„Er hat keine Angst vor Peinlichkeiten“

Gegen alle Ungerechtigkeiten protestieren: Der Berliner Liedermacher Manfred Maurenbrecher über Dylan-Begegnungen und die Folgen

„Seine Lebensfreude ist so groß und die Entrüstung über das Leben auch. Das ist so toll, wenn ein Mensch das zeigt.“

taz: Erinnern Sie sich noch an die Situation, in der Sie zum ersten Mal Bob Dylan hörten?

Manfred Maurenbrecher: Ja, das war so eine Schlagersendung, Fred Ignor war der Moderator. Und der Dylan war der Typ, der dieses schräge „Positively 4th Street“, dieses (singt) „You got a lotta nerve“, so ein richtig nerviges Ding, singt.

Den frühen Bob Dylan der 60er-Jahre könnte man ja als Hochstapler bezeichnen. Er hat ja immer angedeutet, dass er jetzt wieder im Güterzug in den Westen fährt oder durchs Land streicht.

Er kam aus einem ganz normalen kleinbürgerlichen, jüdischen Haushalt im Norden der USA, und als er nach New York gegangen ist, war ihm das ziemlich peinlich, und da hat er sich Sachen ausgedacht. Es war auch ein bisschen lächerlich und wurde nicht ernst genommen. Er hat sich vorher einen unglaublichen Vorrat an Liedern von anderen angeeignet, an alten Blues-Stücken, an Liedern von Woody Guthrie und Pete Seeger. Er kannte bestimmt 300 bis 400 Lieder, die er hier so sitzend auf irgendeiner Party spielen konnte mit 20 Jahren, ehe er überhaupt ein eigenes Lied gespielt hat. Das ist ein Riesenunterschied zu mir oder zu ganz vielen mittelständischen Leuten, auch in Amerika, Deutschland oder Italien. Die sagen: Ich schreibe Gedichte, und um das meinen Freunden näher zu bringen, suche ich mir noch ein paar Akkorde dazu und nenne das dann Lied.

Haben Sie dann auch Platten gekauft? Waren Sie ein Bob-Dylan-Fan?

Ich habe mir die Platten, die es bis dahin gab, ziemlich schnell gekauft. Als ich damit angefangen hatte, war dann der so genannte „Unfall“ mit dem Motorrad.

Was war das in Wirklichkeit?

Er wollte sich zurückziehen und hat einen kleinen Motorradunfall zum Anlass genommen, für ein Jahr alle Termine abzusagen. Da war dann Sendepause. Vorher war alle drei Monate ein Lied rausgekommen und jetzt anderthalb Jahre gar nicht. Und für einen 16-Jährigen sind anderthalb Jahre verdammt lang.

Gab’s 1966 schon die Bravo, in der Bob-Dylan-Fotos abgedruckt waren? Sah er darauf nicht auffällig ungepflegt aus?

Nein, der sah total schön aus, das war ein total attraktiver junger Typ, hatte tolle Klamotten an. Meine Eltern fanden den ungepflegt, aber doch nicht wir. Diese Interviews waren so rührend übersetzt, sie fragten: „What do you think about freedom in songs?“, und er antwortete: „I think it’s bullshit.“. Da stand dann in der Bravo: „Ich halte das für Ochsenscheiße.“

Wann haben Sie Bob Dylan das erste Mal live gesehen?

Das war viel später, 1978 in Nürnberg. Alle hatten diesen Typ mit Gitarre erwartet, der immer noch schick aussieht und Anfang 20 ist und gegen alle möglichen Ungerechtigkeiten protestiert. Und es kam ein ebenfalls schick aussehender Enddreißiger mit sehr eleganten Klamotten, mit einem Frauenchor und einer ganz alerten Band. Er hat ein paar ziemlich verrückte neue Sachen gesungen und die alten Protestsongs mit Chören und ganz eleganten Bässen versehen. Die Fans, damals nannte man sie ja noch nicht Altlinke, sie waren Studienreferendare und alles Mögliche, waren tödlich beleidigt, dass er nicht ihren Idealvorstellungen des protestierenden Arbeitslosen entsprach. Sie fingen gerade an, sich ihre Existenz aufzubauen, und am liebsten hätten sie ihm 5 Mark in die Hand gedrückt, damit er noch mal die alten Sachen singt.

Waren Sie 1978 schon Musiker?

Ich fing gerade an, ich hatte gerade mit meinen beiden Freunden von der Gruppe Trotz und Träume meinen ersten Auswärtsgig in Münster.

War das eine Punkband?

Eher Folk als Punk. Weil wir nicht so sehr viel konnten, war es auch manchmal wie Punk. Wir hatten unseren ersten Auswärtsgig in Münster, und ich bin dann tatsächlich nicht getrampt, sondern bin mit dem Zug von dieser Gage von Münster nach Nürnberg gefahren und konnte mir noch das Bob-Dylan-Ticket dazukaufen. Ich war richtig stolz, boah! Das Ticket kostete damals 28 Mark.

Ist bei Bob Dylans Werk zu sehen, wo es hingeht? Oder ist er schon angekommen? Wird er seine Anhänger immer weiter überraschen?

Ich glaube, dass er in solchen Kategorien gar nicht mehr denkt, dass er Leute überraschen will oder so. Seit mindestens fünf oder sechs Jahren ist er sehr in einer eigenen Welt.

Kann man diese Welt beschreiben? Ist das eine musikalische Welt?

Musikalisch kann man sie bestimmt beschreiben. Es ist jetzt eine sehr konsistente Band. Einer der Musiker, der Bassist Tony Garnier, ist seit 13 Jahren in dieser Band, das ist der Altgedienteste. Das muss dann auch ein enger Freund sein, wenn man 13 Jahre 200 Mal im Jahr zusammen auf der Bühne steht, das sind ja schon etwa 3.000 Mal. Enger kann man ja mit einer Ehefrau nicht zusammen sein, das ist ja eigentlich unglaublich. Diese Band ist jetzt sehr gut eingespielt. Ein Teil der Welt bei Bob Dylan sind die Konzerte und dieses Leben rund um die ganze Welt. Ein Großteil dieses Lebens findet zwischen Hotel, Bühne und Bus statt.

Sie haben Dylan-Songs nachgedichtet, schreiben und komponieren selbst Lieder – sind Ihnen Sachen aufgefallen, die Sie von Dylan übernommen haben könnten?

Sicher viele Einzelheiten, aber insgesamt bin ich ein anderer Typ. Dylan ist ein Ding für sich. Das Einzige, was man wirklich von ihm lernen kann, ist, vor nichts zurückzuschrecken. Der ist ganz selten mal vor was zurückgeschreckt, weil es ihm zum Beispiel peinlich gewesen wäre oder weil man das so nicht macht oder weil Leute die Nase rümpfen könnten. Und das ist gut, von ihm zu lernen.

Ist er in diesem Mut schon ein Vorbild für Sie?

Ja, klar, ich bin aber so nicht. Wenn ich über Kunst nachdenke und was es überhaupt bedeutet, warum Menschen nicht einfach still vor sich hinleben, sondern sich ausdrücken wollen? Ist es nicht eigentlich nur Eitelkeit, die einen dazu bringt, auf eine Bühne zu gehen? Und bei Bob Dylan ist die Lebensfreude darin ist so groß, und die Entrüstung, dass das Leben so Scheiße ist, ist genauso groß. Das ist so toll, wenn ein Mensch das zeigt. Das ist wie eine Unterschrift unter dieses Leben, das ist noch mehr, als einfach nur zu leben, das auch noch zu zeigen. Das ist dann wichtiger als dieses ganze eitle Zeug. Das finde ich bei ganz wenigen Leuten. Es gibt ein paar Schreiber und Musiker, bei denen ich das so sehe, und Dylan gehört dazu.

Eigentlich müsste er doch für Ihre deutschen Versionen von Dylans Liedern auch Tantiemen bekommen?

Wenn meine Platten sich unheimlich verkaufen, kriegt er dann immer 3 Pfennige von ab, davon kann er sich dann einen Toast schmieren.INTERVIEW: FALKO HENNIG