Alltag für Dickhäuter

Nichts wird sich ändern. Nichts wird gut, aber Helden gibt es überall: Andreas Dresens Grimme-Preis-gekrönter Film „Die Polizistin“ über kleine, heroische Überlebensstrategien in Rostock-Lütten Klein

von BIRGIT GLOMBITZA

In dem Aquarium auf der Polizeiwache ist kein Wasser. Irgendjemand hat einen Fisch aus Papier auf das Glas geklebt. Das muss reichen, um sich vorzustellen, wie es wäre, ein bisschen Leben in der Bude zu haben. Wenigstens eines, das auch hübsch anzuschauen ist. Das Türschild „Aufenthalts- und Sozialraum“ in der Polizeistation wirkt ebenfalls wie ein Appell an die Vorstellungskraft. Als käme man ohne diesen Aufkleber erst gar nicht auf die Idee, dass man in diesem zahnsteinfarbenen Raum ohne Schaden sein Pausenbrot essen kann. Von aufregenden Verbrecherjagden in flotten Autos, von glühenden Datennetzen und kühnen Kombinationen keine Spur. Aber von Schreibtischmonotonie, Frust und kaltem Kaffee.

„Die Polizistin“ von Andreas Dresen, der für „Nachtgestalten“ 1999 für den Bundesfilmpreis nominiert wurde, spielt in Rostock, dort wo es am schäbigsten ist, im Plattenbauviertel Lütten Klein. Mit Pittoreske und Sozialkitsch im ach so schlimmen Ost-Ranz hat der Film dennoch nichts zu tun. Man gewöhnt sich an die speckig glänzenden Flure, die sture Geometrie des sozialen Wohnungsbaus, an Innenräume aus Resopal und Holzimitate. Was sich zwischen den Couchgarnituren und Ziegelsteintapete abspielt, ist weniger erträglich. Klauende Huren, kleine Einbrüche, schnapsselige Ruhestörer und alte Frauen, die auf verkehrsumbrandeten Grünflächen die Orientierung verlieren.

Vor allem aber Familiendramen. Vom Alkohol enthemmte Männer, die ihre Frauen prügeln. „Vater-Mutter-Bratpfanne“ nennen die Polizisten vom Revier Lütten Klein das und wollen es schon lange nicht mehr genau wissen. Nur die Neue im Revier, Polizeimeisterin Anna Küster (Gabriela Maria Schmeide), fragt noch. Den kleinen Benny zum Beispiel, der sich im Kinderzimmer die Ohren zuhält, weil er das Gepolter vom Stiefvater nicht mehr hören kann. Was denn die Mutter für Tabletten nimmt?, will die Polizeimeisterin wissen. Was für eine „Krankheit an der Seele“ das sei und warum der Vater nicht zur Arbeit gehe.

„Du musst dir eine dickere Haut zulegen“, sagt Kollege Mike und sprüht Anna die Hände mit Desinfektionsmittel ein. Dann nickt sie mit großen, traurigen Augen und macht sich mit Mike auf den Weg, ihre erste Todesnachricht zu überbringen. Ein Mann ist bei Sexspielen im Taucheranzug erstickt. Verkorkste Leben. Alltag für Dickhäuter.

Nichts wird sich ändern, nichts wird wieder gut. Und dennoch ist „Die Polizistin“ keine Elendsstudie. Andreas Dresen spart sich jedes Mitleid, vermeidet jedes Klischee. Seine Erfahrungen als Dokumentarfilmer merkt man in jeder Einstellung. Es gibt keine Musik und nur selten zusätzliches Licht. Nie stellt der Film seine Figuren als Gescheiterte aus. Sein Blick bleibt voller Sympathie für die, denen Wende und Mauerfall nichts gebracht hat. Und wenn die undogmatische Handkamera Michael Hammons über Flure schweift oder in Gesichter springt, findet sie in jedem Schmuddel noch etwas Schönheit, in jedem Frust noch etwas Humor und manchmal sogar etwas Heldenhaftes.

Dieses Trotzdem zum Beispiel, mit dem Anna und Mike weiter auf Streife gehen, auch wenn vor ihnen ein Grafitto „Polizei = SS. Bullen sind Schweine“ prangt. „Die Polizistin“ Anna Küster ist kein Aschenputtel in moosgrüner Kombination, sondern eher eine Glücksritterin. Wenn auch eine stinknormale, die sich zu klein und ihren Hintern zu dick findet. Zur Polizei ist sie gekommen „wie zu einer Beule im Auto“. Auf der Wache sucht die ehemalige Postangestellte nicht nur einen neuen Broterwerb, sondern auch das Glück: „Eigentlich bin ich ja noch ganz gut dran. So viele Männer wie in meinem Job gibt es sonst nur bei den Stahlarbeitern.“

Sie verliebt sich. Ein bisschen in den Kollegen Mike (Axel Prahl) und richtig in Bennys leiblichen Vater. Ein Russe, der Waschmaschinen vertickt, am Ende eine Tankstelle ausraubt und Annas Vertrauen als Fluchtweg missbraucht. Hier versteigt sich die Geschichte kurz in eine allzu tollkühne Inszenierung. Ein paar Momente nur, in denen Anna so blöde Sachen sagt wie: „Er hat nicht ausgesehen wie ein Verbrecher“, und in denen sie dann doch wie die Dumme dasteht, mit einem Herzen größer als das neue Einkaufszentrum in Lütten Klein. Egal, „Die Polizistin“, der seine Premiere vor einem halben Jahr im Fernsehen (ARD/WDR) feierte und den Grimme-Preis in Gold erhielt, ist ein großer Wurf aus der Abteilung „schmutziger, kleiner Film“ geworden.

„Die Polizistin“. Regie: Andreas Dresen. Mit Gabriela Maria Schmeide und Axel Prahl. Deutschland 2000