassen sollte, kann etwa plötzlich mit Großeltern zu tun haben, die sich weigern, auf die Enkel aufzupassen, und lieber in Urlaub fahren. Längst dreht sich nicht mehr alles um Eltern und Kinder.

Es gibt Wichtigeres als das Geld, über das sich Kinderlose und Eltern austauschen sollten. Allein schon aus dem Grund, damit jeder und jede Einzelne besser einschätzen kann, welches Leben er oder sie führen möchte. DIRK KNIPPHALS