Kampf der Monopole

Mit einem direkten Kommunikationssystem zwischen Netzusern, fürchtet der Onlinedienst AOL, will Microsoft in seinen Zukunftsmarkt einbrechen

von NIKLAUS HABLÜTZEL

Noch immer ist der Prozess gegen Microsoft nicht abgeschlossen, der einst mit der Frage begann, ob ein Betriebssystem für PCs wie Windows auch einen Browser enthalten darf, also eine Anwendung zur Darstellung multimedialer Dokumente aus dem World Wide Web. Ginge es allein darum, wäre der Streit längst entscheiden. Ende vergangener Woche zog denn auch der Chef von Netscape, Jim Bankoff, in einem Gespräch mit der Agentur Reuters öffentlich die Konsequenzen. Der Browser, den der Firmengründer Andresen einst aus dem Urmodell der staatlich finanzierten National Supercomuting Agency (NSCA) entwickelt und vor Microsofts Internet Explorer zum faktischen Standard der ersten Generation von Webseiten gemacht hatte, sei immer noch ein „Kronjuwel“, sagte Bankoff. Doch Netscape kann sein Prestige nicht mehr vermarkten. Schon in „sechs Monaten werden Sie Netscape nicht mehr als Browserfirma betrachten“, diktierte Bankoff dem Reporter ins Notizbuch. Unter dem Dach von AOL sucht Netscape eine neue Rolle. Schon heute ist die Homepage ein Portal, das neben allerlei Software und Browser-Plug-ins zum Download auch mit Nachrichten aus aller Welt aufwartet. Nach der Fusion mit Time Warner möchte Bankoff wohl gerne die Spitzenprodukte des traditionsreichen Medienhauses im Netz präsentieren.

Ganz soll die Programmierarbeit aber dennoch nicht aufgegeben werden. Für dauerhafte Spannung innerhalb des eigenen Hauses sorgt freilich der Umstand, dass AOL seine eigene Software mit dem Internet Explorer von Microsoft verknüpft. Dieses „Standard-Bundle“, gibt Bankoff zu, sei für die Massenkundschaft ausreichend, die sich eben „à la carte“ im Netz bediene. Professionelle User der Oberklasse mit schnellen Leitungen am Arbeitsplatz jedoch könnten auch weiterhin von der Erfahrung Netscapes profitieren und wenigstens einzelne Komponenten des Programmpakets für ihre spezielleren Bedürfnisse nutzen.

Bankoff erwähnte vor allem das so genannte Messenger-System von Netscape und war damit mitten in den nächsten Kampf der Giganten geraten. Wieder geht es um Microsoft, doch auf der anderen Seite der Schranke steht diesmal nicht mehr eine kleine Firma von Pionieren, sondern der Konzern AOL Time Warner, dessen Ruf in der Welt der Nerds eher noch schlechter ist als derjenige von Microsoft. Wie schon beim Krieg der Browser steht wieder die Frage zur Debatte, ob ein Betriebsystem eine weitere Funktion gleich mit enthalten soll, die bisher lediglich als Anwendung eines prinzipiell auch konkurrierenden Anbieters hinzuinstalliert werden musste. Microsoft hat angekündigt, die (wahrscheinlich) im Herbst dieses Jahres auf den Markt kommende Version „XP“ von Windows werde von vornherein ein Modul enthalten, das „Windows Messenger“ heißt und es erlaubt, mit anderen Teilnehmern eines beliebigen Netzwerkes Kontakt aufzunehmen, wenn sie ebenfalls online sind, um mit ihnen nicht nur Mitteilungen, sondern auch größere Datenmengen auszutauschen. Sogar Videokonferenzen sollen möglich werden.

Damit aber bricht Microsoft in eine Domäne ein, die bislang noch fast ausschließlich von AOL beherrscht wird. Der Onlinedienst bietet seinen Kunden schon lange ein ähnliches System der direkten Kommunikation an, hat sich bisher aber geweigert, die dafür nötigen Protokolle und Programme für andere Anbieter zu lizenzieren. Beobachter rechnen damit, dass „Instant Messaging“, wie der Fachausdruck lautet, noch an Bedeutung zunehmen wird, wenn die Zugangskosten zum Web weiter sinken. Nicht mehr das Absurfen vorgefertigter Medieninhalte wird die Hauptattraktion des Internets sein, sondern die Kommunikation mit Nachbarn und Freunden, „Buddies“.

Die schon heute intensive Nutzung technisch eher primitiver Chaträume zeigt, welches Potenzial in dieser Anwendung des Internets steckt. Bislang konnte es nur nicht voll genutzt werden. Denn anders als die Chatsysteme sind die Programme für das Instant Messaging auf jeweils spezielle Anbieter angewiesen. So haben neben AOL heute zwar auch große Portale wie Yahoo! eigene Dienste dieser Art eingerichtet. Doch AOL-Buddies und Yahoo!-Mitglieder können nicht mit demselben System untereinander Kontakt aufnehmen. Mit Microsofts neuer Windows-Version könnte dieser bequem aufgeteilte Markt schon bald der Vergangenheit angehören. Wie schon beim Kampf um den Browser wird die schiere Masse der installierten Programme alles entscheiden. Nicht zuletzt die Kunden von AOL, die bereits mit den Vorteilen des Instant-Messaging vertraut sind, werden kaum akzeptieren, in die Grenzen ihres Onlinedienstes eingesperrt zu bleiben, wenn die Mehrheit der Internetnutzer über ein System verfügt, ohne bei AOL eingeschrieben zu sein.

Doch so einfach in Gut und Böse aufgeteilt, wie es beim Kampf um den Browser noch schien, ist die Onlinewelt heute nicht mehr. Der Vorwurf eines Monopolmissbrauchs richtet sich eher an den weltgrößten Onlinedienst AOL als an Microsoft. Das Marktforschungsinstitut Gartner sagt deshalb einen weit komplizierteren Verlauf bevor. Vor einer großen, medienwirksam inszenierten, sogar von der amerikanischen Regierung unterstützten Schlacht vor den Gerichten scheuen die Kontrahenten zurück. Nach den Informationen von Gartner verhandelt Microsoft seit Wochen hinter verschlossenen Türen um Einzelheiten, die auf den ersten Blick eher lächerlich wirken. Umstritten ist etwa, ob Microsoft – wie bisher – bei der Installation der neuen Windows-Version gleich ein Symbol auf dem Desktop platziert, mit dem die Software von AOL weitgehend automatisch geladen werden kann. Denn auch das, so wird als späte Einsicht von Bill Gates’ Managern kolportiert, könnte ja, angesichts des absehbaren Erfolgs von Windows XP, als wettbewerbswidrig angesehen werden. Was AOL bislang dafür bezahlt hat, dass sein Symbol selbst dann erscheint, wenn man die entsprechende Option ausdrücklich ausgeschaltet hat, ist nicht bekannt. Auf den kleinen Zuschuss wird Microsoft wohl verzichten müssen, wenn nun statt AOL das eigene Instant-Messaging-System vorinstalliert wird.

niklaus@taz.de