Schneidige Dichterin

Tagsüber verpasst die Frisörmeisterin Pamela Granderath ihren Kundinnen flotte Haarschnitte, außerhalb ihres Salons hat sie sich mit dem rasanten Vortrag abenteuerlicher Geschichten einen Ruf als Slampoetin erworben. Ein Portrait

von ANNETTE KANIS

Mit dem furzenden Ohr und dem Fisch zwischen den Beinen konnte der Oberbürgermeister nicht allzu viel anfangen. Etwas ratlos saß er im Publikum, konzentriert auf die fliegenden Worte. Pamela Granderath hatte schon überlegt, ob ihr Text „Fugly“ – die Kurzform von „Fucking ugly“ – zur schmucken Festrunde passen würde. Aber sie sollte den Literaturförderpreis der Stadt Düsseldorf ja nicht nur für ihre nachdenkliche Lyrik, sondern vor allem für ihre frechen Poetry-Slam-Texte bekommen. Und da darf das Ehrenpublikum samt CDU-OB bei Wörtern wie „Arsch“ oder „ficken“ schon mal zusammenzucken.

Poetry Slam ist zum Hören gemacht, hatt aber wenig zu tun mit Lesungen samt Wasserglas, schwarzem Rollkragenpulli und ernstem Blick. Eher mit einer Mischung aus modernen Märchen und Rappoesie. Spontaneität, Alltagsbezug, Sprachwitz stehen obenan. Texte mit ungewöhnlichen Inhalten. Wie eben jene Geschichte vom missglückten Friseurbesuch vorm ersten Rendezvous, von einer Kojakfrisur einschließlich abgeschnittenem Ohr, dem rettenden Arztbesuch samt Implantation eines Stücks vom Allerwertesten und dem Kuss der Umworbenen auf eben jenes neue Ohr, gerade als selbigem ein Furz rausrutscht. Wenn man den schnellen Satzkonstruktionen lauscht, wenn die verzwackten Wortspiele die Fantasiegrenze reizen, wenn die Gestik den Text belebt und die Betonung durch die Geschichte trägt – dann ist das kunstvoller Poetry Slam und sogar die „Moral von der Geschicht: Geh nie zum Friseur, wenn du fickerig bist“ einleuchtend.

Zwei Jahre ist es her, dass die heute 33-jährige Pamela Granderath den Literaturpreis erhielt. Der Friseurrap kommt immer noch gut an. Mit ihm beschließt sie ihren Auftritt an diesem Abend im ZAKK, einem alternativen Düsseldorfer Kulturzentrum. „PoeSie“ haben die Veranstalterinnen diese Lesung genannt, drei junge Autorinnen treten in der Reihe „Erlesene Weibsstücke“ auf. Eigentlich ist das heute kein echter Poetry Slam. Der übliche Wettbewerbscharakter fehlt, und ein Wasserglas steht auch bereit. Aber die Texte sind für die Bühne geschrieben worden, das wird schnell klar.

Die Frauenquote liegt sonst bei höchstens einem Viertel. „Männer haben vermutlich eine stärker ausgeprägte Profilneurose“, versucht Pamela Granderath eine Erklärung. Durchaus würden viele Frauen schreiben und sich dennoch nicht in die Slamschlacht begeben – „das mag daran liegen, dass viele auch sehr emotional schreiben und keine Lust haben, der geifernden Menge ihr Herz offen darzulegen“.

Pamela Granderath weiß, wie es ist, mit gefühlvoller Lyrik in der ersten Runde rauszufliegen. Ihr erster Auftritt bei einem Poetry-Slam-Wettbewerb vor sechs Jahren war ein zaghaftes Vortasten und brachte ihr den Rat ein, die „Betroffenheitslyrik doch besser ganz tief unten in der Schublade“ verschwinden zu lassen. Pamela Granderath hat den witzigen, bissigen Anteil ihrer Texte ausgebaut. Und sie ist sicherer geworden auf der Bühne. Sie hat es bis zum bundesweiten National Poetry Slam geschafft, sie ist durch Deutschland, Österreich und die Schweiz getourt.

So wie sie als Kind oft im Mittelpunkt stand und Quatsch machte, so hat sie als Jugendliche mit Inbrunst Gedichte über den sauren Regen, Mopedfahren mit süßen Jungs und Geburtstagswünsche an die kleine Schwester geschrieben. Die Mischung ist heute noch da, nur das Niveau hat sich geändert. Leise Töne treffen bei Pamela Granderath auf schrille, zaghafte auf überdeutliche.

Anklänge an ihre lyrischen Anfänge finden sich im melancholisch-schönen Gedicht über die Sommerzeit. Mit wenigen Worten und ruhigen Bildern schafft es Pamela Granderath, die wehmütige Sehnsucht nach sommerlichen Zeiten greifbar zu machen. In den Kurzgeschichten oder, wie sie selbst gern sagt, ihrer Miniaturprosa, geht es dann auf unterhaltsame, satirisch-wilde Weise um Liebeleien, Alltagsfrustrationen oder all die professionellen Arten des Entfernens von Hasenknüddeln. Und schließlich in gewohnter Slammanier – auswendig, im Stehen und gestenreich – der Friseurrap. Die Reime rasen dahin.

Mit der „dichtenden Punkfriseurin“, als die sie die Bild-Zeitung nach ihrem Förderpreis tituliert hatte, hat Pamela Granderath jetzt nichts mehr gemein. Jedenfalls was diese Mischung aus hochtoupierter und kahl rasierter Frisurenkreation angeht, die einem kleinen, feinen Kurzhaarschnitt in kräftigem Hennarot gewichen ist. Um es den Klischeevermittlern etwas schwieriger zu machen, wechselt sie jetzt öfters ihr Outfit. Ob Männeranzug mit orangefarbener Sonnenbrille und Plateauabsätzen, Sweatshirt und Sneakers oder Jeansjacke mit grauer Stoffhose – im Kleidungsstil lässt sie sich nicht mehr so leicht festlegen, und sie ändert immer wieder ihre Frisuren. Das bringt schon ihr Beruf mit sich. Pamela Granderath ist Friseurin. Bild würde schreiben, sie hat einen „Szeneladen“.

„Lifestyle für Körper, Geist und Wohnung“ lautet das Motto des Ladens. Was klingt wie der Untertitel eines Wellnessmagazins, steht hier für eine Mischung aus second hand eingerichtem Friseursalon und Einkaufsparadies für Menschen, die bei Perlenvorhängen, Plüschsofas und Plastikhockern in Verzückung geraten. „Mein Beruf ist Friseurin, meine Berufung ist die Schriftstellerei.“ Der Satz könnte leicht theatralisch klingen. Pamela Granderath sagt ihn schnell dahin, für sie ist die Konstellation selbstverständlich und ganz pragmatisch. „In beiden Bereichen verdienst du schlecht, aber zusammen geht es gut.“

Wenn Friseurmeisterin Pamela den schwarzen Plastikvorhang umbindet, den ledernen Barbierstuhl hochpumpt und das Haareschneiden beginnt, dann kann es sein, dass „die Slamqueen mit den Scherenhänden“, wie sie in der Szene genannt wird, die Idee für eine neue Geschichte bekommt. „Viele meine Texte handeln vom Haareschneiden“, sagt sie, und das klingt langweiliger als die Texte dann sind. Denn dass das Friseurhandwerk therapeutische Züge hat, kommt ihr bei der Schriftstellerei zugute. „Hier wird viel erzählt, hier lass ich mich inspirieren“, gibt Pamela Granderath gerne zu.

Beim Schnippeln und Ausrasieren geht es um Haareschneiden nach Mondphasen und die neue Waschmaschine, Ischiasschmerzen und den Frühjahrsputz, das Wetter und Hunde in der Pubertät. Retira hat ihre Pubertät glücklicherweise schon hinter sich. Die schwarze Mischlingshündin legt elegant ihre weiße Schnauze auf die Heizung und blickt durch das Schaufenster nach potenziellen Bebellungsopfern. Stammkundinnen begrüßt sie mit Luftsprüngen und quietschenden Freudenausbrüchen. Zu Pamela Granderath kam sie über eine Internetvermittlung für spanische Findelhunde. Jetzt taucht sie in den Texten manchmal ebenso auf wie die Freundin.

Wenn Männer darüber schreiben, dass sie Frauen lieben, warum soll ich dann einen Hehl daraus machen? Auch wenn so manche Homophobiker mich dann gerne zur Poetry-Slam-Lesbe stempeln wollen.“ Nur manchmal kann sie nicht gelassen reagieren. Zum Beispiel als einer den ersten Preis bei einem Wettbewerb in Oldenburg abfällig kommentierte – „Ist doch klar, dass du hier in der Lesbenhochburg gewonnen hast“ –, da hätte sie dem Typen gern eine gescheuert. Ihre rechte Hand malt Ohrfeigen in die Luft, im Gesicht zeichnet sich entnervte Erinnerung ab.

Sobald es szenisch wird im Gespräch, baut sich rund um den kleinen roten Plastikhocker hinten im Friseurladen ein Bühnenpodest auf. Pamela Granderath ist unterhaltsam, auch ohne Mikrofon. Gestik, anschauliche Schilderung und ein Redetempo, zu dem man einen Stenografenwettbewerb veranstalten müsste. Sie kommt vom einen aufs andere, schlägt da einen Umweg, sucht dort eine Fortsetzung, wenn sie erzählt von ihren Auftritten und dem Todestag der Großmutter. Dem ersten Zeitungsartikel, bei dem sie stolz war auf die gnädige Erwähnung „Pamela Granderath las zwischen“. Der ersten Einzelausgabe, die veröffentlicht wurde, nachdem ein Freund, an dessen Computer sie ihre handgeschriebenen Zettel erfasste, aufmerksam geworden war auf ihre Texte.

Mittlerweile hat sie selbst einen Laptop, schreibt aber immer noch gerne Gedanken auf Zettel. Und sie hat den Job ihres damaligen Herausgebers übernommen. Sie ist Präsidentin von „art connection“, einem Verein, der junge Literaten fördert, Veröffentlichungen und Lesungen organisiert. Ihre Auftritte als Slammerin in Düsseldorf sind etwas seltener geworden, denn für dieses Jahr hat sie die Moderation des monatlichen Poetry Slams übernommen. Stattdessen eben mehr Auftritte an anderen Orten. „Ich bin gerne in anderen Städten, da weiß ich nicht, wie das Publikum auf meine Texte reagiert.“

Die nächste Kundin kommt. Retira bellt ein wenig. „Ein Traum wäre es schon, mal vom Schreiben leben zu können“, sagt Pamela Granderath noch, bevor sie die Schere zückt.

ANNETTE KANIS, 31, lebt als freie Autorin in Düsseldorf