Die Schnecke im Wappen

Sound aus stillen Wassern: Die Cowboy Junkies wären gerne eine richtige Rockband. Doch alles, was sie anfassen, klingt schläfrig und entspannt. Zum Glück auch auf dem neuen Album „Open“, das mit echten Gitarrenriffs aufwartet

Sie wurden als Leisetreter verunglimpft und als Hänger. Man hat sie als Trantüten beschimpft. Dabei wollten die Cowboy Junkies nur eine Rockband sein. Aber, so erklärt Gitarrist, Songschreiber und Mastermind Michael Timins, „auch wenn wir ein hart rockendes Album machen, sagen die Leute, wir klängen schläfrig und entspannt“.

„Open“ dagegen, das neueste Werk des kanadischen Quartetts, rockt. Jedenfalls in der Welt der Cowboy Junkies. So begibt sich ein Song wie „Dragging Hooks“ auf seiner Suche nach dem idealen Schwebezustand selbst in die Randbereiche des Atonalen, dann wieder finden die Cowboy Junkies plötzlich in ihrem aufs Nötigste reduzierten Country-Gerüst ganz neue, manchmal auch fiese Töne. Gleich anschließend kommt „Bread and Wine“ auch noch mit einem echten Gitarrenriff und einer gewissen Aufregung im Refrain daher. Und nur ein Song weiter – einen, der den für die Musik der Junkies so bezeichnenden Namen „Upon Still Waters“ trägt –, erwartet uns gar ein recht nervöses Gitarrensolo.

Die Cowboy Junkies sind also auf dem Weg zum Rock – wären die meisten Songs auf „Open“ nicht doch vor allem weiter unendlich schön, und wäre da nicht die Stimme von Michaels Schwester Margo Timins, die sich in diesem Leben garantiert nicht mehr zur Rockröhre aufschwingen wird. Zum Glück. Denn so bleibt uns die Qualität der Band erhalten, die ihr Bruder so beschreibt: „Es ist viel schwieriger, leise zu spielen als laut.“

Nun ist die Stille ein Konzept, dem man sich nicht nur in der Americana immer wieder gerne bedient. Meistens dient die Stille allerdings eher dazu, einen möglichst großen Kontrast zum nächsten Lärmausbruch zu schaffen. Bei den Cowboy Junkies aber erwächst aus jeder Stille wieder eine neue Stille. „Man muss sich immer wieder daran erinnern“, sagt Michael Timins, „dass weniger mehr ist.“ Nicht nur sich, sondern auch die Musiker, die auf Tour oder ins Studio geladen werden. „Das ist mein Job“, sagt Timins, und er lächelt vorsichtig, als man fragt, ob es dazu nicht eher einen Diktator braucht.

Reduktion und Substraktion bleiben die wichtigsten Stilmerkmale der bereits seit 1985 existierenden Cowboy Junkies, die Schnecke ist weiter das Wappentier der Band, eingeschlafene Füße ihr liebstes Fortbewegungsmittel. „Wir wollten nie einen jugendlichen Enthusiasmus einfangen“, sagt Timins. So hat diese Musik immer noch, schon wieder oder sowieso immer etwas Zeitloses, mit dem man ganz beruhigt alt werden kann. Als Fan und als Band. Mittlerweile sind alle drei Männer jeweils zweifache Väter geworden, und nur noch Margo Timins wartet auf Elternfreuden. Ausgerechnet sie darf nun die Texte ihres Bruders singen, der glaubt, „dass die Erfahrung, Kinder zu haben, für eine andere Perspektive auf alle Dinge des Lebens sorgt“.

Zum Schreiben seiner Songs mietet sich Michael Timins regelmäßig ein Haus in der kanadischen Ödnis, zwei Autostunden entfernt von der Stadtwohnung in Toronto. Dort entstehen die Songs oder hin und wieder der Soundtrack für einen kleinen Independent-Film, der garantiert keinen Verleih findet. Dass man da nicht plötzlich auf die Idee kommt, den Verstärker doch mal bis zum Anschlag aufzudrehen, ist verständlich. „Hätten wir einen Song, der im Herzen ein Punkrock-Song ist und der Sinn für uns macht, dann würden wir ihn als Punkrock spielen.“ Da allerdings irrt sich Michael Timins. Selbst wenn er wollte: Seine Band könnte niemals einen Punkrock-Song spielen. Wenn dem so wäre, wären sie ja eine ganz normale Rockband. Eine ganz normale, langweilige Rockband.

THOMAS WINKLER

Cowboy Junkies: „Open“ (Cooking Vinyl/Indigo)