Ein Freibad im Dornröschenschlaf

Das Weddinger Humboldtbad bleibt aus Spargründen diesen Sommer zu – trotz heftiger Proteste im Bezirk. Das Bad war für die Menschen in dem sozial schwachen Bezirk eine Art Urlaubsersatz. Gesucht wird nun ein Sponsor, doch der ist nicht in Sicht

von PLUTONIA PLARRE

Rings um das Schloss aber begann eine Dornenhecke zu wachsen, die jedes Jahr höher ward und endlich das ganze Schloss umzog und darüber hinauswuchs, dass gar nichts mehr davon zu sehen war, selbst nicht die Fahne auf dem Dach . . .

Still ruht das Sommerbad im Volkspark Humboldthain. Zwischen den Betonplatten und auf der Wiese wuchert das Gras. Vogelstimmen erfüllen die Luft. Das einstmals azurblaue Wasser im Becken ist zu einer grünen Grütze eingedickt. Die einzigen Badegäste sind zwei Enten, die sich auf den sanften Wellen treiben lassen. Die große Uhr ist auf viertel nach drei stehengeblieben. An den Drehtüren am Eingang türmt sich vom Wind zusammenfegtes Laub. Vor dem Kassenschalter und auf dem Rollgitter liegt eine dicke Staubschicht. Die angeschlagenen Öffnungszeiten, „13. 5. 00 bis 3. 9. 00 von 8.00 bis 20.00 Uhr“, datieren vom vergangenen Jahr. Ein Hinweisschild, das Auskunft über die aktuelle Lage gibt, sucht der Besucher vergebens.

Das Humboldtbad im Wedding gehört zu den drei Berliner Sommerbädern, die dem Sparzwang zum Opfer gefallen sind. Es soll den ganzen Sommer über geschlossen bleiben. In anderen Freibädern haben die Berliner Bäder Betriebe (BBB) die Öffnungszeiten verkürzt. Fünf Bäder werden von Auszubildenden betrieben. Hintergrund ist, dass der Senat die Zuschüsse für die BBB um 7,5 Millionen Mark auf 83,3 Millionen Mark gekürzt hat. Wie wenig der Breitensport Schwimmen dem Senat wert ist, zeigt am folgender Vergleich: Mit 80 Millionen Mark bekommt ein einzelnes Opernhaus genauso viel Subventionen wie alle Frei- und Hallenbäder zusammen.

Dass ausgerechnet das idyllisch gelegene Humboldtbad im Wedding nicht eröffnet wurde, begründet Manfred Rademacher, Pressesprecher der BBB, damit, dass das Bad mit 50.000 Besuchern absolut unrentabel sei. Mit Wasser Geld verdienen könne man zwar auch in den anderen Bädern nicht. Aber bei Schwimmstätten wie dem gut besuchten Prinzenbad in Kreuzberg sei man wenigstens in der Lage kostendeckend zu wirtschaften. „Ohne Knete keine Fete“, sagt Radermacher und lacht.

Nicht nur im Kiez gibt es gegen die Nicht-Eröffnung des Bades heftigen Protest. Der Stadtteilverein Brunnenviertel hat eine Unterschriftenaktion gestartet. Die Bezirksverordnetenversammlung von Mitte wird das Bezirksamt auf der heutigen Sitzung auffordern, sich beim Senat und den BBB für die sofortige Öffnung des Bades einzusetzen. Das Freibad liege in einem sozialen Brennpunkt der Stadt, lautet die Begründung. Für die Menschen im Kiez sei es deshalb so wichtig, weil diese in der Regel kaum Geld hätten, um in den Urlaub zu fahren. Auch die Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu anderen Schwimmbädern könnten sich kinderreiche Familien kaum leisten. „Es trifft mal wieder diejenigen, die ohnehin nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen“, ereifert sich der Sozialstadtrat von Mitte, Hans Nisble (SPD).

Die Proteste des Bezirksamts Mitte und der Anwohnern würden an der Schließungsentscheidung nichts ändern, sagt Radermacher. „Es sei denn, es es findet sich ein Sponsor, der sich in das Bad im Humboldthain verliebt hat und bereit ist, Geld dafür zu geben.“ Um ohne Verluste „herauszukommen“, würden für das Bad 500.000 Mark benötigt. Die BBB seien wirklich bemüht, Sponsoren zu finden, so gesehen sei das Thema Humboldtbad noch nicht vom Tisch. Aber allzu große Hoffnung wecken wolle man in dieser Hinsicht nicht, deutete Radermacher durch die Blume an, dass es bei der Nicht-Eröffnung bleiben wird. Das Wort Schließung vermeidet er (noch?) tunlichst.

Nach langen, langen Jahren kam wieder einmal ein Königssohn in das Land und hörte, wie ein alter Mann von der Dornenhecke erzählte, es sollte ein Schloss dahinter stehen, in welchem eine wunderschöne Königstochter, genannt Dornröschen, schon seit 100 Jahren schliefe.