zwischen den rillen
: Elektronik-Chansons: Burgalat und Gainsbourg

Liebe als binärer Code

„Remixes müssen angefertigt werden, indem man nur jene Sounds benutzt, die vom Verfasser des zu remixenden Songs vorgegeben werden“, lautet das zehnte Gebot des Matthew Herbert. Seine Gebote hat Matthew Herbert auch angewandt, als es darum ging, einem Musiker zu huldigen, den man nicht unbedingt als Einflussquelle des House-Konstruktivisten vermutet hätte: Serge Gainsbourg – Mitbegründer, Zerstörer und Neuschöpfer dessen, was unter dem Sammelbegriff „Chanson“ zum weltweit größten und beständigsten Klischee französischer Musik geworden ist.

Im Angedenken an den zehnten Todestag des 1928 in Paris geborenen Sängers und Autors erschien unlängst ein Tribute mit dem Titel „I Love Serge – Electronicagainsbourg“, auf dem 14 Künstler aus der elektronischen Welt ihre Position zu Gainsbourg formulieren, in Form von Remixen natürlich. Neben Matthew Herbert tun dies unter anderem Howie B., Faze Action, Demon Ritchie, Chateau Flight, The Orb, Stratus, Dzihan & Kamien und Snooze.

Eine durchweg huldvolle Verneigung ist es geworden vor der nikotinschweren, zerknitterten Stimme, die einst Worte formte, die den Vatikan zum Racheschwert des Kirchenbanns greifen ließen, während die spanische Tourismusbehörde ein Exportverbot der vermeintlich pornografischen Verse erließ. Insbesondere „Je t’aime ... moi non plus“ (1969) geriet zum Auslöser eines Aufstands der Anständigen – jener Song, den Gainsbourg schließlich mit Jane Birkin sang, nachdem er ihn auf Bitte seiner vorherigen Geliebten, Brigitte Bardot, komponiert hatte. Die hatte sich von ihm das schönste Liebeslied der Welt gewünscht.

Damals waren es vor allem die Texte, die Gainsbourg zum Bürgerschreck der konservativen Gesellschaft machten. Und auch er selbst bezog sich vor allem auf die Sprache, wenn er sich als „Avantgarde des Chansons“ bezeichnet. Muss es da nicht wie paradox anmuten, wenn nun ein paar Remixer daherkommen und meinen, sie könnten mit seinem Gesang tun, wonach ihnen der Sinn steht? Sie gar verkommen lassen zur schlichten Klangfunktion – zu einem repetitiven Element, das dem erzählerischen Ursprung diametral gegenübersteht?

Gainsbourg würde vor Freude gegen den Sargdeckel trommeln, statt sich mit Grausen umzudrehen, wenn ihm diese Neuinterpretationen zu Ohren kämen. Denn er selbst hat seine eigene Arbeit immer wieder in Frage gestellt und bisweilen sogar vernichtet – wie jene 400 Leinwände, die er in den 30er-und 40er-Jahren noch in dem Glauben bemalt hatte, ein Leben als bildender Künstler zu führen. In den 70er-Jahren tat er Ähnliches noch einmal – mit seinen frühesten Plattenaufnahmen: Neuerfindung durch radikalen Bruch.

In diesem Sinn ist „I Love Serge“ eine interessante Erzählung. Denn hier setzen sich Künstler mit dem Klangmaterial „Sprache“ auseinander, die zuvor oft „sprachlose“ Musik gemacht haben. Und es ist sehr unterhaltsam zu sehen, wie sie sich einer Episode der französischen Musik nähern, die für frühere Teenie-Generationen noch Anlass zu einer lärmigen Revolte war.

Auch Bertrand Burgalat, der mit „The Sssound of Mmmusic“ sein erstes Solo-Album veröffentlicht hat, bezieht sich auf die Klangwelt der 60er-Jahre. Er begegnet ihr aus der Perspektive eines Musikers, der seit Jahren mit dem Sampler, mit Platten und herkömmlichen Instrumenten die Musikhistorie erschlossen und für seine Zwecke umgedeutet hat. Dadurch hat nicht nur der grausigste Kitsch seinen Schrecken verloren. Durch die Konfrontation mit neuen Kontexten verliert auch so ein verbrauchter und belegter Begriff wie der des Chansons an Klischeeballast.

Burgalat konstruiert seine Songs als Erzählung, in der die Sprache nur eine von unzähligen Instrumenten ist. Und auch wenn er die Gebote des Matthew Herbert nicht in allen Fällen ganz genau beachtet: wenn seine Wohlklangkuscheleien und üppigen Italo-Western-Versatzstücke einen Gegenpol zu der asketischen Strenge des Matthew Herbert bilden, so treffen sich die beiden heutzutage spätestens bei Herberts drittem Gebot wieder: „Eine Nachbildung von traditionellen akustischen Instrumenten ist streng verboten, wann immer die finanzielle und physische Möglichkeit besteht, echte Instrumente einzusetzen.“

Nur bei Serge Gainsbourg hatten beide Schwierigkeiten, sich des Originals zu bedienen. Weil das Leben schneller war, man aber dennoch manche Huldigung mindestens einmal in seinem Leben ausgesprochen haben sollte, nähert sich Matthew Herbert in Form eines Remixes und Bertrand Burgalat mit liebevollen Zitaten. Beiden gelingt es, die heutige Bedeutung von Serge Gainsbourg in ihrer Musik zu verorten.

BJÖRN DÖRING

Bertrand Burgalat: The Ssssound of Mmmusic (Tricatel/Virgin); Diverse: Electronicagainsbourg (Universal)