Mehr als Nähe zur Natur

■ Tagung an der Hochschule für Wirtschaft und Politik beschäftigt sich mit „Frauen im Rechtsextremismus“. Zahl der Frauen wächst, die Männer aber bleiben die Täter

Von einer „rechten Frauenbewegung“ kann nicht gesprochen werden, betont Renate Bitzan. Die Wissenschaftlerin an der Universität Göttingen hebt aber hervor, dass die Zahl rechter Frauengruppen wächst. Im Rahmen der Tagung „Frauen im Rechtsextremismus“ an diesem Wochenende stellt Bitzan ihre Studie „Selbstbilder rechter Frauen“ dar.

taz: Frauen marschieren bei Neonazi-Aufmärschen mit und gründen eigene rechtsextreme Gruppen. Entwickelt sich eine rechte Frauenbewegung ?

Renate Bitzan: So weit würde ich nicht gehen. Die vielfältige Landschaft feministischer Projekte in Kultur und Beratung sowie das gegenseitige Rezipieren und Weiterentwickeln in Theorie und Praxis lässt sich in der rechten Szene nicht finden. Verschiedene Frauenpolitiken stehen dort eher undiskutiert nebeneinander. Dennoch gibt es „Bewegung“ im Sinne vermehrter Gruppenbildung und verstärkter Vernetzung.

Aus welchen Motivationen wenden sich Frauen rechtsextremen Handlungs- und Denkmustern zu?

Es gibt verschiedene Thesen, auf alle kann ich hier nicht eingehen. Für junge Mädchen scheint der Zusammenhalt in einer Clique vor dem Hintergrund von Konflikten mit den Eltern wichtig zu sein. Aber auch die Faszination durch Macht und Stärke. Andere Forschungsansätze stellen für junge Frauen einen Zusammenhang zur „doppelten Vergesellschaftung“ her. Berufliche und familiäre Anforderungen an Frauen werden gesellschaftlich propagiert, ohne sie strukturell zu ermöglichen. Das schafft Konfliktpotenzial. Eine der Verarbeitungsweisen kann sein, Unmut und Ängste auf angebotene Feindbilder zu verschieben. Auch spezielle biographische Konstellationen können einen unbewussten Hintergrund bilden. Oft mischen sich geschlechtsspezifische mit -unspezifischen Faktoren. Die Berücksichtigung all dieser Ebenen darf aber nicht dazu führen, die Frauen als politische Gegnerinnen nicht ernst zu nehmen.

In Ihrer Studie betonen Sie, dass es „das rechte Frauenbild“ nicht gibt. Sind „Heimchen am Herd“ und „arische Kämpferin“ keine bindenden Leitbilder?

Die Betonung liegt hier auf „nicht bindend“. Die Selbstbilder sind zwar anzutreffen, haben aber keine Verbindlichkeit. Im Zentrum steht der Einsatz für „die Sache“. Daraus leiten manche Frauen den aktiven Kampf um Straße und Köpfe ab. Andere mischen in untergeordneter Rolle mit, wieder andere konzentrieren sich auf ihre Mutterrolle, ideologisch aufgeladen als unentbehrlicher Dienst an Volk und Rasse. Typisch ist also nicht ein einziges Frauenbild, sondern die Koexistenz verschiedener. Ideologisch wie auch praktisch. Jeweils versehen mit einem gewissen Selbstbewusstsein.

Wie reagieren die rechten Männer auf das „neue Selbstbewusstsein“ ihrer Kameradinnen?

Auch wenn sich die Männer mit der „Modernisierung“ ihrer Geschlechtervorstellungen schwerer tun, übrigens ja nicht nur am rechten Rand, ist gleichzeitig festzustellen, dass sie das Potential der Frauen nutzen, um Infrastruktur und öffentliches Image zu verbessern.

Sind Frauen auch Täterinnen bei Angriffen auf Flüchtlinge, Behinderte und Obdachlose?

Eher selten. Während wir bei rechtsextremen Einstellungen ein nahezu gleich hohes Potential bei den Geschlechtern vorfinden, ist es bei den Gewalttaten viel polarisierter: 90-95 Prozent der Täter sind männlich. Medienberichte sowie Statistiken einzelner Bundesländer lassen aber vermuten, dass der Anteil der weiblichen Täterinnen zunimmt.

Bei Ihren Forschungen untersuchen Sie Affinitäten zwischen Positionen rechtsextremer Frauen und feministischen Argumentationen.

Ja, hier sehe ich Anknüpfungspunkte zwischen bestimmten feministischen Differenzansätzen und dem klassisch rechten und konservativen Konstrukt der Geschlechterpolarität, die Männern und Frauen verschiedene „Wesensarten“ und gesellschaftliche Sphären zuweist. Oftmals mystisch unterfüttert durch eine angeblich größere Nähe von Frauen zu Natur und Spiritualität. Dies ist allerdings nicht so neu. Weniger bekannt ist dagegen, dass rechte Frauen auch an egalitäre Geschlechterverständnisse andocken. Wenn sie zum Beispiel anti-sexistische Positionen beziehen, oder sogar die Abschaffung der Begriffe „männlich“ und „weiblich“ fordern – allerdings immer gekoppelt mit Nationalismus und Rassismus.

Umso wichtiger ist es, statt einem dualistischen ein Differenzdenken in „Vielheiten“ zu entwickeln und egalitäre Ansätze auf verschiedene Dimensionen von Herrschaftsverhältnissen zu beziehen. So können wir einerseits Festschreibungen von Identitäten und Homogenitäten und andererseits einer Verkopplung von Antisexismus mit Rassismus entgegenwirken.

Interview: Andreas Speit